Wer erleuchtet das Meer? (Teil 3)

11. Oktober 2008 | Von | Kategorie: Kultur & Weltbild

Schrei um dein Leben

Manch religiösem Nichtheiden gegenüber hab ich ja bereits Mühe zu erklären, dass und wieso ich meine Hohen nicht „anbete“ – genauer: welchen elementaren Unterschied ich empfinde zwischen Anbetung und Anrufung. Ich neige nicht das Haupt wie ein Missetäter (selbst wenn ich grad einer wäre oder bin), erhebe es auch nicht andächtig zu einem Himmel, der mir hierbei wenig mehr sein kann als situative Wolken- oder Zimmerdecke. Ich bitte nicht. Ich stell mich hin und schreie. Aus Leibeskräften. Ich kann das auch stumm tun. Aber immer konkret: wes ich bedarf, was ich brauche, wen ich meine, und warum. So klar, kurz und schnörkellos wie irgend möglich. (Es muss von innen kommen, von „ganz unten“, möglichst tief aus dem Bauch, möglichst ungefiltert vom Denkekürbis: dessen Neigung, alles auseinander zuklabüsern und zur Kenntlichkeit fürs Bewusstsein zu aufzuspreizen, hier u.U. die nötige Bündelung der Energie vereiteln würde.)

Es ist eine Aufforderung. Solches kann als „respektlos“ nur titulieren, wer ohne äußerliche Demutsbezeugungen Gefahr läuft, Götter versehentlich mit seinesgleichen zu verwechseln (in meinen Augen sind das entweder Menschen mit komplett anders gewichteten Religionsinhalten – oder aber Zeitgenossen mit geringem Vorstellungsvermögen. Beides nit bös gemeint!). Oder wer sich nie nach einem großen starken Bruder sehnen brauchte, der einem in jäher Not aus akuter Patsche hilft. Spätestens da aber flüstert man doch nicht: „Bittebitte, liebes Bruderherz, bitte mach – wenn du mich hörst… und du siehst mich doch, oder??? – dass ich aus dieser Scheiiißklemme heil herauskomme.“ Nö, gottverdammt mal nein. Man schreit. Brüllt seinen Namen und den Kern des Begehrs heraus. In aller Dringlichkeit. Die muß nicht immer aus Not kommen, direkter. Aber ganz ohne Dringlichkeit rufe ich keine Gottheit nicht. Denn: die sind ja eh alle da. Ständig um mich herum, in mir drin, in andauernder, selbstverständlich gewordener Präsenz: wie Luft, Wasser, Feuer, Erde, usw.

Nochmal: Es ist Aufforderung. Anrufung: mittenmang schnurstracks. Jenes Ding zwischen Bitte, die mich zum Almosenbettler machte, der sich selber nicht als „verdient“ eingestehen kann oder darf, was er erfleht, und Befehl, der eine Weisungsbefugnis voraussetzte, die zumindest ich niemandem gegenüber habe und verantworten brauche: den Göttern gegenüber aber am allerwenigsten. Beides, Bitte wie Befehl, widerspricht im allgemeinen meiner persönlichen Religionsauffassung. Die adäquate Belohnung einer erfüllten Bitte ist der Dank. Danken tu ich den Göttern für alles mögliche jederzeit gern: beschenken sie mich doch immer wieder auch ungefragt und ungerufen. Dafür möcht´ ich manchmal geradezu in den Staub kriechen und mich wälzen und winden – weniger demütig freilich als in tierischer Freude: unverhohlen, ungeschminkt, schamlos…

Einer erhörten Aufforderung aber folgt, als die mir adäquat erscheinende Dankantwort, ein (zumindest symbolisches) Opfer: Ich gebe etwas hin, was ich selber gut und gern noch „für mich“ gebrauchen hätte können oder mögen. Wäre das alles nicht so emotional beladen wie geheiligt: ich dürfte von „Kuhhandel“ sprechen. Meine Aufforderung spricht ein bestehendes Bündnis an. Seiner situativen Erfüllung folgt der Preis: die Gegengabe desjenigen Partners, dem geholfen ward vom andern (wie gewissermaßen pauschal vereinbart). Beides, Gabe wie Gegengabe, erfolgt als Austausch in gegenseitig recht freiem Ermessen. (Ich habe keine „Preislisten“ zwischen mir und den Göttern. Sie auch nicht! Ich stünde denn dumm da, würden´s die Hohen mit der Waagschale messen wie Kaufleute.)

Ich rufe (die Götter) eher deshalb, weil es ja auch so viele sind. So, wie sich auch in eine Menschenmenge hineinrufen lässt. Wenn ich nur „hey du da“ rufe, gucken vielleicht ein paar her, und bald wieder weg. Erst wenn ich „Susanne!“ rufe, schält sich vielleicht die Gemeinte aus dem Haufen, gewahrt mich. Oder auch nicht. Vielleicht ist sie ja gerade anderweitig beschäftigt, oder sieht nicht ein, warum sie kommen soll, bloß weil ich jetzt auf einmal daherkrakeele. Daher folgt, in meinen Anrufungen, dem (im „Idealfall“) laut herausposaunten Namen auf dem Fuße mein Bedarf, sei´s Not oder Wunsch. Mein Vergleich mit der Menschenmenge hinkt insofern, als dass mir Höflichkeit und Umgang Gleicher unter Gleichen es gebieten, die beispielhafte (wie fiktive) „Susanne“ in aller Regel nicht etwa herzukrakeelen, sondern gemäßigter anzuquatschen: z.B., in dem ich mich in besagte Menge selber hineinbegebe, die Betreffende ruhig und unauffällig anzutippen: „Du, könntest du mal…“

Göttern gegenüber kann ich das aber so nicht, da ich selber keiner bin, solche sich mir auch nicht als Personenversammlung darstellen, in welche ich mich etwa hineinmischen könnte. Dies ist eben keine Kommunikation Gleicher unter Gleichen. Obwohl ich es als Bestandteil meiner persönlichen Entwicklung, meines Auftrages oder meiner Bindung betrachte, meinem Lieblingsgott möglichst ähnlich zu sein oder zu werden: der Lehrbub tut es dem Meister nach, nach bestem Vermögen – und grad, wenn (oder weil) jener für den externen Besucher der Werkstatt außer Haus oder außer Sicht bleibt, repräsentiert der Lehrbub da zwangsläufig die „ganze Firma“. (Gut: im real existierenden Menschenbetrieb wird der Azubi nicht den Chef mimen. Und ich gebe mich ja ooch nicht als wer anderes aus, als ich bin und sein kann. Aber einer beliebigen Bekannten, die mich vielleicht um einen Runenwurf anhaut, kann ich schlecht sagen: frag doch Frigg selber, bzw. die Saga.)

Eine Gottheit anrufen, das erfordert für mich als Menschen maximal möglichen Einsatz bei minimal nötiger Zeit (die Stärke der Impulsbündelung misst sich aus den äußeren Extremwerten dieser beiden Komponenten). In Situationen, wo sich Schreien nicht schickt oder unnötig Aufruhr erzeugen würde, kann ich die Kraft meiner Dringlichkeit in abrupter Geste ausdrücken, und sogar die notfalls in äußerlicher Fast-Bewegungslosigkeit bündeln („fire & freeze“, könnte man´s nennen). Die Intensität und ihre konzentrierte Richtung sind das Entscheidende. Das geht bei mir niemals rein mental, sondern immer mittels maximaler physischer Präsenz (und sei es deren „implodierende“ Kraft). Natürlich schreie ich lieber, oder tanze dabei herum (Tanzen ist indes auch ein praktisches Mittel, wo sich Menschen, die man nicht mit dem eigenen Gottesdienst belästigen wie auch selber von ihnen ungestört bleiben will, in lediglicher Hörweite befinden. Für solche Gelegenheiten hatte ich, eingangs meines Heidenwegs überhaupt, einst einen regelrechten rituellen „Bewegungs-Code“ entwickelt, meine damals wichtigsten und häufigsten Anrufungen samt kombinierbarer „Phrasierungsbausteine“ beinhaltend). Und noch heute – inzwischen seltener des Rufens bedürfend, dies aber öfter lauthals mir erlauben könnend – ist mir selbstverständlich, dass ich für eine Aktion, die ich von den Göttern erwarte, weil ich sie selber nicht auszuführen vermag, innerhalb meines Rufes wenigstens in diesen alles hineinlege, was ich (an der Tat statt) irgend zu geben vermag.

Wäre ich, als Mensch, z.B. die „Gottheit einer Ameise“, so müsste sich besagtes Tierchen ziemlich anstrengen, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst wenn sie diese insofern haben könnte, nehmen wir Mensch mal als Betreuer einer Ameisenfarm an… (Gottseidank bin ich, als Mensch gegenüber seinen Göttern, mit mehr Ausdrucksmöglichkeiten gesegnet als jedwede Ameise gegenüber einem Menschen wäre. Jener bliebe weißgott nur banges „Beten“… Aber es ging hier um eine Art Größenvergleich – der freilich kein physischer sein soll.) Götter stehen, so wie sie in Gänze sind, an und für sich außerhalb der von mir wahrnehmbaren physischen Welt. Aber sie drücken sich in deren Erscheinungsformen aus.

Fernsehen vs. Nahsein

Wollte ich tatsächlich meine Verhältnisse zu allen Göttern, mit denen ich´s de facto „habe“, schildern wollen – ich müsste mit reichlich dicken Schwarten aufwarten, von deren Erbauung für andere ich nicht überzeugbar bin (weshalb ich mir das Verfassen erspare). Vor Jahren habe ich sie mal „durchgezählt“, die Gottheiten, die meinigen. Ich habe kein Zahlengedächtnis, aber kam, glaub´ ich, auf so in etwa vierzig…

Sinnvoller scheint mir, Andeutung zu geben, worin sich meine Gottheiten von Menschen unterscheiden. Denn die gängigen Mythenbilder bleiben ja präsent: ohne von allein die Religiösität, die tiefe innere Bindung eines heutigen Menschen an sie zu erklären. Genauer: an das, was sie tragen, wofür sie stehen. Was den Altvorderen gereicht haben mag an Beschreibung, mir reicht es nicht. Ich mag die meisten der Mythen aus „meiner“ Germanenkultur. So, wie ich King Kong mögen kann, oder dergleichen. Entsprechend gern mach ich so meine Witzchen drüber, spiele mit den Bildern (was etwas anderes ist, als etwa mit den Mythen – oder gar den Göttern selbst – spielen zu wollen…) Was aber unterscheidet nun eine zeitgenössische Geschichte wie die eines tragischen Riesenaffen von viel älteren Stories wie denen eines germanischen Donnergottes?

Dem beliebigen aufgeklärten Atheisten fiele es schließlich sowenig ein, einen Thor oder Donar anzurufen, dessen Wirkmächtigkeit für bare Münze zu nehmen – wie uns (doch wohl kaum weniger aufgeklärten) Neopaganen, dem großen King Kong eine Jungfrau zu opfern (oder auch nur eine Devotionalie aus Peter Jacksons Remake-Merchandising-Nachlaß auf unsern Altar zu stellen).

(Nebenbei: die lustige Geschichte, wie Thor sich seiner Verkleidung als Weib schämt, anders er aber nicht seinen Hammer von den Riesen zurückholen kann, ist – jedenfalls angesichts dessen, dass und wie die Edda dabei eine hochmittelalterlich gewandete Frowe beschreibt – nicht viel „germanischer“, als wie das Ausgangsszenario der King-Kong-Erstverfilmung etwa „afrikanische Stammesriten“ wiedergibt. Also derart verzerrt, dass beides bestenfalls zur augenzwinkernden Unterhaltung taugt. Der olle „King Kong“ spiegelt vielmehr US-amerikanische Befindlichkeiten, so wie die noch ollere Edda vornehmlich christlich-mittelalterliche. Auch wenn beide jeweils was anderes zu beabsichtigen vorgaben: there´s no business like show business. Auch und gerade die Edda-Stories waren, ungeachtet ihres heidnischen Urstamms, zu nichts weiter verewigt als schließlicher Erbauung: Amüsement für Nachgeborene. Die sich sicher „entwickelter“ oder „fortschrittlicher“ gedünkt haben als ihre „abergläubischen“ Vorfahren, die die Ursprungsformen jener Mythen einst ersannen, von ihnen umtrieben waren in tieferem Ernst.)

Natürlich spielt auch für meine Götterbindung eine tragende Rolle, dass Gestalten wie King Kong niemals zu Zwecken spiritueller Verehrung erdacht wurden, sondern von vornherein „just for fun“ (und Showbusiness) – während ein Wettergott Thor für germanische Bauern ein sicherer Fakt war. Die Berufung auf „Ahnenreligion“ birgt (trotz der neopaganischen Not, dabei gut eintausendfünfhundert Jahre Religionstradition zwischen ganz früher und heute durchschiffen zu müssen) mehr inhärente Energie als jedes Sichneuausdenken irgendwelcher Kraftfiguren (inklusive bereits präsenter Hollywoodfabeln) – auch wenn die Notwendigkeit, sich auch und gerade zur Belebung neuheidnischer Spiritualität ureigener Ausformung, Bildhaftigkeit und Deutung zu bemühen (ansonsten die Bilder altersschwächer blieben, als die damit gemeinten Götter sein brauchen), genau solche Grenzen manchmal verschwimmen lässt: an der Oberfläche.

Meine Grenzen als Mensch freilich sind klar: Ich lebe im Zeitstrom (oder -zyklus), und bin selbstverständlich nur hier, und nicht etwa woanders. Will ich woanders hin, muss ich mich gänzlich dorthin begeben, und schon auf dem Weg bin ich dann nimmer, wo ich vorher noch war: Gleichzeitigkeit an verschiedenen Orten is´ nich´, für Sterbliche. Auch ist klar, dass ich immer ich bin – physisch zumindest. Selbst in innigstem Liebesspiel ist und bleibt doch immer unterscheidbar, wer nach wie vor wer ist – auch wenn´s da für unbeteiligte Augen vielleicht nicht so leicht auszumachen wäre. Ich bin hier und heute manifest durch meinen Leib (nicht allein über diesen definierbar, aber), mitsamt dessen Grenzen, Schwächen, Kurzlebigkeit. Ohne den aber wäre ich bestenfalls ein Gespenst.

In all diesen Aspekten erscheinen mir die Götter ganz anders. Sie können gleichzeitig hier wie dort auftreten. Und je näher ich „hinschaue“, desto mehr verschwimmt (in meiner Vorstellung) ihre Unterschiedlichkeit: so etwa, wie ich angesichts eines fernen Gebirges jeden einzelnen Berg vielleicht klar benennen kann, weil das auch deutlich so sichtbar ist – aber je näher ich hinkomme, womöglich daran herumkraxele, desto weniger ist definierbar, wo nun der eine Berg beginnt und der andere Hügel oder Landschaftsteil aufhört. Und das ist auch gar nicht mehr wichtig. Für die Verständigung aber kann es eminent wichtig sein, dass ich grad auf dem Mount Himmelhoch herumwandere – und nicht etwa in der sog. „Teufelsgrotte“ mich aufhalte, die sich auf dem „Fraunhügel“ daneben befinden mag. Nicht erst, wenn ich mir ein Bein breche. Reicht ja schon, dass die Freunde mich gesund von der Wandertour abholen mögen, und die Kilometer zwischen Himmelhoch und Fraunhügel von beider Fuß an beträchtlich sein können, wenn man sich in Sachen Abholort irrt.
Aus vergleichbaren Gründen bin ich kein Freund irgendwelcher „Alle-sind-eins“-Deutungen. Ich empfinde derlei im spirituellen Bereich ebenso unpraktisch und überflüssig wie im physischen. Natürlich hängen die Gebirge irgendwo (ziemlich weit unten) zusammen, natürlich sind die Götter auch als „eins“ betrachtbar – na und, was soll´s? So, wie ich meine Religion lebe, hab ich mit meinen Göttern allezeit genug zu schaffen, dass ihre namentliche Unterscheidung (die wirkende andeutungshalber markierend) so konkurrenzlos sinnvoll ist wie das jeweilige Bewusstsein um den eigenen physischen Aufenthaltsort. Im Werkzeugkastenvergleich wird´s vollends deutlich: „Reich mir mal den 18er Schlüssel“ heißt nicht etwa „Schlagbohrer her“ oder „haste ´ne Fuchsschwanzsäge“ – die dann dargereicht etwa mit der säuselnden Bemerkung, daß „alles ja doch nur Werkzeug“ sei. Götter sind freilich nicht meine Werkzeuge – viel eher bin ich eines der ihren.

Die Bürde der Bilder

Die (mal wieder nicht hinters Mittelalter zurückreichende) Archetypausformung Odins als eines gruftigen Wandersmannes, der mit Schlapphut, Mantel und Augenklappe durch die Botanik stapft (noch bis in den „Herrn der Ringe“ späte Schattenechos werfend) ist mir also ebenso vergnüglich und unernst wie die Vorstellung, dass sein feuerbärtiger Sohn mit einem Ziegenbock-Karren in der Stratosphäre lautstark herumkarriolt. Aus unheilssichererem nationalromantischen Erbe hartnäckig ins Heute über(ge)holte Abbildungen blondbraver Kornfeldmadönnchen (die mich eh unangenehm an Paradeis-Illustrationen in „Wachtturm“-Postillen von Jehovaszeugen erinnern) entsprechen zumindest nicht meinem Frauenbild: Freyja zeigen sie mir sowenig wie Idun, Gefion, Sif, Syn, Gna, Sunna, Fulla oder Lofn – nur mal, abseits von Hel, Hlin, Bil oder Ran – ein paar der „lichteren“ genannt zu haben (Auflistung weißdiegöttin unvollständig).

Spätestens von den Göttinnen muss ich mir also eigene Vorstellungen machen. Von ihren männlichen Kollegen aber letztlich – schaut man genauer hin – nicht minder.

Ich bin der Auffassung, dass Vorstellungen über Götter menschliche Gesellschaftsverhältnisse spiegeln: nicht nur, aber auch. Natürlich kann ich derlei gut und gern zum Anlass nehmen, schon allein (als reichte archäologisch Kombinierbares nicht) anhand der obskuren bis widersprüchlichen Art- und Verwandtschaftszuordnungen germanischer Götter untereinander (Asen und Vanen; Freyja als ursprüngliche Vanin ist gleichzeitig astreinste Asin; der „genetische Riese“ Loki als Odinsblutsbruder ebenso „vollwertiger“ Ase – von Abstammereien ganz zu schweigen: Heimdall hat der Mütter gleich neun…) die alten Germanen von jenem Rassismusruch freizusprechen, der ihnen heute dank nationalsozialistischer Vergewaltigung anhaftet im allgemeinen Bewusstsein… (das mit diesem scheppsen, aber bequemen Bild ungestört bleiben will, zumal neue Nazis es unentwegt befeuern…) …anderes Thema. Bleiben wir hier, jenseits historischer wie aktueller Niederungen, in den abstrakteren Sphären des Spirituell-Geistigen – zumindest aber im persönlichen Wie und Jetzt. Dennoch: das eine läuft ins andere, wie ich´s dreh und wende.

Welten im Gleichgewicht

“ … Fährt ein Boot, steht ein Baum, heult ein Sturm, ächzt ein Traum… Und drei Frauen schauen stumm… und sie weben weiter – unendliche Pfade – und sie weben weiter… unendliche Pfade… und…“

(Die Singvøgel: „Kommt ein Boot“)

Sich selbst als Mittelpunkt der Welt zu empfinden, halte ich für eine naturgegebene Selbstverständlichkeit menschlicher Wahrnehmung. Asatrú macht daraus ein System, das eine jedwede solche subjektiv „gewaltige“ Individualität einzubinden vermag in ein hie soziales, dort kosmisches Ganzes – ohne dabei kollidierende Widersprüche (oder einander ausschließende Reibungen in der Weltsicht) zu erzeugen. Unaufgeregter Pragmatismus steht dabei allzeit über oberflächlich-moralischer Wertung: Die Gluthitze einer Herdplatte ist „gut“ zum Suppebrutzeln und „schlecht“ zum Handauflegen. Mehr kann ich nicht sagen über „Gut & Böse“.
Eher als von „guten“ oder „bösen“ Menschen (oder sonstigen Wesen) spreche ich ggf. von Interessenkonflikten. Konsequenzen daraus befeuern u.U. mein Selbstverständnis – im Sinne oben genannter Eingebundenheit: Auf der „richtigen“ Seite zu sein und zu verbleiben, kann womöglich wichtiger sein (für die eigene Identität), als zu „gewinnen“.

Schaut man sich allein die (uns ja nur nacherzählten! Soweit uns überhaupt verbliebenen!) Edda-Mythen an, kommt der wache Geist nicht umhin, sich an allerlei Widersprüchen zu stoßen. Eine Figur wie der listige Loki z.B.: verantwortlich für die raffiniertesten Erfindungen und Lösungen – wie letztlich für aller Verderben. Das Heil der Götter: fußend auf Verräterei an ihren Vorfahren, den Riesen (die unbewussten Naturgewalten verkörpernd). Ja: Die (Bewusstsein verkörpernden) Götter entstammen den (unbewussten Gewalten der) Riesen, und am Schluss erliegen sie diesen. Selbst in den kärglich überlieferten Scherben: ist es eine Kosmologie – eher als eine dahermenschelnde „Moral“ –, was dort insgesamt erzählt wird.
Jene „drei Frauen“, Nornen, Schicksalskräfte: Sie stehen über den Göttern. Sie sind das personifizierte Werde, Sei und Gestalte (siehe hierzu mein Essay „No future…“ in dieser Rubrik). Ich bin der Mittelpunkt meiner Welt: wichtig als Grashalm einer Wiese. Ohne meinereiner ist keine solche attestierbar: Ich bin nicht allein. Je prächtiger und voller ich blühe, desto mehr mag die Wiese grünen. Wer mich aber ausreißt, frisst oder zerstampft nur Gras. Selbst dann hinterlasse ich Samen, oder Spur: die Idee dessen, was ich war.
Andern zum Beispiel. Und sie wachsen – ggf. sogar: nach. (Asphalt ist kein Hindernis.)

Für alles, was ich mir nehme, gebe ich etwas: freiwillig oder unfreiwillig, bewusst oder unbewusst. Je klarer ich aber die jeweiligen Zusammenhänge sehe, desto klarer kann ich mitbestimmen, was ich gebe: für jedwedes nötige Nehmen. Schenken wiederum birgt die zusätzliche Überraschungsfreude, sich nicht scheren zu brauchen, was man dereinst dafür bekommt. Kalkulieren lässt es sich eh nicht. Die Götter sind keine Kaufleute. Sie sorgen nicht nur für Gleichgewicht, sie sind Bestandteil desselben, selbst darin eingebunden auf Wohl und Wehe.
Vielleicht sind sie ja auch nur Geschichten: altvorderer Menschen, die damals noch keine besseren hatten. Und vielleicht haben wir Heutigen ja bessere: Beispiele, Helden, Vorbilder. Ich probierte manche der neuen aus, in meiner Jugend. Um doch die älteren zu entdecken, irgendwann. Dass diese die besseren sind – zumindest für mich – glaube ich heute. Lang habe ich gebraucht, sie zu finden: mein halbes Leben. Sie gaben mir ein neues, und ich opfere ihnen, weil ich immer noch lebe.

„Wem gehört die Welt? Dem, der sich an sie verschenkt: Diener der Ekstase. Wer gehört sich selbst? Sagt, wer kennt sich wirklich selbst? Nur wer die eigenen Schatten schaut: Diener der Ekstase…“

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