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Ariosophie – was ist das und wo kommt sie her?

(basiert auf: "Ariosophie – ein Überblick" von Hans Schuhmacher 1996. Textliche Neufassung samt Erweiterungen von Duke Meyer 2004)


Die Ariosophie ist eine spirituell verbrämte Ideologie aus dem 19. Jh., die nicht nur den alten Nazis den geistigen Überbau mitlieferte, sondern auch noch in der Gegenwart die Menschheit einteilt in "wertvolle" bis hin zu "weniger wertvollen", mithin "unwertigen Rassen" – und damit erheblichen sozialen Schaden anrichtet. Während spätestens seit der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands wenigstens "wissenschaftlicher" Rassenwahn weltweit endgültig diskreditiert sein dürfte, feiert die Ariosophie samt ihren Ablegern speziell in esoterischen und heidnischen Kreisen nach wie vor (oder wieder) giftige Urständ΄.
Im Unterschied zur späten Kolonialzeit, als Rassismus europaweit salonfähig zu werden drohte und in den Völkermord-Exzessen der Nazis des 20. Jh. gipfelte, kommen heutige rassistische Thesen – gerade in der sog. Heidenszene – eher versteckt und vernebelt daher: Oft wissen die manchmal böswilligen, oft aber nur naiven Verbreiter solcher Thesen nicht mal selbst wirklich genau, woher sie ihre kruden Auffassungen, die sie mitunter für "germanisch", "keltisch" oder sonstwie archaisch bis gleich ganz "natürlich" halten, herhaben – und wes Ungeistes Kind sie damit austragen und verbreiten.
Dieser Unkenntnis aufklärerisch entgegenzuwirken, ist das Ziel des sog. "Ariosophie-Projektes" seit seinen Anfängen Mitte der 90er Jahre. Der Themenkomplex hat sich inzwischen erkennbar erweitert (was eine Umbenennung des Projektes zumindest seitens seiner ursprünglichen Auftraggeberin, der Nornirs Ζtt, demnächst nahelegen könnte) – hier jedoch sei erklärt, was es mit der Ariosophie als solcher auf sich hat, was ihre Thesen beinhalten, woher sie stammen – und wie ihnen begegnet werden kann.

Rückblicke, Ausblicke

Mitte der 90er Jahre war für Beobachter der sog. Neuheidenszene festzustellen, dass bezüglich der inhaltlichen "Wissensquellen" und angeblichen "heidnischen Traditionen", auf die sich nicht wenige selbsternannte neuheidnische Wortführer berufen, zumindest bei deren Anhängern eine beträchtliche Unkenntnis herrscht(e). Recherchen ergaben, dass die angeblichen "tausendjährigen Familientraditionen" (so eine typische von zahlreichen Übertreibungen wie auch Vernebelungen seitens diverser Neuheidenfürsten beiderlei Geschlechts) keineswegs auf tatsächliche historische Kulturen germanischer, keltischer oder anderer mitteleuropäischer Stämme zurückgehen, sowenig wie auf eine angeblich "ungebrochene" Tradition offensichtlich zahlloser "Hexen", die während der Inquisition die "Hexenkultur halt heimlich" und "im Untergrund weitergelebt" haben sollen, sondern zu oft wesentlichen bis zumindest bemerkenswerten Anteilen in ganz speziellen Ideologien der jüngsten Jahrhunderte fußen.

Als gemeinsamer Kern zahlreicher ideologischer Versatzstücke, die heute in neuheidnischen wie esoterischen Kreisen als identitätsstiftend kursieren – und dabei innerhalb dieser Szenen sowohl zur Desinformation beitragen, als auch aufgrund ihrer meist sozialdarwinistischen oder vergleichbar menschenfeindlichen, sich gleichwohl als "natürlich" ausgebenden Konstruiertheit allgemein in der übrigen Gesellschaft deren Bild vom undemokratischen, für nationalistische bis rassistische Ansichten kritiklos anfälligen Neuheiden nach wie vor mitzementieren, wurden Theosophie und Ariosophie ausgemacht - wobei die Ariosophie das direkte Kind der Theosophie ist.

Einfacher gesagt: Vielfach beziehen heutige Heiden ihr oft ausschließlich "esoterisches" Wissen, wie daraus abgeleitete moderne Praktiken ihres kulturellen Heidentums, nicht so sehr aus den wenigen gesicherten historischen Quellen und Forschungsergebnissen archäologischer und vergleichbarer Wissenschaften, von zusätzlich eigener, kreativer Neuerschaffung naturreligiöser Kulturformen mal ganz abgesehen, als vielmehr häufig – dies zwar nicht nur, aber auch – aus kolonialzeitlichen, durch und durch rassistischen Ideologien: hier haargenau denselben, die bereits den Nationalsozialisten im 20. Jh. die bekannt krude "Rechtfertigung" für Terror und Völkermord lieferten.

Das verquere Bild auf "die Germanen", um nur den seitdem öffentlich am meisten diskreditierten Begriff zu nennen, das in der heutigen Gesellschaft, ihren Medien – und selbst manchen "Fachkreisen" – immer noch beharrlich gepflegt wird, obwohl es durch die seriöse Forschung zunehmend widerlegt wird, ist die eine Sache – die andere ist, was angeblich "germanische", "keltische" oder sonstwie als historisch und "wahr" ausgegebene, mitunter als angeblich "jahrhundertelang heimlich" überlieferte "Traditionen" anrichten: soweit diese angeblich "echt heidnischen Traditionen" in Wirklichkeit das bloße Denk-Konstrukt rassistischer Esoteriker des 19. und 20. Jh. sind, deren Auffassungen auch deshalb solche Verbreitung in die heutige Zeit fanden, weil das gegenseitige Abschreiben und Nachplappern in Eso- wie Neuheidenkreisen ebenso üblich ist wie die kritische Recherche offenbar verpönt.
Das Nachsehen haben dabei diejenigen herzoffenen Sinnsucher unserer Tage, die dem nächstbesten Hexenguru oder Wortführer eher aufgrund dessen persönlich als charismatisch empfundener Ausstrahlung glauben, und die – nach entsprechender Sozialisierung in den entsprechenden Gruppierungen – schließlich in autoritäre, offen oder versteckt hierarchische Strukturen und Denkweisen eingebunden werden, deren kulturelle Glaubenssätze sie nicht mehr kritisch überprüfen können, ohne gleichzeitig die eigene, oft über diverse "Einweihungsrituale" mühsam errungene, dann als "neu" und sinnstiftend empfundene Identität anzuzweifeln gezwungen wären – eine Konsequenz, die dann die allermeisten überfordert.

Die natürliche Folge einer solchen "autoritären Identitätsverstrickung" ist eine erkennbare Tendenz zur Pauschalablehnung jeglicher inhaltlichen Kritik, dies im Namen der vom andern jeweils rasch und eilig eingeforderten "Toleranz" – möglicherweise den möglichen Kritiker dabei selbst bereits mit Schmähworten bedenkend, ohne des eigenen Widerspruchs darin auch nur gewahr zu werden. Die Forderung nach "Meinungsfreiheit" wird formuliert, gemeint aber wird ein Zustand "frei von Meinung".
Findet dann trotzdem noch sachliche Kritik statt, wird sie unweigerlich als Ablehnung der eigenen Person empfunden. Man verlässt also nahezu zwanghaft die – dieserart gar nicht mehr als ziviles Auseinandersetzungsforum begriffene – Ebene der Sachdiskussion, um sich in rein persönlichen Verbalfehden auszutoben, die freilich zu keinem anderen Ergebnis führen können als den wechselnden Sympathiewallungen von "jemand mag mich" oder "mag mich nicht"...

Die nach wie vor anhaltende Verbreitung ariosophischer Ideen sorgt für zahlreiche antidemokratische, ja menschenfeindliche und als solche teilweise leider tief verankerte Auffassungen innerhalb der Neuheidenszene – auch wenn dies innerhalb dieser Szene vielerorts abgestritten wird, da man sich selbst durchaus für "politisch unschuldig" hält, was ja subjektiv wahr sein mag. Es geht aber keineswegs um "Schuld" oder dergleichen unsinnige Konstrukte, sondern lediglich um kritische Aufklärung. Die zuallererst das Ziel hat, die Ariosophie samt verwandter Ideologien dorthin zu befördern, wo sie einzig hingehört: auf den Müllhaufen der Geschichte (Abteilung "Horrormuseum"). Zur gefälligen Betrachtung, und gut beleuchtet: auf dass sie fürderhin keinen Schaden mehr anrichtet.

Konkret: Ariosophische Einflüsse, als solche oft unerkannt), machen aus harmlosen Sinnsuchern autoritätsgläubige Mitläufer und kritiklose (oft gar eifrig "bekennende") Tolerierer rassistischer Umtriebe. Den faktischen Führern, Lichtgestalten, "Kultleitern", "Hohepriestern", "Druiden", "Allsherjargoden" oder was der blumigen Titel mehr sein mögen kann man durchaus nicht per se eine offene rassistische oder gar nationalsozialismus-ähnliche Gesinnung als solche unterstellen – denen reicht zumeist der möglichst kritiklose Glaube der jeweiligen Anhängerschar an ihre sonstwie "geheiligte" Person und deren Position.
Dass die bestehenden Strukturen in der Heidenszene – die sich in kritischem Diskurs bestenfalls und ansatz- bzw. stellenweise soeben gerade mal zu bemühen begonnen hat – eben auch nachgerade noch dem jämmerlichsten Sozialversager damit überhaupt eine Anhängerschaft ermöglichen, solange der nur sein "uralt überliefertes Geheimwissen" entschieden und beharrlich genug vertritt, steht auf einem andern Blatt.

Noch Mitte der 90er Jahre, als die Arbeit des "Ariosophie-Projekts" begann, fiel vor allem auf, dass zahlreiche ideologische Einflüsse innerhalb der Heidenszene nahezu unweigerlich auf den sog. "Armanenorden" zurückgingen, bei dem offenbar nicht nur "geistige" Fäden zusammenliefen. In der Heidenszene galt dieser elitär-hierarchisch organisierte und sehr geheimnistuerische "Orden" – den man in etwa so "germanisch" nennen kann wie Hitler blond war, und der, wichtiger, seine zutiefst rassistischen Thesen hinter einem beträchtlichen Schwampf esoterischen Geblubbers zu verbergen versteht – lediglich als "ein bißchen rechts". Freundschaftliche Kontakte mit Vertretern dieser Antidemokraten waren neuheidnischerseits nahezu jahrzehntelang an der Tagesordnung – fast mochte (genauer: musste) man dem "Armanenorden" eine Art geistiges Monopol zugestehen, was die Ausdeutung all dessen betraf, was in heutiger Zeit als "heidnisch" im allgemeinen, davon im besonderen als "germanisch" zu gelten habe.

Zwar hat sich ein offizielles Verbot des "Armanenordens" nicht durchsetzen lassen. Dem Verfassungsschutz war es wohl zu mühsam, sich durch die esoterische Gülle der uns vorliegenden Armanenpapiere durchzukämpfen – in denen sich gleichwohl zahlreiche Thesen wiederfanden, die Grundgesetz und demokratischer Verfassung krass und feindschaftlich entgegenstehen, bis hin zur Leugnung des Holocaust, doch darf man vorsichtig feststellen, dass in den letzten zehn Jahren mit der Anzahl bekennender Heiden auch die Zahl der prinzipiell demokratischen und kritischen immerhin erkennbar gewachsen ist. Dies sicherlich nicht aus heiterem Himmel: Speziell der Rabenclan hat sich von Anfang an bei den entsprechenden Heidenkreisen – und insbesondere deren bis dato unangefochtenem Fürstenfilz ausgiebiger Rassistenseilschaften und -kungeleien – durch entsprechend kritische Auseinandersetzung und politische Beharrlichkeit unbeliebt gemacht – und letztlich maßgeblich dazu beigetragen, dass die selbsternannten, autoritären Heidenführer ihre (nochmal, geschmackshalber: oft "tausendjährigen") Positionen und Ansprüche mittlerweile wenigstens nicht mehr unwidersprochen für eine ganze Szene postulieren können, geschweige denn, wie vorher tatsächlich jahrzehntelang, auf selbstverständliche Anerkennung hoffen können – letzteres ganz einfach, indem sie für alles, was das weite Thema "traditionelles Heidentum" betrifft, nach wie vor, wenngleich zunehmend verzweifelt, die Deutungshoheit beanspruchen.

Der "Armanenorden" hat seine einstige Stellung als geistiges Quellenmonopol, wenngleich damals üblicherweise – aufgrund der freundschaftlichen Kungeleien – jeweils aus zweiter bis dritter Hand "vermittelt", für das heutige Heidentum in Deutschland weitgehend eingebüßt. Wer heute auf naturreligiös ambitionierter Sinnsuche ist, gerät nicht mehr zwangsläufig in die geistigen Fänge solch elitärer Eso-Deuter, deren faktische Ideologie mit "Naturreligion" im Wortsinne nichts zu tun hat, auch wenn sie das beharrlich vorgibt, sondern findet – zumindest mit etwas Glück – wenigstens eine vergleichsweise bunte heidnische "Szene", in der man "solche und solche" trifft und in der neuerdings, wenn auch nur zum Teil, kontrovers und kritisch diskutiert wird. "Kontrovers" bezieht sich hier lediglich auf die noch nicht allzu verbreitete Bereitschaft und Fähigkeit in Heidenkreisen, sachliche Diskussion von persönlichen Sympathiefragen zu trennen (s.o....). Nichtsdestotrotz ist die Bereitwilligkeit vieler Neuheiden, allen möglichen ahistorischen bis hin zu konkret rassistischem Unfug unhinterfragt zu glauben und als irgendwie "traditionell", "echt" oder sonstwie statthaft hin- und anzunehmen, nach wie vor erschreckend.

Erst in dem Maß, wie sich die Erkenntnis durchsetzt, dass gesellschaftliche Toleranz bei den Feinden dieser Toleranz halt machen muss, und jene auch nicht mehr damit verteidigt werden, dass es ja auch "nette Leute" unter ihnen oder neben ihnen gäbe: was ja sein mag, aber eben nichts an mehr oder minder offen menschenfeindlichen Auffassungen ändert, wird man Rassisten und deren Freunde und Mitläufer derart kenntlich machen können, dass in Zukunft diese sich rechtfertigen müssen, wenn sie sich zu irgendeiner Art "Heidentum" bekennen – und nicht mehr all jene tatsächlichen Heiden, bei denen Naturreligion an sich von vornherein im Widerspruch steht – ja: stehen muss! – mit menschenfeindlichen Äußerungen aller Art.

Herkunft der Ariosophie

Die Ariosophie ist direkt aus der sog. Theosophie hervorgegangen. Die Theosophie wiederum wurzelt in spiritistischen Kreisen der U.S.A. des 19. Jh., aus der sie durch die Gründung der Theosophischen Gesellschaft 1875 als eine Art religiöser Erneuerungsbewegung hervortrat. Deren Thesen sind in erster Linie begründet auf die Schriften von Helena Petrowna Blawatzky (1831-1891), die ihr "Wissen" und ihre angeblich "medialen Fähigkeiten" auf den Kontakt mit "Meistern" zurückführte. (1)

Gewisse esoterische Verlage unserer Zeit haben die Machwerke Blawatzkys übrigens ohne jeden entsprechenden Kommentar im Programm, als handele es sich dabei um ebenso harmlose und gefällige Dinge wie Duftlampen für ätherische Öle oder Anleitungen für Bachblüten-Sammler...

Im Wesentlichen beruht die Theosophie auf zwei Grundthesen: zum einen die einer "gemeinsamen esoterischen Essenz" aller Religionen (2), und zum andern die Anwendbarkeit des ohnedies schon bis zur groben Verfälschung verzerrten biologischen Evolutionsmodells von Darwin auf die "spirituelle Ebene".

Die Annahme einer grundsätzlich gemeinsamen "Essenz aller Religionen" erlaubt jedwede Vermengung und Vermischung religiöser Aussagen und Grundhaltungen, je nachdem, welche einem gerade "in den Pott paßt", zu einem völlig beliebigen Ganzen – samt ebenso beliebiger Beimengung von Spiritismus und Okkultismus. Einmal davon abgesehen, dass sowohl spiritistische als auch okkulte Elemente und Praktiken keineswegs zu jeder Religion passen, ignoriert eine solche Haltung definitiv vorhandene fundamentale Gegensätze zwischen den Religionen selbst.
Anhängern monotheistischer Religionen mag es – rein menschlich – noch nachsehbar sein, dass sie als Verfechter einer "einzigen" und als "absolut" empfundenen – womöglich "alleinseligmachenden" – "Wahrheit" die Idee einer "Gemeinsamkeit aller" dankbar aufgreifen, zur Verbreitung ihrer Ansicht, dass Götternamen eben "nur Namen" seien und somit kein "wirklicher" Unterschied bestünde zwischen Jesus, Allah oder sonstwem. Wobei die grob verallgemeinernde These des "alles ist eines" vor allem von konfessionslosen Christen wie auch von Esoterikern deutlich öfter aufgegriffen wird als z.B. von Muslims oder Asatrú – wobei letztere natürlich keine Monotheisten sind.
Spätestens bekennende Naturreligiöse sitzen hier aber wohl einem gewissen bequemen Harmoniebedürfnis auf.
Man muss allerdings schon – oder noch – dankbar sein dafür, wenn sich heutige Heiden nicht allein oder vor allem über ihre Ablehnung zum Christentum definieren – dessen äußere Formen, Auswüchse und Verwerfungen sie so vehement zu kritisieren bereit sind, wie es ihnen anderseits schwerzufallen scheint, sich von seinen tatsächlichen Denkstrukturen zu befreien – die wiederum, in unserem Kulturkreis, auch all jene aufgesogen haben, die sich nicht allzusehr von äußerlicher "Christenfrömmigkeit" bombardiert zu fühlen brauchten in ihrem Leben. Dies ist allerdings wieder ein anderes Thema.

Zurück zur Ariosophie: Eine Schlüsselrolle haben natürlich die sogenannten "Meister", und, da die natürlich unsichtbar bleiben, ihre Interpreten: diejenigen, die behaupten, mit ebenjenen "Meistern" in "Kontakt" zu stehen. Hier zeigt sich eine erste Parallele mit jedweder Offenbarungsreligion – deren faktische Karikatur die Ariosophie ja auch darstellt: Es wird eine übergeordnete Autorität akzeptiert – und eine(r), der die entsprechenden "Eingebungen" erhält. Die jeweils so auftretende Person wird automatisch zum Sinnstifter, und es ergibt sich ein sozialmagnetisches Gerangel um die größtmögliche Nähe zu ihm.
Das erzeugt eine autoritäre, mit Leichtigkeit hierarchisch ausformbare und damit tiefgreifend manifestierbare Struktur: Wer näher am "Propheten" ist, hat mehr Anteil an der "Wahrheit" – perfektes Einfallstor beliebiger Systeme von "Einweihungen" – oder deren Vorenthaltungen, falls wer "noch nicht soweit" sein sollte, sich als mehr oder weniger "würdig" oder "reif" erweist, was natürlich im persönlichen Sinne und Gusto der jeweiligen menschlichen Autoritätspersonen, sprich Amtsinhaber, ausfällt. Denn "Kontakt" zum nebulösen "Meister" haben ja nur die "Auserwählten". Dabei ist es ganz egal, ob der Auserwählte berichtet, was "Odin sagt" oder "Meister Hitzliputzli".
Ariosophische sowie von dieser Ideologie entsprechend beinflusste Systeme fußen auf dem Gefälle zwischen "Wissensinhabern" und jenen, denen das "Wissen" in entsprechenden Dosen zugeführt (oder verweigert) wird. Soziale Kontrollmöglichkeiten finden in solchen Systemen in aller Regel nicht statt. Entsprechend autoritären Verhältnissen sind hier Tür und Tor geöffnet.

Kommt derlei vielleicht bekannt vor – auch solchen Lesern, denen das Wort "Ariosophie" bislang unbekannt war? Sehen Sie: Das gehört zum Wesen der Ariosophie. Sie braucht sich nicht selbst zu erkennen zu geben, um wirksam zu werden. Im Gegenteil: Das Unwissen um ihre Definition ermöglicht erst ihre entsprechende Verbreitung: auch tief in Kreise hinein, die "offiziell" ganz andere Werte wollen.

Zurück zum Ursprung der Ariosophie: Sie entstand aus der Theosophie, die die Grundlage zum mystisch-religiösen Rassismus und Sozialdarwinismus schuf. Die Grundthese dieser "religiösen Erweckungsbewegung" darf man sich vor dem Tritt in die Tonne möglicher Unappetitlichkeiten getrost auf der Zunge zergehen lassen: Die Menschheit gliedere sich, so die Theosophie, in "Wurzelrassen", von denen eine "auf Atlantis" entstanden sei und sich wieder in fünf "Unterrassen" gliedere. Deren höchste Entwicklungsstufe stellten die "Arier" dar... (3)
Bei einer okkulten Herkunft der "Rassen", sowie bei einer "auserwählten", der "arischen" nämlich, beweist auch der zeitgenössische Eso-Demagoge Udo Holey, besser bekannt als "Jan van Helsing", der die ursprüngliche Herkunft der "fünf Wurzelrassen" zwar auf den Stern Aldebaran verlegt, dass diese Vorstellungen nach wie vor vertreten werden: Auch bei ihm, diesem nationalistisch-paranoiden Trivialliteratur-Jockey verschiedenster altbackener Verschwörungstheorien, sind wieder mal "die Juden" an allem schuld (denn die gehören parasitären niederen Rassen (Stufen) an), während anderseits und paradoxerweise "die Germanen", die er typischer- wie fälschlicherweise mit den späteren Deutschen assoziiert, angeblich irgendeinem einem "13. biblischen Stamm Juda" enstammen sollen – so vom Verfasser dieses Artikels wörtlich in den 90er Jahren einem mündlichen Vortrag Bohleys in kleinem Eso-Kreise in Nürnberg abgelauscht...

Zu den zentralen Themen der Theosophie gehört auch die Reinkarnationslehre, die sich in spezifisch rassistischer Form auch beim heutigen "Armanenorden" findet (4) und sich auch weit über dessen direkt angrenzenden Kreise hinaus verbreitet hat. Unzufällig hat ebendiese Reinkarnationslehre auch in der New-Age-Bewegung zentrale Bedeutung, als "Karma"-Lehre ebenfalls bis in Kreise verbreitet, die sich selbst ungern als "New Age"-zugehörig titulieren lassen.
Nach dieser "Karma"- oder "Reinkarnations"-Lehre richten sich Geburtsumstände wie auch Lebenserfahrungen nach einem angenommenen "Entwicklungsstand" und "Lernerfahrungen" in früheren Leben. Undifferenzierte Religionsvermischungen, als ob Gottheiten, sonstige Kräfte, rituelle Methoden, Symbole und Praktiken nur beliebig konsumierbare und letztlich austauschbare Waren eines globalen esoterischen Supermarkts seien, und der Glaube an "Meister" finden sich dort ebenso häufig wieder wie nicht enden wollende Gerüchte um "Atlantis", die man in Eso-Kreisen freilich nicht konkret hinterfragen darf, ohne als unwissender, harmoniestörender Spielverderber zu gelten.

Gerade die Karma- und Reinkarnationslehre ignoriert – zumindest in ihrer zur westhemisphärischen Mode heruntergekommenen Spielart von New-Age- und Esoterik-Szene – gesellschaftspolitische Verhältnisse, Wirkungen und Ursachen im Leben von Menschen – ja: leugnet diese sogar. Kein Wunder (und schon gar kein "Karma"), dass die Anhänger dieser Lehre sämtliche erkennbaren Mißstände von individueller Tragik bis hin zu gesamtgesellschaftlichen Auswüchsen wie Krieg und Vökermord ausnahmslos dem jeweiligen "Karma" zuschreiben – und damit eine kritiklose und passive Haltung fördern, die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit selbst zum Kult erhebt. Wobei sie sich insoweit auch auf das allgemeine sittenchristliche Erbe stützen kann, das "persönliche Schuld" als traditionell tragendes Element auch in vermeintlichen Atheisten verinnerlicht hat – der esoterische "Karma"-Glaube spricht die mit solcher Erblast heimlich Geplagten zusätzlich von jeder Notwendigkeit frei, irgendwo gesellschaftlich handeln zu müssen. Der einst von mittelalterlicher Furchtsamkeit geprägte Glaube an die "Gottgegebenheit" aller Verhältnisse ist hier durch die entspannt und "befreit" lächelnde Variante des "Karmas" perfekt ersetzt: Man muss jetzt nicht mehr fromm – im christlichen Sinne – sein, um ebenso doof wie feige bleiben zu dürfen.

Es wird hier keineswegs behauptet, die gesamte New-Age- oder Esoterik-Szene sei überwiegend faschistoid. Nennbare Einzelströmungen, Einflüsse und Methoden dieser Bewegungen sind diskutabel – und viele ihrer Vertreter sind dabei, unsere materialistische Gesellschaft auch mit diskutablen Alternativen und Weiterentwicklungen zu bereichern: diverse, von und bei anderen Kulturen erlernte Heilverfahren gegenüber westlicher "Apparatemedizin" – wobei die jeweiligen Potentiale idealerweise nicht in gegenseitigem Ausschluß, sondern als mögliche Ergänzungen erkannt und erprobt werden – "best of all worlds" – seien hier nur als ein größeres Beispiel angemerkt, dessen Behandlung eigene kritische Artikel verdient. Thema dieser Erörterung ist lediglich, wie leicht eine kritiklose Übernahme theosophischer Auffassungen den Boden bereiten kann für eine Ideologie wie die Ariosophie, die das rassistische Weltbild der Kolonialzeit bis in unsere Tage hinein konserviert und wiederbelebt – und die, wenn man ihr nicht Einhalt gebietet, das angeblich begonnene ideenreiche "Wassermannzeitalter" zu einem ebenso mörderischen werden lässt, wie es die vergangenen zweitausend Jahre des "Glaubenszeitalters" im "Zeichen der Fische" waren. Doch zurück zu den ideologischen Anfängen.

Die Guido-von-List-Gesellschaft

Guido List, 1848 geboren, der sich später mit einem "von" selbst adelte – womit er in ariosophischen Kreisen eine "Selbstadelungstradition" begründete - ist der eigentliche Erfinder der Ariosophie. Er behauptete, durch angebliche "Erb-Erinnerungen" den Ursprung der germanischen Runen und der Sprache an sich gefunden zu haben (5). Ein großer Teil dieser "Schauungen" fand während einer längeren Erkrankung Lists im Jahre 1902 statt. In deren Verlauf ordnete er z.B. den 18 in der altnordischen Edda überlieferten Runen-Rätselversen – die selbst keine einzige Rune explizit benennen – beliebig Runennamen zu, die er aus dem sog. Jüngeren Futhark, dem Runensystem aus der Wikingerzeit, zusammenfledderte.

"Außerdem war List im 'Bund der Germanen' aktiv, der der alldeutschen 'Los-von-Rom-Bewegung' um Georg Ritter von Schönerer nahestand. Schönerer propagierte ein nationales Christentum, in dem er die katholische Kirche mit den germanenfeindlichen christlichen Missionaren identifizierte, von denen es sich zu befreien galt." (6)

Während Lists Bemühungen um akademische Anerkennung erfolglos blieben, verschaffte ihm jedoch die Gründung der Guido-von-List-Gesellschaft einen bald zunehmenden Bekanntheitsgrad. Die Mitgliedslisten dieser Gesellschaft, die ab 1908 Lists "Forschungen" finanzierte und publizierte, füllten hauptsächlich Angehörige des Großbürgertums und Adels, Großindustrielle, Regierungsräte, Professoren und Militärs – und neben einigen völkischen Vereinigungen die gesamte Wiener "Theosophische Gesellschaft". (7)

List beschrieb die Gesellschaft, Kultur und Religion der von ihm propagierten frei erfundenen "Ario-Germanen" folgendermaßen:

Ausgehend vom theosophischen Grundkonzept, nach dem alle Religionen in ihrem Kern dieselbe esoterische Lehre verträten, diene die Exoterik dem Volk, im Sinne "niederer sozialer Klassen", die geistig "nicht so hoch entwickelt" seien. Ein solches System sei die polytheistische Religion der "Ario-Germanen" gewesen, wie sie in Sagen und Mythen überliefert sei und die List "Wuotanismus" nannte.
Dessen esoterischer Kern, der "Armanismus" oder die "Winihei" dagegen sei monotheistisch, da die Wissenden erkennen, dass die Götter immer nur Personifikationen der Sondereigenschaften "des einen, großen, unnennbaren Gottes" darstellten... Nach theosophischem Vorbild entstand eine hierarchische Gliederung von Wesen, die nach ihrem "geistigen Entwicklungsstand" eingeordnet wurden. In dieser Denkart verkehrte jedes Individuum nur mit "dem Geist oder Gott, auf dessen Stufe es sich befindet" – womit die Volks- und Rassenzugehörigkeit in diesem System die herausragende Rolle spielte. Die "Arier" hätten darin den "höchsten Entwicklungsstand" innegehabt. (8)

Anstelle einer angeblich "heidnischen" Naturreligion lehrte List also das genaue Gegenteil: ein kosmisches Stufensystem "göttlichen" Ursprungs, dessen strenge hierarchische Staffelung sich nach dem jeweiligen "Entwicklungsstand" des Einzelnen richte. Da kann es nicht verwundern, dass List vorwiegend von einem Filz reicher Oberschichtsangehöriger, hohen Beamten und Theosophen unterstützt wurde: Dieselben "Herren", die ihrerzeit schon für die reale Unterdrückung und Ausbeutung ganzer Völkerscharen hauptverantwortlich genannt werden können, investierten natürlich gern in diese Ideologie, die ihr Tun und Treiben "kosmisch" zu rechtfertigen trachtete. Der Ausplünderung ganzer Erdteile nebst der Entrechtung ihrer Bevölkerungen durch eine weiße Minderheit lieferte Lists Ariosophie den passenden mystischen Überbau. Dagegen nimmt sich die mitgelieferte Darstellung eines Polytheismus für die "geistig von Natur aus minderbemittelten" Massen, die die "höherstehende" monotheistische Feinheit einer solchen "Religion" gar nicht erfassen können, schon fast wieder niedlich aus. Doch es fällt auf, dass der heutige "Armanenorden" genau diese Auffassung teilt und nach wie vor propagiert: Für die "weniger Eingeweihten" wird hier ein "heidnischer Kult" inszeniert, um diese stufenweise auf den faschistoiden Monotheismus a la List einzuschwören.

Hierbei sei zudem angemerkt, dass Adolf Schleipfer vor der 1976 erfolgten Gründung des "Armanenordens" (10) bereits 1967 die "Guido-von-List-Gesellschaft" übernommen hatte (9).

List sah die Aufgabe seines "Wuotanismus" vorwiegend darin, die "arische Rasse" zu erhalten und eine "Edelrasse" heranzuziehen, was auch die Hauptaufgabe der Ehe sei.
Die Heranzüchtung des "Edelgeschlechts" sollte lt. List der Adel übernehmen, der das Zeichen "besonderer Rassereinheit" darstelle. Nur für diese "reinrassigen Arier" sah Lists Ideologie Freiheit und bürgerliches Recht vor. Allen anderen, den sog. "Minderrassigen", sprach List nicht nur höhere Positionen und das Recht auf Grundbesitz, sondern gar von vornherein auch jedes Stimmrecht ab: ausschließlich in den "dienenden Positionen" von Lohnarbeit und Sklaverei wollte List die breite Masse der Bevölkerung sehen und rechtfertigte dies u.a. mit der Lehre der Wiedergeburt, wie sie bereits von der Theosophie propagiert worden war (11).

Was die soziale Ordnung seiner "Ario-Germanen" betraf, so projizierte List seine Ideen eines "idealen Staates" (der rassistische, elitäre und imperialistische Züge aufwies), in eine phantasierte Vergangenheit, in der die "Armanen" – als Wissende, Gelehrte, Priester, Richter und Fürsten gleichzeitig – den "höchsten Stand" gebildet hätten. Unter Zuhilfenahme okkulter Kräfte hätten sie mit ihrem "durch intuitives Wissen gefundenen Erkenntniswissen absolut geherrscht" (12).

Nicht nur fallen hier abermals die Parallelen zur Ideologie des heutigen "Armanenordens" auf – auch der eingangs erwähnte, aus "tausendjährigem" Wissen und "ungebrochenen (magischen) Familientraditionen" ebenso nebulös wie beharrlich gerechtfertigte Machtanspruch so manches neuheidnischen Phantasietitel-Trägers scheint hier, bewusst oder unbewusst, seine Wurzeln zu haben.

Lanz "von" Liebenfels

ist die nächste Gestalt der "illustren" Runde, mit der wir uns kurz befassen wollen, um das Phänomen Ariosophie zur Kenntlichkeit zu entblößen. Im Gegensatz zu List stützte sich Liebenfels (ebenfalls nur von eigenen Gnaden geadelt) auf christliche Überlieferungen und Traditionen. Der 1874 geborne Adolf Josef Lanz, ein ehemaliger Zisterziensermönch, gründete um 1900 den "Neuen Templer-Orden" oder Ordo Novi Templi, brachte 1905 seine Schrift "Theozoologie" heraus und gründete die Zeitschrift "Ostara"; beides trug ihm den anhaltenden Beifall sozialdarwinistischer Kreise ein, in denen er sich hoher Beliebtheit erfreute.

Er selbst bezeichnete sein Machwerk als "einzige und erste rassenwirtschaftliche Zeitschrift, die die Ergebnisse der Anthropologie praktisch in Anwendung bringen will, um den Umsturz und das Urrassentum wissenschaftlich zu bekämpfen und die europäische Edelrasse durch Reinzucht vor dem Untergang zu bewahren". Hier ist bereits das Weltbild der späteren Nazis in seinen Grundzügen sichtbar.

Während Lanz anfangs von einem antiliberalistischen, "alldeutschen" Standpunkt aus vor allem die wirtschaftlichen und politischen Probleme der Habsburger Monarchie behandelte, widmete er sich später rassischer Somatologie, sowie anti-feministischen und anti-parlamentarischen Themen. Häufige Autoren seiner Publikationen waren – wen mag es wundern – Mitglieder der "Guido-von-List-Gesellschaft" (13).

Nach Lanz hätten "Mitglieder einer göttlichen Hierarchie" die Aufgabe gehabt, Menschen künstlich zu züchten. Diesen vollendeten Stuss leitete Lanz von seinen – wohl ureigenen – "christlichen Überlieferungen" ab. Die daraus entstandenen "gottgleichen" Menschen seien die "Vorfahren der heutigen arischen Herrenrasse" gewesen – nur: Einige hätten das "Gesetz der Reinzucht" verletzt und sich mit Tieren vermischt. Aus diesen "Tiermenschen" seien die "Niederrassen entstanden" (14).
Dieser Auffassung ist auch "Armanenorden"-Gründer Adolf Schleipfer (15) – und noch in den versammelten Verschwörungstheorien von Udo Holey ("Jan van Helsing") klingen deutliche Versatzstücke dieser ur-ariosophischen Thesen durch.

Gemäß seiner "christlichen Überlieferungen" attestierte Lanz den Frauen ganz allgemein einen "Hang zu Niederrassigen und Tieren" (17), was zu "Rassenmischung" und einer Herrschaft der "Niederrassen" geführt habe (16) – und selbstverständlich hatte der Psychopath auch das passende Programm zur Beseitigung dieser Zustände parat:
Ihm schwebte die Schaffung einer "Rassenaristokratie" vor, die die "Hochzucht" wieder einführen sollte. Für die "Rassereinen" forderte Lanz die Wiedererrichtung der "ursprünglichen Rassekult-Religion" – und nahm auch en detail so manche Idee vorweg, die die Nationalsozialisten später u.a. in ihren "Lebensborn"-Experimenten aufgriffen: "Reinzuchtkolonien", Sonderrechte für Blonde, Prämien für "Blondehen", Vielweiberei für blonde Männer, Klöster für "Zuchtmütter", "Ehehelfer" für zeugungsunfähige Männer, Erziehung zur "Arioheroik", und was das damit erstmals postulierte Wörterbuch moderner Unmenschlichkeit sonst noch so aufzunehmen vermochte. Als Maßnahmen gegen die "Minderrassigen" – bei List "Tschandalen" tituliert – empfahl Lanz u.a. Kastration, Sterilisation, Prostitution, Sklaverei, Zwangsarbeit, Einstellung von Wohltätigkeiten, Deportationen in Wüsten sowie Verwendung als "Kanonenfutter" im Ersten Weltkrieg (18).

Den Thesen und dem Treiben von Lanz wurde hier nicht nur deshalb so viel Platz eingeräumt, weil er mit List eng befreundet war und die Organisationen beider personell eng verflochten waren – sondern um zu zeigen, dass auch außerhalb von "heidnischen" Dunstkreisen wie dem "Armanenorden" ariosophische Ideologien ihre Verbreitung fanden und finden. Wie wir sehen, ist ein Bezug auf irgendeine angeblich "germanische" Überlieferung für Ariosophen keineswegs zwingend notwendig.

An dieser Stelle sei beispielhaft Jürgen Rieger zitiert (Leiter der "Artgemeinschaft", sowie als Rechtsanwalt für zahlreiche Neonazis bekannt (19)), aus einem Brief 1990:
"In unserer Gemeinschaft kann man glauben, dass es die germanischen Götter gibt, daß die germanischen (sic!) Götter Archetypen entsprechend der Lehre von C.G. Jung seien, daß es einen Gott als 'Allvater' gibt, oder daß es überhaupt keinen Gott oder Götter gibt. Dies ist nicht zentral für unsere Glaubensauffassungen, die in Artbekenntnis niedergelegt werden..."(20) Versteht sich, dass die "Artgemeinschaft" rege Kontakte zum "Armanenorden" unterhält und auf dessen Treffen eingeladen wird.

Die Struktur des "Armanenordens"

Man darf davon ausgehen, dass der innere Kern dieses "Ordens" nach wie vor das rassistische Weltbild pflegt, das ungeachtet etwaiger unbedeutender Neuerungen dasselbe ariosophische Gedankenkonstrukt ist, wie es die Theosophie begründet, List ausgearbeitet, Lanz beeinflußt hat – und die Nazis in ihrem "Herrenmenschen"-Wahn bis hin zu industrialisiertem Völkermord manifestiert haben.

Die innere Struktur des "Armanenordens" besteht vorwiegend an einem der Freimaurerei entlehnten Einweihungssystem in Graden:
"Die ersten drei Stufen, Lehrling, Geselle und Meister – auch 'Goden-Grade' genannt – bilden die sogenannte 'Volkspriesterschaft', die eigentlich jeder erreichen sollte. Daran schließen sich die 'Armanen-Ordens-Grade' an, die bis zum neunten Grad führen und angeblich einer esoterischen Einweihungsordnung entsprechen... Das Wissen, das zur Erlangung der Grade notwendig ist, wird den Mitgliedern in Form von sogenannten 'Leitbriefen' durch die Ordensleiter vermittelt." (22)

So geheim der Inhalt dieser Leitbriefe gehandelt wird, so wenig geheimnisvoll bleibt er doch angesichts der hier vorliegenden Offenkundigkeiten. Getreulich spiegelt sich das von List gezeichnete Bild wieder: außen die "Volkspriesterschaft", innen die "Armanen". Die uns vorliegenden Leitbriefe sprechen da eine eindeutige und wenig überraschende Sprache.

Besonders interessant wird es, wenn man entdeckt, dass die mit dem "Armanenorden" verbundenen oder kooperierenden Organisationen ein ebenfalls der Freimaurerei entlehntes System von Einweihungsgraden pflegen und nicht selten von "Armanen" geleitet werden: Mitnichten handelte es sich bei bestimmten Kreisen in der "Heidenszene" um einen lockeren Verband von "Heiden", unter denen einige "ein bisschen rechts" sind, sondern um ein System aus konzentrischen Kreisen, deren Mittelpunkt der "Armanenorden" darstellte:
Dieses bis mindestens Mitte der 90er Jahre noch unangefochtene ariosophische Szenenbild, mit dem"Armanenorden" als schlechtverhohlenem Zentrum wurde von Hans Schuhmacher (dem Initiator des "Ariosophie-Projektes") zurecht als "Armanenblock" bezeichnet.

Man muss noch bemerken, dass der "Armanenorden" seine Kernthesen immer wieder, wenngleich oft ungeschickt genug, verschleiert, verhehlt, zuweilen gar dementiert. Schuhmacher beobachtete: "Die Mitglieder der Satellitenorganisationen werden langsam und behutsam an den inhaltlichen Kern herangeführt. Daher sind es fast nie die rassistischen Kernaussagen, auf die man zuerst stößt, sondern aus der Theosophie stammende Mystizismen, die entweder der Mitgliederwerbung dienen oder von bereits in den Dunstkreis Geratenen nachgeplappert werden."

Allerdings wäre es eine Übertreibung, die gesamte "Heidenszene" als eine einzige regelrechte "ariosophische Verschwörung" zu sehen. Zum einen hat sich um die Jahrtausendwende einiges getan, um die verkrusteten Strukturen der noch Mitte der 90er weithin "armanen"-orientierten "Szene" aufklärerisch aufzubrechen, zum andern birgt das Verhalten ihrer immer noch lautstarken Protagonisten einige interessante Widersprüche. Auch ist der Nimbus des Geheimnisvollen, das den Armanenorden dank seiner gestaffelten Einweihungsstruktur und dem damit verbundenen hierarchisch kontrollierten Zugang zum "inneren Wissen des Ordens" umgab nicht mehr so reizvoll wie noch vor 20 oder 10 Jahren. Eine solche Struktur wird von vielen Menschen, die das Heidentum im Moment entdecken, als unpassend, altbacken und spießig empfunden, offen propagierte Hierarchien erscheinen vielen nicht mehr erstrebenswert. Eine erfreuliche Entwicklung, die sich selbst durch das Anwachsen der Gruppen verstärkt, die eine alternative bieten zu den "klassischen" Klerikalstrukturen der "Geheimorden".

Die "Heidenszene"

Die erwähnten Widersprüche lassen rasch erkennen, dass man es nicht mit gewieften Demagogen zu tun hat, sondern mehrheitlich mit politisch wie historisch ahnungslosen, oft grundnaiven Gestalten, die manche ihrer Thesen nicht unterscheiden können von den Täuschungen, denen sie selber aufgesessen sind. Hans Schuhmacher stellte 1996 fest: "Es ist unter solchen Umständen sehr schwer, den Lügner vom Belogenen zu unterscheiden." und führte folgendes Beispiel auf, die Frage offen lassend, ob der Protagonist wusste, aus welchen Quellen er schöpft oder schon "nur" unreflektiert Dinge nachplapperte, die man ihm selbst einmal als "Weisheiten" verkauft hatte:

Der Druide, Gode, Psychologe und Heilpraktiker Volkert Volkmann hält "ich trage Heil" für die korrekte Übersetzung von "Yggdrasil" (24). Ahnlich List, für den "Yggdrasil" (unter anderem) Ich, das Heil im Urfyr zeugend" (25) bedeutet, und zwar zusammengesetzt "ig" = "ich"; "dra" = "drehende Zeugung (Trifos) Feuerzeugung"; "sil" = "(sal)Heil" (26). Natürlich bedeutet "Yggdrasil" nichts dergleichen (27). Bezeichnend ist die anscheinend von List abhängige Deutung Volkmanns an nicht gerade nebensächlicher Stelle(28).

Nichtsdestotrotz stehen auch Getäuschte und Belogene in der Verantwortung für ihr eigenes Verhalten – besonders, wenn sie Kompetenzen, Führung oder gar Alleinvertretungsansprüche für sich postulieren. Dazu Schuhmacher: "Weiterhin handelt es sich bei der Ariosophie nicht um einen Fauxpas auf einer Abendgesellschaft, sondern um die ideologische Grundlage des Holocaust und möglicher weiterer Greuel, Massenmorde und Kriege. Wer Rassismus Vorschub leistet, macht sich mitschuldig."

Es ist auffallend, wie stark sich viele heutige Heiden immer noch an im Kern autoritäre Denk- und Verhaltensstrukturen klammern, die sich um "Legitimation" von "Priestern", Einweihungsgrade und dem stufenweisen "Verabreichen" (oder Verweigern) von "Geheimwissen" ranken, auch wenn nicht alle dieser Erscheinungsformen ariosophisch genannt werden können oder direkt auf die genannten Einflüsse zurückgehen müssen.

Kaum einer dieser im soundsovielten Grad "initiierten" Hexen oder "Hohepriester" gibt zu (oder will wissen?), dass es in der Geschichte vorchristlicher Stammeskulturen keinerlei Beispiele für derlei "Legitimationen" seitens irgendeiner zentralen Institution gibt. Der Glaube - genauer: das hilflose Klammern - an eine solche weist die entsprechenden "Heiden" eher als Weltflüchtige aus, die vielleicht aus christlichen Kirchen ausgetreten sein mögen, deren Denkstrukturen aber 1:1 in ihr sog. "Heidentum" übernommen haben, ohne das je zu bemerken: Allzuoft wurde und wird das Kreuz am Hals da nur gegen ein Pentagramm, einen Thorshammer, eine Göttin-Statuette oder eine Triskell, oder was der "heidnischen" Symbole mehr sein mögen, eingetauscht. Eine unfreiwillige, oft erbärmliche, Karikatur kirchlicher Hierarchieverhältnisse wie auch mancher Ritualstrukturen in Heidengruppierungen ist die häufige Folge, und natürlich sind solche Gruppen ebenso häufig instabil: da die zentrale Instanz ja ebenso fehlt, wie die Kleingruppenführer sie jeweils konkurrierend für sich beanspruchen.
Das Traurige daran ist u.a., dass sowohl viele heidnische "Lehrer" als auch ihre "Schüler" all diesen Legitimations- und "Wissens"-Proporz für notwendig halten – und mit einer individuellen Entwicklung und Reifung (hin zu einer tatsächlich naturreligiösen gesellschaftlichen Alternative bzw. dorthinführenden Modellen geradezu zwanghaft verwechseln.

So klammern sich zahlreiche "Hexen" an ihre Einweihungen durch sonstwelche Autoritäten, wovon sie sich szeneinternen Status versprechen, wodurch oft aber nur Freundschaften erodieren, weil der jeweilige Status der jeweiligen Autorität ja vom Nächstbesten wieder angefochten wird, was aufgrund der jeweiligen "Identitätsstiftung" zu erbitterten Fehden führt.
Auch der "Armanenorden", der typischerweise "das gesamte Germanen- und Keltentum in seiner geistigen, seelischen und körperlichen Eigenart" für sich beansprucht, findet so seine strukturellen Nachahmer von eigenen Gnaden - wie, um nur ein krasses Beispiel zu nennen, die zuletzt 2003 erfolgten Selbstverpapstungsversuche eines Geza von Nemenyi, langjähriger Leiter der "Germanischen Glaubens-Gemeinschaft" mit erkennbar indifferentem Verhältnis zu Menschenrechtsfragen, der sich zum Alleinvertreter "aller traditionellen germanischen Heiden" ausrief. Und doch haben sich die Verhältnisse gewandelt seit den trüben Tagen des einst unangefochtenen "Armanenblocks", seiner Befürworter, Beschwichtiger und Ableger. Von Nemenyi traf auf breiten Widerspruch der von ihm angeblich "vertretenen" Kreise allerorten, mehr noch: Der vollmundig vorgetragene Anspruch des "Allsherjargoden" geriet zur nahezu internationalen Lachnummer.

Doch sollte man über diese Silberstreifen am Horizont nicht meinen, die Grundübel wären schon beseitigt. Die Ariosophie, in ihrem Kern rassistische Herrschaftsideologie brutalster Sorte, hat trotz der spürbaren Schwächung des "Armanenblocks" noch allzuviele ihrer giftigen Fänge tief in den gängigen Weltbildern der neuheidnischen Szene eingegraben.

Von der Rechtfertigung kolonialzeitlicher Greuel bis zu den Todesfabriken des Holocaust war es seinerzeit nur ein kleiner Schritt. Moderne Varianten und Adaptionen solcher Ideologien können – bei Teilen der bekennenden Neuheidenszene bis hin zu den "Salondenkern" der "neuen Rechten" – längst beobachtet werden. Während sich die Rassisten neuerer Prägung um zunehmend "unverfänglichen" Sprachgebrauch bemühen, das altbelastete Nazi-Vokabular vermeidend, dieselben Ziele jedoch weiterverfolgend, dürfen sie heute vielfach auf das Abwiegeln Naiver bauen, die das "alles nicht so schlimm" finden oder in den sich (heimlich bis unheimlich) schließenden Reihen "eigentlich nette Leute" ausmachen, die "ja auch Heiden sind", mit denen dann entsprechend fraternisiert und gekungelt wird.
Gerade die unschuldig-bunte Heidenszene zwischen mediengehypter Hexenmode, Freizeitrollenspiel und boomenden Mittelaltermärkten bis hin zum persönlichen Naturreligionskult als ernsthafter Lebensorientierung, ist sich der Gefahr nicht bewußt, in der sie da kuschelnd schwebt – und der sie, gesamtgesellschaftlich gesehen, Vorschub leistet. So mancher "unpolitisch" und "nur religiös" sein wollende Neuheide macht sich so unversehens zum willfährigen Scheuklappen-Biedermann für Brandstifter, die längst schon wieder zündeln. Und die Gefahr eines einzigen Streichholzes bemisst sich an der Menge des Strohs, das ariosophische Thesen in den Köpfen Leichtgläubiger hinterlassen.

Zum Abschluß nochmal Schuhmacher (als geistigen Vater dieses Artikels), im O-Ton:

"Es muß unsere Sache sein, der ideologischen Ausbeutung der alten Kulturen Europas den Kampf anzusagen und nicht innezuhalten, bis die Ariosophie restlos verschwunden ist."

Weitere Artikel dieses Projektes werden sich mit den zahlreichen Einzelthemen befassen, die in diesem Überblick teilweise nur am Rande angerissen werden konnten.

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1 Schnurbein, Stefanie von: Religion als Kulturkritik, S. 83
2 ebd.
3 ebd, S.84
4 ebd,S.52
5 ebd,S.88
6 ebd,S.87f.
7 ebd,S.88f.
8 ebd,S.90f.
9 ebd,S.24
10 ebd,S.25
11 ebd,S.91f.
12 ebd,S.94
13 ebd,S.99
14 ebd,S.101
15 ebd,S.52
16 ebd,S.102
17 ebd,S.101
18 ebd,S.102
19 ebd,S.121
20 ebd,S.122
21 ebd,S.27ff
22 ebd,S.32
24 Hag&Hexe 1, S.28, siehe hierzu den Leserbrief von Sven Scholz, November 1996
25 Guido List, das Geheimnis der Runen, 2. Aufl. 1912, S.29
26 ebd., man beachte die fast völlige Übereinstimmung zwischen List und Volkmann am Anfang und am Ende sowie die im wesentlichen sinngemäße Übereinstimmung des Mittelteils
27 Simek,R.:Lexikon der germanischen Mythologie, 1984, S.467f., zur sprachwiss. Vertiefung s. Leserbrief von Sven Scholz (wurde nicht veröffentlicht, liegt aber hier vor), November 1996, zur Verwendung des Namens im Kontext s. Neckel, G.: Edda, die lieder des codex regius nebst verwandten denkmälern, Germanische Bibliothek Bd.9, 2. Aufl. 1927, S.5,11,61,62,64
28 Es handelt sich immerhin um den Namen seiner Organisation

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