Vera Zingsem: Freya, Iduna und Thor: Vom Charme der germanischen Göttermythen

27. Juli 2010 | Von | Kategorie: Bibliothek und Medien

Freya, Iduna & Thor: Vom Charme der germanischen Göttermythen

Alter Sagen  neue Sicht

Auf Missstände hinzuweisen, sie aufzudecken, wo man sie findet, ist wichtig – schafft sie aber nicht ab, sondern lediglich Voraussetzungen dafür. Das gilt auch für Entzerrungen germanischer Geschichte und den Sonderfall der ja besonders arg besudelten germanischen Mythologie. Es reicht nicht, da nur den Dreck abzuwischen – mal abgesehen davon, dass das gar nicht so einfach ist: Das Thema ist ein verdammt komplexes. Nimmt man die Fälschungen auseinander, hat man erstmal einen Scherbenhaufen, der keinen Altar ergibt und schon gar keinen Kraftort: gerade fürs heidnische Gemüt ein ganz unerquicklicher Zustand.

Umso wichtiger daher, wenn sich Beherzte aufmachen, das Feld nicht nur neu zu erkunden, sondern auch mit eigenen Interpretationen füllen, die sich von altem Schmodder (der ja zudem noch falsch ist und auch bei ständiger Wiederkäuung falsch bleibt) wohltuend abheben.
Zu denen, die zum heiklen Thema neue Perspektiven wagen, gehört sicherlich die Autorin Vera Zingsem mit ihrer Neuerzählung – und Neuverknüpfung – alter Sagen, Märchen und Edda-Mythen. Sie findet „Charme“ darin – tatsächlich tut sie viel dafür, gerade den ollen Germanengöttern einen solchen zu verleihen. Dabei erweist sie sich eher als charmante Erzählerin, die begeistert auch über manche Ungereimtheit fröhlich drüberkleistert. Es scheint ihr aufs Ergebnis anzukommen. Das ist hübsch und in dem Fall sogar mutig. Aber ein Sachbuch? Will es gar nicht sein…

„Freya, Iduna und Thor – vom Charme der germanischen Göttermythen“

„Freya bringt Strickwaren. Iduna versichert. Weleda und Wala machen schön. Walküren gibt’s bei Wagner. Nornen bei Droste-Hülshoff. Und Thors Hammer schmückt Frauen und Männer. Aber warum?“

Wenn man zuvorderst einmal Titel und die erste Hälfte der Rückseite des Buches gelesen hat, wird man zugegebenermaßen neugierig.

Liest man zweit Genanntes allerdings weiter, taucht das erste Fragezeichen auf: „Ein wichtiges Stück Kultur-, Religions- und Seelengeschichte. Ein unbefangener und unverstellter Blick auf unsere Märchen und germanischen Mythen […]“

Unverstellter Blick?

Bevor sich der eigene Blick auf das Buch verstellt, ist es zunächst einmal wichtig, das Vorwort mit größter Aufmerksamkeit zu lesen, denn dort legt Zingsem klar, was das Buch ist und was es nicht ist. An diesen Kommentaren stellt sich vielleicht mitunter heraus, was man selbst von dem Buch hält.

Zingsem hat in ihrem Buch konkret versucht, die germanischen Götter von ihrer nationalistischen, rechtslastigen und treu-doofen Konnotation zu lösen.
So weit, so löblich die Intention.

Zingsem dazu in ihrem Vorwort: „Das Buch ist ein Versuch, die nordisch-germanische Mythologie gegen den Strich zu lesen. Nicht das Heldische, nicht die angebliche Blut -und Bodenmystik stehen im Mittelpunkt, sondern Liebe, Weisheit, Humor und Poesie.“ (S. 159)

Und:
„Lange Zeit bin ich um die Themen der nordisch-germanischen Mythologie herumgeschlichen wie die berühmte Katze um den heißen Brei. Ich wollte mir die Finger nicht verbrennen an dem, was uns die jüngere deutsche Vergangenheit als allzu heißes Eisen hinterlassen hatte. So kannte ich mich irgendwann mit den Mythen der ganzen Welt besser aus als mit den heimischen. Hier war sozusagen vermintes Gebiet, befanden sich weiße Flecken auf der Landkarte, das quasi politisch verordnete Niemandsland für unsere Gedanken.“ (S. 11)

Und:
„Es wird Zeit, die nordische Mythologie vom Ritterrüstungswahn falschen Heldentums zu befreien. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, eine (sprach)wissenschaftliche oder eine historische Analyse vorzulegen. Vielmehr soll ein Lesebuch entstehen, dessen Geschichten zum Stauen und Schmökern einladen. So wie hier sind die Geschichten vielleicht schon lange nicht mehr (oder sogar noch nie) erzählt worden.“ (S. 17)

„[…) ein Versuch der Neu-Deutung durch Wiedergewinnung eines unbefangenen Blicks auf Mythen […]“ (S. 17)

Der Seherin Gesicht

Doch zuerst ein sehr kurzer Abriss über den Inhalt des Buches, dessen Titelblatt Freya, Iduna und Thor in bunten und sympathischen Bildern zieren.

In 13 Kapiteln inszeniert die Autorin die göttliche germanische Komödie, erzählt ihre Sicht von Frau Holle, Yggdrasil, Gefjon, den Wanen, Walküren, Disen, Odin, Frigg und Freya, Thor, Loki und Anhang, Nott, Sol, Dag, Mani und noch vielen anderen Gestalten der germanischen Mythologie. Auch vom Schöpfungsmythos und dem Ragnarök weiß sie in amüsanter Form zu erzählen.
Weiter ist der Inhalt in dem Sinne nicht auszuführen, weil er schlichtweg die üblichen Geschichten zu Begebenheiten und Figuren bietet, wenngleich ein paar schöne Interpretationen doch neu sind, bzw. bis jetzt so noch nicht aufgeschrieben waren. So werden Begebenheiten der germanischen Mythologie als Naturmythen interpretiert. Hier einige Beispiele:

Sif steht im Hochsommer kahl vor ihrem Gemahl Thor, da Loki ihr die Haare abgeschnitten hat. „Die Ähren, die reif und glänzend in der Furche stehen, werden als Haar der Erde gedeutet. Ganz wie die ‚blonde Demeter‘, die sich im Herbst in die schwarze Persephone verwandelt, so erscheint auch Sif, die ‚Erfreuliche‘, hier als Erdgöttin, deren Gesicht und Aussehen sich mit den Jahreszeiten wandelt. Und es sind die Zwerge, die aus dem Inneren der Erde das neue Wachstum vorbereiten. So wie auch Thor seiner Gemahlin hilft, indem er sie im Frühling von Schnee und Eis befreit.“ (S. 209)

Ähnlich erzählt sie auch von Freya und Odur, deren Beziehung sie als die „allgemeine Mythologie vom Suchen und Finden“, vom „Verschwinden und Wiederauferstehen des Vegetations-Gottes im Frühling und im Herbst“ interpretiert (S. 110).

Auch wenn diese Interpretationen nicht jedermanns und jederfraus Sache sind – dies alleine sollte keineswegs ein Grund sein, das Buch sofort wieder aus der Hand zu legen. Ganz im Gegenteil, es wird eine ganz interessante Perspektive auf die ganze Sache.
Zingsem nimmt ihre Interpretationen so vor, wie sie es auch in ihren anderen Büchern gerne tut, nämlich mit Schwerpunkt und Hervorhebung starker und selbstbewusster Frauen und Göttinnen.

Nur halb so ernst nehmen darf man Zingsems Blick auf historische Fakten und die Sprachgeschichte, denn das ist nicht ihr Gebiet.

So ist – um nur ein Beispeil zu nennen – ihre etymologische Herleitung des Namens Freya nicht korrekt, so wie sie es auf S. 108 darstellt:„Der Name Freya bedeutet einerseits ‚Frau Herrin‘ (entsprechend dem lat. Domina) und hängt andererseits mit der indogermanischen Wortwurzel priio für lieb, froh und gut, bzw. gothisch frijón für lieben zusammen.“
Richtig ist aber vielmehr, dass Freya  zu indogermanisch *pro-, ‚vorne‘, gehört, also ‚Herrin‘ meint. Nur auf Frigg trifft ‚lieben‘ zu. Ihr Name stammt vom indogermanischen *prii- altgermanisch *fri. Durch die erste Lautverschiebung wurde ‚p‘ zu ‚f‘, das ‚ii‘ wurde in der goto-nordischen Verschärfung der Halbvokale zu ‚gg‘.
Auch die daraus abgeleitete Interpretation, dass Freyas Bruder Frey hierzulande oft einfach nur ‚Froh‘ heiße, ist daher falsch, da Frey und Freya dieselbe Wortwurzel miteinander teilen und ihre Namen schlichtweg nur ‚Herr‘ und ‚Herrin‘ bedeuten.
Dies zeigt auch deutlich, dass es nicht stimmen kann, wenn Zingsem sagt, dass vom Wesen und Namen her die beiden Göttinnen Freya und Frigg ursprünglich so gut wie gleich gewesen wären (vgl. S. 180).Hinterfragen ist eben leider nicht die Stärke der Autorin.

Als Beispiel dafür sei die auf für meinen Geschmack ganz zauberhafte und eindrucksvolle literarische Schilderung vom Auftritt der Spákona – Seherin –  Thorbjörg in der „Eriks-Saga“ genannt. Steht dort doch tatsächlich: „Wie sich so ein Ritual vollzogen hat, erfahren wir aus der Saga Eriks des Roten“ (S. 119).
Auch wenn es archäologische Funde von Beuteln (z.B. Grabfund von Lyngby) gibt, deren Inhalt als von magischer Natur gedeutet werden könne, so ist die Feststellung „wie es sich vollzogen hat“ doch etwas gewagt, wenn man dem Umstand Rechnung trägt, dass die Niederschrift bereits aus erzchristlicher Zeit stammt.
Dennoch muss man aber auch anmerken, dass die Textstelle sich ob ihres nüchternen Detailreichtums tatsächlich wie eine Schilderung einer Tatsache liest.Ingesamt also eine hakelige Sache, das mit dem Fakten.
Diese Stelle wäre jedenfalls einmal mehr eine Möglichkeit gewesen, der Quellenlage etwas mehr an Bedeutung beizumessen und diese kritisch darzustellen.

Auch die unhinterfragte Existenz einer Göttin Ostara hätte sich dafür ganz wunderbar angeboten (vgl. S. 124).

Ältliche Quellen, manchmal trüb

Zur verwendeten Literatur ist zu sagen, dass sie insgesamt nicht sonderlich vertrauenserweckend ist. Zu alt, dh auch überholt, ist zum einen, zu zweifelhaft zum anderen.
So finden wir darunter auch Hans von Wolzogen mit „Göttersagen der Edda“ aus dem Jahr 1919. Derselbe Wolzogen gehörte 1929 zu den Unterzeichnern des Gründungsmanifestes des „völkisch“ gesinnten, antisemitischen „Kampfbunds für deutsche Kultur“.

Paul Zaunert, in der Bibliographie mit „Deutsche Märchen seit Grimm“ aus dem Jahr 1922 vertreten, war immerhin seit 1925 Herausgeber der Schriftenreihe „Deutsche Volkheit“.

Derartige Werke unkommentiert in ein Buch zu integrieren, das eigentlich gerne gegen die „überkommene Mythenauslegung der NS-Zeit“ (Klappentext) sprechen möchte, ist natürlich völlig unmöglich. Schade, dass diesem Umstand nirgendwo Rechnung getragen wird.

Harmlos – zumindest relativ gesehen, wenngleich ärgerlich – sind natürlich Bücher zu Themen, zu denen es wesentlich bessere Literatur gibt. Nigel Pennick mit „Das Runenorakel“ (1990) und Edred Thorsson mit dem „Handbuch der Runenmagie“ (1992) wären wirklich nicht nötig gewesen.

Die schönere Geschichte

Vera Zingsem ist vielleicht die Snorra des 21. Jahrhunderts. Sie erzählt die Geschichten neu, aus ihrer Sicht und mit ihrem kulturellen und philosophischen, spirituellen Hintergrund. Sieht man sie als poetische Neuerzählerin, so kann man ihr das Buch nicht nachtragen.

Bei ihrer Inszenierung legt sie den Figuren das bestmögliche Make Up an, arrangiert die beste Beleuchtung, sie fügt zusammen (auch, was nicht immer zusammen gehört) und füllt Löcher (mit welchen Füllungen auch immer). Schade ist, dass sämtliche Schminke nicht als solche ausgewiesen ist.

Soweit ich ihr Ansinnen durchschaut habe, so möchte sie eine verzerrte Rezeption aufarbeiten. Was dabei allerdings herauskommt, ist eine erneut verzerrte Rezeption.

Dennoch muss man der Autorin zu Gute halten, dass sie ganz klar die schönere Geschichte erzählt.

Wir können Mythen sehen, wie immer wir wollen, das heißt somit in logischer Konsequenz auch, dass die besudeltsten Dinge nicht verloren sein müssen. Und dafür ist Zingsems Buch „Freya, Iduna und Thor. Vom Charme der germanischen Göttermythen“ der niedergeschriebene Beweis.

Vera Zingsem: Freya, Iduna & Thor
Vom Charme der germanischen Göttermythen.
Tübingen, Klöpfer und Meyer Verlag
Auflage 1, 22. März 2010

263 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
€ [D] 22,00 / [A] 22,70

Über die Autorin

Vera Zingsem ist Diplomtheologin, Tanzpädagogin, Mythen- und Symbolforscherin, freie Autorin und Dozentin (unter anderem an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg). Sie lebt und arbeitet heute in Tübingen.

Weitere publizierte Werke

  • Die Weisheit der Schöpfungsmythen: Wie uralte Geschichten unser Denken prägen (Stuttgart 2009 )
  • Der Himmel ist mein, die Erde ist mein: Göttinnen großer Kulturen im Wandel der Zeiten. (Schalksmühle 2008)
  • Das Geheimnis der Sonne: (Eschbach 2008)
  • Sind die Weltreligionen friedensfähig? Ein Plädoyer für eine gerechte Religion (2006)
  • Lilith, Adams erste Frau  (Tübingen 2002, Leipzig 2005))
  • Klar wie das Wasser  (Freiburg 2002)
  • Schlangenfrau und Chaosdrache in Märchen, Mythos und Kunst (2001)
  • Die Einladung nach Jerusalem (Frankfurt am Main 2001)
  • Im Schatten des Olivenbaums: Erzählungen zu Palästina/Israel (1994)

Brigh, im Juli 2010

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4 Kommentare
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  1. Zu obiger Buchkritik, „germanische Göttermythen“, fehlt die Angabe des Autors dieser Kritik. Es wäre gut zu wissen, welcher „germanische“ Experte diese verfasst hat.
    Die Angabe „Von Brigh“ führt auch bei Google zu keinem Ergebnis.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Eike Dantona

    Brigh studierte Geschichte, Ur- und Frühgeschichte sowie Germanistik an der Universität Wien. Nach langjährigem Auslandsaufenthalt in Spanien lebt sie heute in Wien, wo sie als Gymnasiallehrerin arbeitet. Daneben Doktoratsstudium am Wiener Institut für Geschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Neuheidentums- und Esoterikforschung, Rezeption der altgermanischen Religions-, Kulturgeschichte und Runologie. MartinM

  2. GEschichtserzählung ist immer ein Vorgang der Rezeption, jede Sichtweise proklamiert eine eigene „Wahrheit“. Das Wesentlich ist, sich auf die Geschichte zu beziehen. Wenn die Menschen unserer heutigen Zeit etwas damit anfangen können sollen, dann geschieht dies vorzugsweise in Geschichten, die Bilder hervorrufen und die Ales mit Neuem verknüpfen. Sonst „dekoriert“ so ein Geschichtswerk nur wieder einmal die endlosen Reihen der Bibliothekssääle.

  3. Ob eine Sichtweise/Meinung/Argumentation plausibel ist hängt also vom Namen dessen, die/der die Meinung äußert, ab? Tse…

  4. Hallo Thea,

    Sprichst du von Geschichte, Geschichten oder Mythen in deinem Posting?

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