Gunnar Heinsohn legt nach …

15. Juni 2010 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Wie kommt ein SPD-Mitglied und Bundesbank-Vorstand wie Thilo Sararazin auf solche Ideen? Einwanderer-Schelte: Sarrazin erklärt die Verdummung der Deutschen. Manches erklärt sich aus der Persönlichkeit und der ideologischen Grundeinstellung Sarrazins und seinem Hang zur etwas, was man „Populismus im Bierzeltstil“ nennen könnte.
Es macht, denke ich, durchaus einen Unterschied, ob jemand das Vorurteil hat, die „Unterschichtler“ seien gewissenlose und faule Schmarotzer und sich dabei auf nichts als Klischees oder verallgemeinertete Einzelfälle berufen kann – oder darauf, dass das doch wissenschaftlich erhärtete Tatsachen seien. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sarrazin nicht so selbstbewußt und selbstgerecht sozialdarwinistische und kulturalistische/quasi-rassistische Thesen in die Welt setzen würde, wenn er nicht das Gefühl hätte, sich dabei auf das Urteil von Experten stützen zu können.

Einer dieser „Experten“ ist der emeritierter Professor für Sozialpädagogik an der Universität Bremen. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, über den ich schon einiges schrieb: Heinsohn – vom “Entfant terrible” der Hexenforschung zum “Klassenkämpfer von oben”

Nach seinem massiv sozialdarwinistischen Gastbetrag in der FAZ („Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen“) legt Heinsohn nun die einem Kommentar in „Welt.online“ noch einmal nach:
Stoppt die Vermehrungsprämie für Sozialhilfemütter.

[…]Den ohnehin schon staatlich versorgten Müttern versprechen die Mitbürger seit 2007 eine Zusatzprämie, wenn sie ihrem prekären Leben weitere Kinder hinzufügen. Es gibt dann zur Kindersozialhilfe einen Extrabetrag von 300 Euro über zwölf Monate hinweg als Elterngeld. Eingeführt wurde dieser Anreiz in erster Linie für Steuerzahlerinnen, die zwar für die Sozialhilfemütter das Geld aufbringen, selbst aber aus Zeitmangel kinderlos bleiben.

Anreize nur für Sozialhilfemütter

Gleichwohl wurden von den ersten 200.000 Elterngeld-Babys nur neun Prozent von Karrierefrauen geboren, aber bundesweit 54 Prozent von Hilfsempfängerinnen. Damit ist der Anreiz für eine Sozialhilfemutter aber keineswegs ausgeschöpft. Gebiert sie innerhalb von 24 Monaten nämlich zwei Kinder, bekommt sie noch einen „Geschwisterbonus“ von 150 Euro auf die 300 Euro Elterngeld obendrauf. […]

Diesem zutiefst ökonomistischen Menschenbild, das sowohl Heinsohn wie Sarrazin vertreten, setzt Antje Schrupp in „Einige Anmerkungen zu Sarrazins „Verdummungsthese“ und der Demografie generell“ entgegen:

[…]Erst als das Statistische Bundesamt 2003 eine Prognose veröffentlichte, wonach die Bevölkerung in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten deutlich veraltern wird, flammten plötzlich aufgeregte Demografiedebatten auf, und zwar unter dem Fokus: Woher kriegen wir mehr Kinder?

Die Antwort ist einfach: Nirgendwoher. Die Fertilitätsrate in Deutschland liegt seit etwa 35 Jahren (seit dem „Pillenknick“ Mitte der 1970er) ziemlich stabil bei ungefähr 1,5 Kindern pro Frau. Was sinkt, das ist die Geburtenrate, also die Zahl der pro tausend Einwohner_innen geborenen Kinder. Der Grund dafür ist aber nicht, dass Frauen plötzlich weniger Kinder bekämen, sondern dass der Anteil der Frauen im gebärfähigen Alter kleiner wird: Wenn der Altersdurchschnitt der Bevölkerung ansteigt, sinkt die Geburtenrate zwangsläufig.

Alle gut gemeinten Maßnahmen für „mehr Kinder“ wie etwa das Elterngeld können dagegen nichts ausrichten. Die wenigsten Menschen machen nämlich so eine weit reichende und existenzielle Frage wie die, ob (und wie viele) Kinder sie haben wollen, von ein paar hundert Euro abhängig oder davon, ob es einen Krippenplatz gibt. Das soll nicht heißen, dass solche Maßnahmen nicht wünschenswert wären, das sind sie aus hunderterlei Gründen. Man sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, damit die Zahl der Geburten nennenswert steigern zu können. […]

(Ich empfehle dringend, den ganzen Aufsatz Antje Schrupps zu lesen.)

Ich finde es übrigens nicht wirklich schlimm, dass solche sozialdarwinistischen und zynischen Beiträge wie die Heinsohns in „Qualitätszeitungen“ als Diskussionbeiträge veröffentlicht werden. Schlimm finde ich, dass anschließend kein Aufschrei durch die Medien geht. Denn es sind die „Heinsohns“, die den „Sarrazins“ die Stichworte liefern. Und nicht nur den „Sarrazins“: Heinsohn ist, da bin ich mir ziemlich sicher, selber kein Rechtsextremist. Aber seine Thesen sind Steilvorlagen: für halbwegs intelligent agitierende Neonazis, für die „Neue Rechte“, und vor allem für „Rechtspopulisten“ wie die offen islamfeindlichen und heimlich rassistischen „PRO“-Parteien in Deutschland oder die FPÖ und BZÖ in Österreich.

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2 Kommentare
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  1. Heinsohns Ideen fallen auf fruchtbaren Boden, was man z. B. an der Rede des ehemaligen CDU-Fraktions-Chef Friedrich Merz auf dem Wirtschaftsforum Nordrhein-Westfalen merkt:

    Merz: „Von den ersten 200 000 Anträgen auf Elterngeld kamen 9 Prozent von berufstätigen Frauen, 54 Prozent von Hartz-IV-Empfängern. Die haben damit Einkünfte über denen arbeitender Geringverdiener.“ Folge: „Der Arbeitsmarkt für Minderqualifizierte ist bei uns zusammengebrochen.“

    Auch das könnte direkt aus Heinsohns Artikel übernommen sein:

    Merz: „160 Länder weltweit dürfen sich Sozialstaaten nennen, wir gehören zu den vieren, die lebenslänglich für Arbeitslosigkeit zahlen.“ Hartz IV treibe die Menschen in eine „Abwärtsspirale, bis sie schließlich ganz raus sind“. In Deutschland lebten inzwischen immer mehr Familien schon in der zweiten oder dritten Generation von Transferleistungen. Merz: „Wenn der Bundeshaushalt nicht mehr ausreicht, um Transferleistungen und Kreditzinsen zu zahlen, muss eine grundsätzliche Debatte angestoßen werden.“

    Zitiert nach: NachDenkSeiten – Hinweise des Tages 23. Juni 2010

  2. Wieder Neues vom Heinsohn – er betreibt den „Klassenkampf von oben“ offener denn je:

    Die Schrumpfvergreisung der Deutschen (FAZ.net)

    Womöglich auch deshalb äußerten 2007 rund 87 Prozent der hiesigen Hochschulabsolventen den Wunsch, in anderen Ländern Karriere zu machen. Von hundert Nachwuchskräften, die das Land benötigt, werden fünfunddreißig nie geboren, wandern zehn aus und schaffen fünfzehn keine Berufsausbildung. Da können die Emigrationsphantasien der verbleibenden vierzig nicht überraschen.

    Mich würde mal interessieren, wie Heinsohn an diese Zahlen gekommen sein will. (Übrigens sind es dieses Mal „Messungen der Bundesregierung“ nach denen 2009 ein Viertel der Fünfzehnjährigen nicht ausbildungsreif gewesen sein sollen.)

    Eine Billion Euro Sonderschulden aber hatte Deutschland bereits 2007 für Migranten, die mehr aus den Hilfesystemen entnehmen, als sie aufgrund schlechter Schulleistungen und anderer Handicaps in sie einzahlen können. Auf jeden der 25 Millionen vollerwerbstätigen Nettosteuerzahler fallen allein für diese historisch einmalige Aufgabe 40.000 Euro Schulden.

    Wo er diese Zahl her nimmt, interessiert mich dringend. Lt. Wikipedia beträgt die Verschuldung der öffentlichen Hände (Bund, Länder, Gemeinden usw.) in Deutschland 1,7 Billionen Euro. Glaub man Heinsohn, wären also „dumme Migranten“ für den größten Teil der Staatsverschuldung verantwortlich. Die NPD könnte es nicht „besser“ ausdrücken.

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