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Freitag, Juli 29, 2005

 
Gesellschaft

Schweizer Reinigungsfirma wegen Diskriminierung verurteilt

Eine Schweizer Reinigungsfirma scheint belegen zu wollen, dass die schlimmsten Krankheiten nicht an Nationalitäten gebunden sind sondern überall grassieren können:
[...] Eine Schweizerin mazedonischer Abstammung wird von den APS Reinigungen GmbH diffamiert. Die Kundschaft ertrage Leute aus dem Balkan nicht, sagt der Geschäftsführer.

Die 40-jährige Schweizerin, 1990 aus Mazedonien in die Schweiz gekommen, war von der Regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) Zürich auf die ausgeschriebene Stelle als Reinigungsangestellte aufmerksam gemacht worden. Einen Tag nachdem die Frau ihre Bewerbung abgeschickt hatte, ging beim RAV ein E-Mail der APS Reinigungen GmbH ein. Im Schreiben an die zuständige Sachbearbeiterin und weitere RAV-Mitarbeiterinnen hiess es wörtlich:

«Morgen Herr Sachbearbeiter RAV. Wir stellen keine Leute aus dem Balkan ein und meine Firma verträgt solche Leute nicht, wie wir in der ganzen Schweiz auch nicht! Ich bin Unternehmer und finanziere nicht das zugelaufene Volk. Habe alles probiert mit denen. Kopftücher, Moslem etc. gehören nicht hier her! Wir sind Eidgenossen und keine Auffangstation für die ganze Welt. Bin Stinkesauer, dass Sie nicht lesen können, dass wir kein Kopftücher einstellen! Mit freundlichen Grüssen.»

[...]

Er sei nicht Rassist, aber die Kundschaft bestehe auf deutsch sprechendem Reinigungspersonal. «Wir können Leute aus dem Balkan nicht brauchen, die Kundschaft erträgt es nicht.» Er habe früher bei Integrationsprogrammen mitgemacht und erkennen müssen, dass es «mit denen» nicht gehe. «Man kann Kulturen nicht mischen.» Daran ändere auch ein Schweizer Pass nichts. «Jeder kann Schweizer werden, aber nicht jeder Schweizer ist ein Eidgenosse.» Er sei Eidgenosse und Schweizer Demokrat und lasse sich nicht vorschreiben, wen er einstellen müsse. Der Gerichtspräsident, der die Haltung des Geschäftsführers nicht beurteilen wollte, sagte: «Ich bin gerne Schweizer, möchte aber um Himmels willen nicht Eidgenosse nach Ihrer Definition sein.» [...]

Ist im Tages-Anzeiger.ch zu lesen.

Gefunden in Roberts Basic Thinking, der ein paar Hintergrundlinks zu der Geschichte liefert, denn die Firma ASP scheint sehr "vehement" dagegen vorzugehen, dass ihre gerichtlich bestätigte diskriminierende Gesinnung publik wird. Was "verständlich" ist, wenn man bedenkt, dass diese Firma einige Kunden hat, denen solches nicht gefallen dürfte, Behinderten- und Seniorenstiftungen, Krebsliga Kanton Zürich uvm..

Allerdings vermute ich, dass ASP da ein wenig die Bloggerszene unterschätzt, denn ignoranz.ch mag seinen Artikel auf Druck der Firma gelöscht haben, aber das heißt nicht, dass nicht über das Thema geredet wird.

von Hellblazer 10:40 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Donnerstag, Juli 28, 2005

 
Politik

Unterschiedliche Prioritäten

Eine in ihrer inhaltlich entlarvenden Kenntlichkeit erschreckend deutliche Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Abhörgesetz.
[…] Beckstein sagte, er betrachte es mit einer gewissen Sorge, dass die Rechte des Individuums vom Bundesverfassungsgericht sehr weit ausgelegt und die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden in einer Zeit des Anti-Terror-Kampfs sehr eng angesehen würden […].

von Hellblazer 16:01 | Einzelansicht & Kommentare (0)


 
Gesellschaft

Eine Stadt macht gegen Nazis mobil

„Tag der Demokratie“ in Wunsiedel – Rund 100 „Minidemonstrationen“
WUNSIEDEL. Mit prominenten Verbündeten und einem ganztägigen Aktionsprogramm macht die Fichtelgebirgsstadt Wunsiedel am 20. August mobil gegen Rechtsradikalismus.

Um den für diesen Tag geplanten „Heß-Gedenkmarsch“ europäischer Neonazis zu blockieren, haben rund 100 Wunsiedler Bürger 100 eigene öffentliche Veranstaltungen angemeldet, erklärte Jürgen Schödel, evangelischer Pfarrer und Sprecher der Bürgerinitiative „Wunsiedel ist bunt nicht braun“.Mit diesen „Mini-Demonstrationen“ vor der eigenen Haustür solle es den Rechten „so unmöglich wie möglich“ gemacht werden, wie in den Vorjahren durch die Stadt zu marschieren, so Schödel. Eine der Hauptstraßen wurde für den Tag zu einer „Meile der Demokratie“ mit Informations- und Aktionsständen erklärt.[...]
Motorradkorso und Rockkonzert mit „extrabreit“
Der Motorradclub „Kuhle Wampe“, dessen rund 600 Mitglieder sich ausdrücklich gegen Neonazis engagieren, hat zu einem Motorradkorso aufgerufen. Ein Rockkonzert „laut gegen nazis“, bei dem unter anderem die Punk-Band „extrabreit“ auftreten soll, und ein Open-Air-Kino beschließen den Tag.

von lokina 12:37 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Montag, Juli 25, 2005

 
Politik

Bedrohung, Bedrohung

Unter dem Kapitel "Terror-Angst in Deutschland" berichtet die Süddeutsche:
Schily fordert mehr Befugnisse für das BKA

Nach den Terroranschlägen von London und Ägypten will der Bundesinnenminister die Befugnisse der deutschen Sicherheitsbehörden ausweiten. [...]

Und ich bin immer noch auf der Suche nach denen, die so große "Angst" haben sollen, dass sie im Namen des Schutzes der "Freiheit" auf Freiheitsrechte verzichten wollen. Außerhalb der Politiker- und Medienwelten habe ich noch nicht viel davon gefunden...

von Hellblazer 17:27 | Einzelansicht & Kommentare (4)


Samstag, Juli 23, 2005

 
Gesellschaft

Arm dran

Wohlhabende Deutsche leben länger meldet N24:
[...] "Das Sterberisiko ist aber auch unabhängig vom Gesundheitsverhalten in den unteren sozialen Schichten deutlich erhöht", sagt Stephan Müters, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts. Faktoren der materiellen und persönlichen Lebenssituation wie etwa Arbeitslosigkeit hätten ebenfalls Einfluss auf das Sterberisiko. [...]

Die Studie der TU Berlin Armut erhöht das Sterberisiko, zieht dabei folgendes Fazit:
Die Ergebnisse haben für die aktuelle Gesundheitspolitik in der Gesundheitsförderung und Prävention einen hohen Stellenwert. Sie zeigen, dass Präventionsmaßnahmen besonders auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen auszurichten sind. Um dies erfolgreich zu tun, muss nicht nur am Verhalten, sondern immer auch an der Lebenslage der Menschen angesetzt werden.

Die Studie verdeutlicht damit den Mythencharakter einer angeblichen von sozialer Herkunft unabhängigen Chancengleichheit nach den beruflichen Aussichten oder der Bildung bzw. Schule nun auch für die Gesundheit.

von Hellblazer 23:21 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Freitag, Juli 22, 2005

 
Religion Politik
Appeasement auf gut katholisch

Religöse Gruppen legen zunehmend Wert darauf, Terrorismus, vor allem wenn er im religiösen Gewand daherkommt, eindeutig zu verdammen. Zahlreiche islamische Gruppen haben sich eindeutig und vernehmlich von "islamistischen" Terror distanziert.

Es gibt aber auch religiöse Gruppen, die eher auf das Konzept "nur nicht provozieren" setzen. Zu ihnen gehört offensichtlich auch der Vatikan.

Schon seit Monaten bereitet sich des renomierte Symphonieorchester Malmö auf ein Konzert im Vatikan vor, es wollte im Petersdom ein Requiem zum Angedenken an die Opfer des Terrorismus spielen. Die Mühe war offensichtlich vergeblich. Am 20. Juli berichtete das Sydsvenska Dagbladet: Symfoniorkestern får inte spela i Vatikanen (Symphonieorchester darf nicht im Vatikan spielen.)

Der Vatikan hat die Veranstaltung nach den Attentaten von London kurzerhand abgesetzt. Der Grund, nach Auskunft der Sprecherin der deutschen Agentur "Media & Eventservice", die die Konzertreise organisiert: "Der Vatikan hat aufgrund der aktuellen Umstände beschlossen, keine öffentlichen Kommentare zu den Terroranschlägen abzugeben. Dieses Requiem zum Angedenken an die Opfer des Terrorismus würde als öffentliche Stellungnahme interpretiert werden."

Kommentar: Der Vatikan ist nicht dafür bekannt, bei wichtigen ethischen Problemen ein Blatt vor den Mund zu nehmen: egal, ob es um Fragen der Globalisierung, der Stammzellforschung, der Homosexualität, um Sexualaufklärung, Verhütungsmittel oder auch nur der Beurteilung von Harry Potter geht, die römische Kirchenführung scheut auch vor unpopulären Äußerungen, für die sie heftigen Gegenwind erhält, nicht zurück.
Warum sollte es denn auf einmal zu kontrovers sein, öffentlich Sympathie für die Opfer des Terrorismus zu bekunden?
Der einzige Grund, der mir einfällt, ist ein Appeasement-Versuch gegenüber den islamischen Fundamentalisten: "Seht doch, wir haben Verständnis für Euch, und nehmt bitte die römisch-katholische Kirche von der Liste möglicher Anschlagsziele."

(Danke an Inger Sveinsson für die Info!)

von Martin 14:22 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Donnerstag, Juli 21, 2005

 
Gesellschaft
E-Mails fördern anscheinend Vorurteile

Bei elektronischer Kommunikation ist es offenbar schwierig, den Gesprächspartner persönlich zu beurteilen.
E-Mails (und vermutlich auch Internetforen, Chatrooms, Messengers usw.) tragen nicht zum Abbau von Vorurteilen über andere bei, sondern können diese sogar noch fördern. Ein persönliches Gespräch am Telefon hilft dagegen eher, einen bereits vorhandenen Eindruck zu korrigieren. Das schließen amerikanische Forscher aus einer Studie mit 60 Studenten.

Mehr bei wissenschaft.de:
Was E-Mails mit Vorurteilen zu tun haben

von Martin 15:57 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Samstag, Juli 16, 2005

 
Politik
Ökologisch, spirituell, autoritär

Es ist Wahlkampf, und auch die kleinen Parteien versenden ihre Pressemitteilungen; in der Hoffnung, dass man sie nicht völlig übersieht.
Eine dieser politischen Vereinigungen - nach eigenen Verständnis übrigens keine Partei - ist Dynamik 5. Dynamik 5 lässt sich nur schwer in die üblichen Kategorien einordnen. Nach eigenen Aussagen ist die Vereinigung ökologisch, basisdemokratisch und marktwirtschaftlich orientiert und gehört zum "ökospirituellen" Holon-Netzwerk. Politisch unterstüzt sie die sprituell orientierte Kleinpartei "Die Violetten".
Im Prinzip könnte Dynamik 5 die ideale politische Heimat für Heiden / Naturreligiöse sein, oder auch für alle, die von der abgeebbten "New Age"-Welle enttäuscht waren, aber ihre Träume von einer spirituellen, harmonischen, naturnahen und gerechten Welt nicht aufgegeben haben.
Im Prinzip.
Wären da nicht ein paar gerade für Basisdemokraten problematische Prinzipien von Dynamik 5, die auch aus dieser Pressemitteilung hervorgehen:

dynamik5 Deutschland
13.07.2005
Pressemitteilung: Für eine demokratische Neuorientierung in Europa

Die Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrages in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden und die positive Resonanz darauf in der europäischen öffentlichen Meinung zeigen die geringe Akzeptanz der bisher in Europa durchgeführten neoliberalen Politik. Gleichzeitig droht der Europäischen Union eine Lähmung durch die Überbewertung nationaler Interessen.
Damit ergibt sich eine historische Gelegenheit, eine breite demokratische Debatte über die Grundzüge eines neuen europäischen Projektes zu führen, das im Weltmaßstab denkt und nationale Verbohrtheit und wirtschaftliche Ängste überwinden kann.

Viele europaskeptische und globalisierungskritische Bürger könnten das unterschreiben. Zu ergänzen wäre, dass vor allem in den Niederlanden nicht nur die neoliberalen Tendenzen der Verfassung, sondern auch ihre alles andere als (neo-)liberalen zentralistischen und überregulierenden Elemente abgestraft wurden. Etwas befremdlich ist allenfalls ist der milde Größenwahn der vergleichsweise winzigen Dynamik 5.

Wichtige Ursachen der derzeitigen Missstände sind:
- die Möglichkeit zur unbeschränkten Anhäufung von Eigentum - welcher zur Fremdbestimmung über die Lebensgrundlagen der meisten Menschen führt und die Menschheit in Gewinner und Verlierer teilt.

Etwas populärer Antikapitalismus. Wohlgemerkt: Dynamik 5 ist nach eigenen Aussagen nicht sozialistisch, sondern markwirtschaftlich ausgerichtet.
- mehrere gesetzliche Bestimmungen (Aktiengewinne, Zinsen usw.), die zu leistungslosem Einkommen aus Besitz führen und damit eine gigantische Umverteilung von den Besitz-Armen zu den Besitz-Reichen bewirken.

Wohlwollend kann man das als Kritik an der "Zinswirtschaft" werten, wie sie z. B. von "Freiwirtschaftlern" wie Silvio Gesell, aber auch etablierten Ökonomen wie John Maynard Keynes und sogar von Karl Marx (im 3. Bsnd des „Kapitals“) geübt wurde. Wegen der Spitze auf das "leistungslose Einkommen aus Besitz" (richtiger: Eigentum), womit anscheinend nur Kapitalerträge und nicht etwa Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemeint sind, liegt leider die weniger wohlwollende Interpretation nahe: Hier wird nach altem (rechts-)populistischen Muster zwischen bösen "raffendem" Finanzkapital und gutem "schaffendem" Kapital unterschieden.
- ein parlamentarisches System, dass sich in den letzten Jahrhundert nicht weiterentwickelt hat und an Seilschaften und Parteigehorsam gebundene Politikspezialisten hervorbringt.

Das parlamentarische System hat sich durchaus weiterentwickelt, und das Problem der Seilschaften und der an Parteigehorsam gebundenen Politikspezialisten ist eines mangelhafter Transparenz und Kontrolle, keines des parlamentarischen Prinzips.
- ein politisches System, das alle Macht an einige wenige Selbstdarsteller delegiert und den Menschen die Lust und die Kraft nimmt, sich an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen.

Siehe oben: Bedauerlich, aber ein durchaus lösbares Problem der Praxis, nicht des Systems als solches.
- ein kulturelles Umfeld, das nicht in der Lage ist, den Menschen Halt, Bewusstsein und Identität zu spenden und dadurch Unsicherheit und Ersatzbefriedigungen (z.B. übermäßiger Konsum und Drogenmissbrauch) hervorruft.
So wage und pauschal ins Blaue formuliert, klingt das doch arg nach einem ultra-konservativen Stoßseufzer über die "dekadenten modernen Zeiten".
- eine durch Eigeninteressen missbrauchte WirtschaftsMoral, die nicht in der Lage ist, in Weltmaßstäben zu denken, verantwortliches und gemeinschaftliches Verhalten zu erzeugen und alle Menschen und alle Orte in ihr Wirken mit einzubeziehen.

Warum nicht gleich: "Der Kapitalismus hat versagt"? Vermutlich, weil Dynamik 5 sich "marktwirtschaftlich" nennt.

Eine Neuorientierung des Bewusstseins in Europa macht eine Reihe von dringenden Maßnahmen erforderlich:
- eine Begrenzung der Einkommen im Sinne eines Bandbreiteneinkommens nach oben und unten.

Das hat mit "Marktwirtschaft" nun nichts mehr zu tun. Selbst unter einem sozialistischen Wirtschaftsmodell verbietet sich aus pragmatischen Gründen eine staatlich verordnete obere Einkommensgrenze, weshalb es sie nicht einmal in China unter Mao gab.
- eine substantielle Zunahme des europäischen Budgets zugunsten einer sozialen Politik und die Erhöhung der Unterstützung für die neuen EU-Mitgliedsländer, um ihre Entwicklung zu fördern, statt Sozialdumping, Steuersenkungswettlauf und Betriebsverlagerungen zu dulden.

Akzeptabel, aber das haben fast alle Parteien im Wahlkampf-Repertoire.
- eine Erhöhung des öffentlichen Beitrags zur Entwicklungshilfe auf wenigstens 0,7% des jeweiligen Brutto-Inland-Produkts und die Annullierung der Schulden der armen Länder.

Klingt gut, gut gemeint – auch wenn es Afrikaner gibt, die da anderer Ansicht sind.
- den Bürgern ist ein echtes Initiativrecht (Bürgerbegehren) zu gegeben.

Das läst sich nichts gegen sagen.
- intensive Schulung der Bürger in ökonomischen Grundkenntnissen und Unterstützung individueller Bewusstseinsentwicklung.

Auch ganz vernünftig.
- die Förderung von sogenannten "Bürgerhaushalten", wo die Bürger in ihrer Kommune über essenzielle Ausgaben der Steuergelder mitentscheiden können.

An sich keine schlechte Idee, auch wenn nicht leicht sein wird, das Konzept praktisch umzusetzen.
- Gründung eines Konvents, der sich unter Einbeziehung aller Bürger um eine grundsätzliche Erweiterung des demokratischen Systems in Europa und den EU-Staaten bemühen soll.

Auch hier stellt sich die Frage nach der praktischen Umsetzung. Man könnte erst mal mit einer, im Gegensatz zum Verfassungskonvent, demokratisch gewählten verfassungsgebenden Versammlung Europas anfangen.

Mittelfristig ist die Verbesserung oder Schaffung folgender demokratischer europäischer Institutionen sinnvoll:

Bisher zeigte sich Dynamik 5 eher populistisch. Jetzt wird’s härter:
- Um eine verbindende Ethik für alle Menschen, Wesen und Orte zu erarbeiten, soll ein Grundwerte-Parlament, ein Rat der Weisen oder ein "Weltzukunftsrat" (benannt nach einer Initiative von Jakob von Uexküll) geschaffen werden. Dieser sollte eng mit dem offiziellen UN-Gremium "Komitee für Spiritualität, Werte und globale Probleme" zusammenarbeiten.

Eine verbindende und vermutlich verbindliche Universal-Ethik? Bisher kannte man dergleichen nur aus totalitären Systemen. Es stimmt, dass im Zentrum der westlichen Demokratien ein spirituelles Vakuum herrscht. Ein durch substanzielle Werte zusammengehaltene Gemeinschaft würde dem Individuum Halt geben – allerdings um den Preis, dass ein Dissens mit diesem Wertesystem nicht mehr möglich wäre, also die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen empfindlich eingeschränkt wären. Das gälte auch in dem Fall, dass die spirituellen Werte von der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung beschlossen würden. (Zur Illustration verweise ich auf die Karikatur einer "perfekten" Utopie einer Welt ohne Kriminalität und Gewalt im Film "Demolition Man".) Wahrscheinlich ist das angebliche "spirituelle Vakuum" des Westens in Wirklichkeit die Luft zum Atmen für das selbstbestimmte Individuum. In einer Demokratie kommt in erster Linie darauf an, dass das Volk die Mittel hat, die Herrschenden zu kontrollieren und abzuwählen. Das könnte bei einem "Weltzukunftsrat", einem obersten ethischen Gremium, das sozusagen vorschreibt, wie das "Gemeinwohl" auszusehen hat, schwierig werden.
- das europäische Parlament sollte gestärkt und in hierarchisch gegliederte Sachbereiche untergliedert werden.

Nichts gegen mehr Kompetenzen für das europäische Parlament. Allerdings würde eine Gliederung in hierarchisch gegliederte Sachbereiche (statt in gleichberechtigte Ausschüsse) das Wesen des Parlamentes zerstören: Die informellen Hierarchien im parlamentarische System sind schon problematisch genug.
- gleichzeitig müssen lokale und regionale Parlamente ausgebaut und gefördert werden.

Reichen nicht einfach mehr Kompetenzen aus?
- auf nationaler Ebene sollen Kultur-Parlamente entstehen, die sich in erster Linie um die kulturelle Einzigartigkeit und den kulturellen Reichtum der jeweiligen Nationen kümmern.

Aua! Aller Erfahrung nach gedeiht kulturelle Vielfalt dann am Besten, wenn die "Kulturschaffenden" möglichst von allen Gremien, Kontrollen und gut gemeinten Regelungen in Ruhe gelassen werden. Als Künstler hätte ich es nicht gern, wenn mir ein Kulturparlament Vorschriften etwa in der Richtung macht, mich gefälligst auf die regionalen Traditionen zu besinnen.
Kontakt: dynamik5 Deutschland, Sangeet Gill, Tel.: 06033/ 749083
Siehe auch: www.dynamik5.de

Dynamik5 ist mit einem Infostand und einer Veranstaltung auf dem Sozialforum in Deutschland vom 21. bis 23. Juli in Erfurt präsent.


Mein Kommentar: Unter Demokratie, zumal Basisdemokratie, verstehe ich doch etwas anderes. Ein System wird nicht allein dadurch demokratisch, dass über alles und jedes abgestimmt wird.
Meines Erachtens weist die Ideologie von Dynamik 5 deutlich totalitäre Züge auf. Zumindest besteht kaum ein Zweifel daran, dass in der Welt von Dynamik 5 die Interessen der Gemeinschaft stets Vorrang vor denen des Einzelnen haben.
Anders ausgedrückt: Dynamik 5 ist offensichtlich hochgradig "staatsgläubig".

Ich sehe Dynamik 5 in der relativ jungen Tradition des "New Age" mit seinen "sprituellen" Utopien – im Umkehrung von Marx: Das (richtige spirituelle) Bewusstsein bestimmt das Sein – seiner Vorliebe für Patentlösungen und seinem apokalyptischen Denken. Dynamik 5 steht meines Erachtens auch in der verhängnisvollen romantisierenden Tradition der deutschen Geistesgeschichte, mit dem altbekannten antirationalistischen Reflex gegen Aufklärung und "seelenlose" Moderne.

von Martin 00:28 | Einzelansicht & Kommentare (2)


Montag, Juli 11, 2005

 
Politik, Gesellschaft

Cui bono (außer den Verschwörungstheoretikern)?

Nach terroristischen Anschlägen stellt sich immer wieder die Frage "Wem nützt es?" ("Cui bono?") - Einer lautstarke Gruppierung nützt der brutale Anschlag auf den Londoner Nahverkehr allemal: Den Verschwörungstheoretikern. Die haben - wieder mal - Hochkonjunktur.

Ein bekannter und erfolgreicher, weil nicht sofort in der Spinner-Ecke zu verortender, Verschwörungstheoritiker ist Mathias Bröckers. Bröckers verdiente sich einigen Respekt als investigativer Journalist, weil er auf Ungereimtheiten in der “offiziellen” Darstellung der Attentate vom 11.9.2001 hinwies. Anschließend verdiente er ganz gut an deutlich verschwörungstheoretisch und wage "antiwestlichen" Büchern über die (angeblichen) Hintergründe von Al Qaida und den (angeblich) wahren Gründen für den "War on Terror". ("Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11. September" und "Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9." )
Bröcker - und andere Verschwörungstheoretiker seiner Richtung - gehen von einem Model der islamistischen Terroranschläge aus, bei dem "echte" islamische Terroristen von westlichen Geheimdiensten geleitet werden. Die Geheimdienste finanzieren die Operationen, wählen die Ziele und den Zeitpunkt aus, und geben technische Unterstützung. Die islamischen Terroristen stellen das Personal und sorgen für Unterstützung unter den islamischen Massen, zu denen die westlichen Geheimdienste keinen Zugang haben. Al Qaida ist eine Phantomorganisation, die wahren Terroristen sitzen in Washington, ihre Komplizen in London, Madrid, Rom usw. .
Das paßt zwar nur schlecht mit Bröckers Darstellung in seinem Webblog Mathias Bröckers' Writersblog bei Zweitausendeins zusammen, dass die Anschläge in London die verständliche Reaktion gedemütigter Moslems auf den Irakkrieg seien. Aber logische Begründungen oder stichhaltige Belegen für die Verschwörungstheorien sind nicht seine Stärke, er zieht es vor, geheimnisvoll zu raunen und anzudeuten - und auf Massenmedien wie den "Spiegel" einzudreschen, die seinen immer ungereimteren Theorien nicht mehr folgen wollen.

Wer es gerne noch etwas paranoider als bei Bröcker hat: Alex Jones' Prison Planet Fast schon X-File -Niveau ...
Oder lieber "seriös"? Geht auch, in der online-Ausgabe der FAZ: Für viele sind wir die Terroristen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Weder die Verschwörungstheoretiker noch jene,.die im islamistischen Terror einfach nur eine Art "Notwehr" gegen die (angebliche) westliche Islamfeindschaft im Allgemeinen und den Irak-Krieg im Besonderen sehen, machen die teilweise verheerende Außenpolitik der Regierung George W. Bushs besser. Die kommt auch ohne logische Begründungen und stichhaltige Belege aus, nicht aber ohne einige glatte Lügen und sehr viel ideologischen Kitt. Insofern gleicht die Weltsicht vieler Bush-Kritike spiegelbildlich der Weltsicht der meisten Bush-Anhänger.

Die Idiotie der anti-westlichen Verschwörungstheorien ändert auch nichts daran, dass "Sicherheitsexperten" und Politiker mit einer Vorliebe für autoritäre Lösungen gern die Terrorgefahr als Vorwand für die Aufrüstung der Sicherheitstechnik und die Abrüstung von Bürgerrechte verwenden.
Sie ändert auch nichts daran, das es den meisten "einfachen Leuten" in der islamischen Welt ziemlich dreckig geht. Der ursprüngliche Hauptgegner der militanten fundamentalistisch argumentieren Islamisten sind die ebenso korrupten wie despotischen Regime, die vor allem im arabischen und nordafrikanischen Raum die traurige Regel sind. Der "Westen", die "Kreuzfahrerstaaten" kam als zunächst "nur" als - vermeidlicher oder tatsächlicher - Unterstützer der arabischen Diktaturen ins Visier.
Dennoch ist für die wenigsten der brennenden Probleme der islamischen Welt ist der "Westen" verantwortlich:
Schließlich ist es nicht der Westen, der verhindert, dass die wenigsten muslimischen Frauen sich am Wirtschaftsleben beteiligen können, dass im arabischen Raum so wenig Bücher geschrieben oder übersetzt und noch weniger erstklassige Wissenschaftler produziert werden. Der Westen ist auch nicht verantwortlich für die lähmende Bürokratie in arabischen Staaten, die Vetternwirtschaft, die politische Repression und für Imame, die Freigeister verfolgen, aber sich weigern, eine Fatwa gegen Osama bin Laden zu erlassen.

Aus dem sehr lesenwerten Artikel Warum hassen sie uns? von Clemens Wergin in Tagespiegel-online" (via: Freunde der offenen Gesellschaft .

Da wir schon mal bei der allgemeinen Konspiritis sind - ich habe neulich auf einer christlich-fundamentalistischen Website eine originelle Variante zu den allgegenwärtigen Illuminaten gefunden: Nicht etwa das "Weltjudentum" oder die bösen "säkularen Humanisten", die Lieblingsfeinde der amerikanischen "Fundies" - sondern die HEIDEN:

The usual investigative method that says “follow the money trail” does NOT work with the Illuminati. It leads investigators into endless loops and cul de sacs. Quit picking off little leaves and twigs, and go to the real source at the CORE. The Illuminati is a RELIGIOUS movement. The religion is PAGANISM . For generations they have resented how Christianity and Judaism, the religions of the Bible, overthrew and displaced the old pagan gods and and religions. When Christianity conquered the old pagan world, THE PRIESTS OF THE OLD GODS WENT UNDERGROUND to survive. The priests of Jupiter, the priests of Apollo, the priestesses of Isis, the worhippers of Thor, Loki, Wotan, Bel, Ra, Horus, Shiva, Kali, the earth mother, the horned god, the believers in Hinduism, Neoplatonism, theosophy, reincarnation, astrology, placating spirits, wicca, and the Gnostics. These were all driven UNDERGROUND, driven into hiding, when Judaeo-Christian forces conquered the western world. They formed undergrounds, resistance movements, secret societies, for the preservation of “the old ways.” Their enemies had brought the religion of the Bible from ISRAEL, from JERUSALEM, and had trampled the old gods with it, and overthrown their idols, and had brought ruin to the temples of the gods. THE HATED ENEMY WAS THIS CHRISTIANITY, WHICH, HAD SPRUNG FROM A JEWISH WOMB.


Zitiert aus: Illuminati.
Trotz der Gruselfilm-Musik ein offensichtlich ERNST gemeinter Text.
Daraus ergeben sich EINSICHTEN in die WAHREN Zusammenhänge: Hinter dem angeblich islamischen Terrorismus stehen bösartige HEIDEN, die die irregeleiteten MOSLEMS und die CHRISTENHEIT aufeinander hetzen! Wenn sich dann die elenden MONOTHEISTEN gegenseitig umgebracht haben, ist endlich der Weg frei für DIE PRIESTER DER ALTEN GÖTTER.
Oh meine Götter, was sind wir bloß GEFÄHRLICH!

Auf die bevorstehende WELTHERRSCHAFT!

Ewige Blumenkraft!

von Martin 16:39 | Einzelansicht & Kommentare (1)


 
Politik

Reflexe

Es war erwartbar. Kaum dass Terroristen in der Weltmetropole London zugeschlagen haben, preschen die Innenpolitiker der Union vor und propagieren neue Anti-Terror-Maßnahmen. Günther Beckstein und Wolfgang Bosbach fordern mal wieder die zentrale Anti-Terror-Datei, damit die Behörden voneinander wissen, wer welche Akten führt. Erst vor einer Woche hat der Bundestag das abgelehnt, nicht nur mit den Stimmen von Rot-Grün, auch die FDP war dagegen.
[...]

Dabei müssen die Politiker, besonders die der Union, bedenken, dass die Menschen zwar Sicherheit wollen, die persönliche Freiheit aber nach wie vor das höhere Gut ist.
[...]

Die Anschläge von London zeigen: Es gibt keine absolute Sicherheit. Das sollten auch die Sicherheitsfanatiker der Union einsehen. Sie täten gut daran, wenn sie ihren Elan nicht nur den Symptomen, sondern verstärkt den Ursachen des Terrorismus widmen würden.

Süddeutsche: Die schwarzen Scholwellenreiter

von Hellblazer 08:22 | Einzelansicht & Kommentare (1)


Donnerstag, Juli 07, 2005

 
Medien

London

Wer wissen will was in London außerhalb des Fokus der Medien los ist dem empfehle ich einen Blick in Londoner Blogs.

Der Londonist versucht einen Newsticker, und in den Kommentaren kann man sich in den Trackbacks in andere Blogs weiterklicken. Auch die Londoner Metroblogger berichten.

Bei Technorati gehen die Einträge mit Augenzeugenberichten auch schon hoch.

Auch die Wikipedia ist schon dabei, wie auch die Wikinews.

von Hellblazer 14:44 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Mittwoch, Juli 06, 2005

 
Geschichte

Roma kamen wahrscheinlich mit den Wikingern nach England

Ein neuer Fund stellt alte Klischees in Frage.

Die Roma lebten vermutlich bereits 500 Jahre früher als bisher angenommen in England: Zumindest ein Angehöriger des ursprünglich aus Indien stammenden Volkes hat schon im zehnten Jahrhundert auf der Insel gelebt. Das schließen britische Forscher aus Untersuchungen am Erbgut von 17 Skeletten. Ein früher Kontakt mit den Wikingern könnte die Roma nach England gebracht haben, schreiben Ana Töpf und Rus Hoelzel von der Durham-Universität.


Ganzer Artikel: Im Drachenschiff nach England auf wissenschaft.de

Trifft da zu, sind sind alte, z. T. rassistische, Hypothesen über die
Einwanderung der Zigeuner hinfällig.

Sofern die geschichtlichen Aufzeichnungen nicht falsch datiert worden sind, wirft die Arbeit von Töpf und Hoelzel ein neues Licht auf die Beziehungen zwischen den Roma und den Bewohnern der Britischen Inseln: Möglicherweise haben die Wikinger während ihrer Beutezüge ins Byzantinische Reich Frauen der Roma versklavt. Doch auch freundliche Beziehungen zwischen beiden Völkern könnten Nachkommen der Roma nach England geführt haben.


Die "Sklavenhypothese" könnte zwar stimmen, auch wenn sie den alten Wikingerklischees entspricht, die "freundlichen Beziehungen zwischen beiden Völkern" sind m. E. zu "modern" gedacht. Ich schlage eine dritte Hypothese vor:
Die Besatzung eines Wikingerschiff konnte bunt aus Menschen verschiedener Herkunft gemischt sein (was in vielen Sagatexten belegt ist). Es reicht aus, wenn ein paar abenteuerlustige Roma sich einem Wiking anschlossen.

von Martin 08:51 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Dienstag, Juli 05, 2005

 
Umwelt

Massenhafter Abschuß von Kormoranen in Naturschutzgebiet

Nach einer Meldung des WWF von 3.7.05 wird in Mecklemburg-Vorpommern - mit Billigung der Behörden - gegen geltendes Naturschutzrecht verstoßen:


In einem Naturschutzgebiet bei Anklam wurden in den vergangenen Tagen offiziell 6.950 junge Kormorane aus ihren Nestern geschossen. Viele von ihnen wurden nicht gefunden und quälten sich noch tagelang. Der WWF kritisiert dieses staatlich genehmigte Vogelmassaker als überzogene Reaktion auf die Zunahme der Kormoran-Bestände. "Natürlich fressen Kormorane Fische. Es ist allerdings bis heute nicht bewiesen, ob sein Fischfang zur "Verdrängung" von Fischern und Anglern führt", so Thomas Neumann, Naturschutzexperte beim WWF Deutschland. In diesem Glauben habe man schon im 19. Jahrhundert die Kormoran-Kolonien an der Ostseeküste fast radikal ausgerottet. Aufgrund dieser Erfahrungen unterliege der Kormoran heute nationalem wie europäischem Naturschutzrecht. Abschüsse seien nur bei nachgewiesenen, erheblichen Schäden und im begrenzten Umfang statthaft.


Mehr: Vogelmassaker an der Ostseeküste

von Martin 09:40 | Einzelansicht & Kommentare (0)


Montag, Juli 04, 2005

 
Politik

Unbequemes über Afrika

Auf Spiegel-Online schlägt der kenianische Wirtschaftsexperten James Shikwati ziemlich ungewohnte und gerade für gutmeinende "Afrika-Freunde" unbequeme Töne an: Streicht diese Hilfe

James Shikwati ist ein erklärter Globalisierungs-Befürworter und Wirtschaftsliberaler - mitsamt dem mitunter naiv anmuten Glauben an die heilsamen Kräfte des freien Marktes. Seine Dignosen des traurigen Ist-Zustandes sind aber gerade auch für eher globalisierungs-skeptische Leser sehr interessant:

Shikwati: Solche Vorsätze schaden unserem Kontinent schon seit 40 Jahren. Wenn die Industrienationen den Afrikanern wirklich helfen wollen, sollten sie endlich diese furchtbare Hilfe streichen. Jenen Ländern, welche die meiste Entwicklungshilfe kassiert haben, geht es am schlechtesten. Trotz der Milliarden, die geflossen sind, ist der Kontinent arm.

SPIEGEL: Können Sie uns dieses Paradox erklären?

Shikwati: Es werden riesige Bürokratien finanziert, Korruption und Selbstgefälligkeit gefördert, Afrikaner zu Bettlern erzogen und zur Unselbständigkeit. Zudem schwächt die Entwicklungshilfe überall die lokalen Märkte und den Unternehmergeist, den wir so dringend brauchen. Sie ist einer der Gründe für Afrikas Probleme, so absurd das klingen mag. Wenn sie abgeschafft würde, bekäme das der kleine Mann gar nicht mit. Nur die Funktionäre wären schockiert. Darum behaupten sie, die Welt ginge unter ohne diese Entwicklungshilfe.


Zweifellos richtig ist folgende Diagnose Shikwatis:

SPIEGEL: Wäre Afrika überhaupt in der Lage, seine Probleme selbst zu lösen?

Shikwati: Natürlich. In kaum einem Land südlich der Sahara müsste tatsächlich gehungert werden. Zudem sind reichlich Bodenschätze vorhanden: Öl, Gold, Diamanten. Afrika wird stets nur leidend dargestellt, dabei sind die meisten Zahlen maßlos übertrieben. In den Industrienationen wird immer der Eindruck erweckt, ohne Entwicklungshilfe würde Afrika untergehen. Aber glauben Sie mir: Afrika hat es schon vor euch Europäern gegeben. Und es ging uns gar nicht so schlecht.


Nachdenklich stimmt Shikawatis Aussage, dass Malaria für Afrika ein ebenso großes Problem ist wie AIDS, über das aber niemand spricht.
Shikwati: Aids ist ein Riesengeschäft, vielleicht das größte in Afrika. Mit nichts anderem kann man so viel Geld lockermachen wie mit schockierenden Aids-Zahlen. Aids ist hier eine politische Krankheit, wir sollten besonders misstrauisch sein.


Eine neben fragwürdigen Lebensmittelprogrammen (aus mit hohen Subventionen gepäppelten europäischen und amerikanischen Überschußproduktionen) besonders problematische "Hilfe" sind die gut gemeinte Kleiderspenden:

Shikwati: Was sollen diese Kleiderberge? Hier friert niemand, stattdessen werden unsere Schneider arbeitslos. Ihnen geht es wie den Bauern. So kostengünstig kann niemand aus der afrikanischen Billiglohnwelt sein, dass er mit den gespendeten Produkten mithalten könnte. 1997 waren in Nigeria 137.000 Arbeiter in der Textilindustrie tätig, im Jahr 2003 waren es noch 57 000. Und so sieht es überall aus, wo überschäumende Hilfsbereitschaft auf fragile afrikanische Märkte trifft.


Auch wenn man Shikawatis ultra-liberale Rezepte nicht teilt - an der Erkenntnis, dass die bisherige Form der "Entwicklungshilfe" den Interessen z. B. der Agrar- und Textilindustrie (und den Rohstoff-Aufkäufern - und den Waffenhändlern) in den "Geberländern" und ebenso dünnen wie korrupten "Eliten" in Afrika nützt, den einfachen Afrikanern aber eher schadet, führt kein Weg vorbei. Was m. E. nichts daran ändert, dass z. B. die Schuldenkrise durchaus real ist und Schuldenerlasse im Sinne einer größeren wirtschaftlichen Unabhängigkeit sinnvoll sein können - und das auf die "Marktkräfte" bei den derzeitigen ökonomischen Machtverhältnissen kein Verlass sein dürfte.

von Martin 23:40 | Einzelansicht & Kommentare (0)


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