Toll, toll, Toleranz?

8. November 2013 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Um tolerant zu sein, muß man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.

Umberto Eco

Toleranz ist eine Tugend. Allerdings keine jener Tugenden, die absolut und immer ethisch „gut“ wären.

Darüber, dass es nicht sinnvoll ist, den Intoleranten (z. B. Neonazis) mit Toleranz zu begegnen, schrieb ich bereits hier: Macht euch nicht zu „Toleranztrotteln“!

Aber was ist mit der hochgelobten religiösen Toleranz? Von der ja auch wir profitieren (auch wenn die Nornirs Ætt sich nicht als „Religionsgemeinschaft“ begreift)?

Dabei stellt sich die Frage, wie tolerant sich selbst für tolerant haltende Religionsvertreter wirklich sind. Eine weitere Frage ist die, ob jene religiös begründeten Praktiken, für die Religionsvertreter Toleranz einforden, auch tatsächlich tolerabel sind.

Michael Roes, Autor des Buches „Der eifersüchtige Gott“, in dem er seinen Dialog mit dem in Marokko geborenen Geisteswissenschaftler und gläubigen Moslem Rachid Boutayeb festhielt, stellte im Interview mit dem hpd fest: Wir brauchen nicht mehr „Toleranz“!

Nein, wir brauchen nicht mehr „Toleranz“! Ich kann niemanden tolerieren, der mir als schwulen Künstler und Intellektuellen die Lebensberechtigung und mein Recht auf Glück abspricht! Jede Entwürdigung Andersdenkender und –lebender, jede Einschränkung der freien Lebensgestaltung, soweit sie dasselbe Recht der anderen nicht verletzt, muss in einer freien Zivilgesellschaft geächtet sein!

Roes Kernaussage ist in der Tat „starker Tobak“ und selbst für Nicht-Monotheisten unbequem:

Hier beginnen die großen Religionskonflikte unserer Zeit: Die Toleranz des Agnostikers trifft auf den totalitären Wahrheitsanspruch (nicht nur) der monotheistischen Religionen, die per definitionem keine anderen Götter neben sich dulden können. Die Intoleranz, das heißt die Unverhandelbarkeit ihrer Wahrheiten ist dem Monotheismus inhärent und im Fall, dass die Religion auch politische Geltung beansprucht, mit einer pluralen Gesellschaft nicht vereinbar. In der Tat glaube ich, dass eine Welt ohne Religion oder, genauer, eine Welt, deren Ethik sich allein auf eine kontingente Würde des Menschen beruft, eine lebens- und liebenswertere wäre. Es gibt inzwischen unzählige Untersuchungen (auch in der EU), die eine direkte Korrelation zwischen der Gläubigkeit einer Bevölkerung mit ihrer Intoleranz aufzeigen: Je tiefer der eigene Glaube eingeschätzt wird, desto umfassende sind die geäußerten Ressentiments gegenüber Andersgläubigen, Fremden, Minderheiten, Frauen und Schwulen.

Diese Aussage erinnert nicht von ungefähr an die Zeile

Nothing to kill or die for
And no religion too

aus John Lennons Lied „Imagine“.
Nun war Lennon kein kämpferischer Atheist, was übrigens auch Roes, als Agnostiker, nicht ist.
Es bedeutet, dass Religion keine politische Geltung beanspruchen darf, weil das Frieden, Demokratie und Menschenrechte gefährdet. Die oft gehörte Behauptung, ohne das ethisch-moralische Gerüst des Christentums (oder der Islam, des Judentums usw. usw.) würde das „Nichtaggressionsprinzip“, also das Prinzip, auf Gewalt und Gewaltandrohung in Politik, Geschäftsleben und Privatleben zu verzichten, bald ausgehöhlt und regelmäßig missachtet, ist nach aller Erfahrung falsch. Es ist nämlich so, dass der Glaube daran, im Besitz einer nicht hinterfragbaren und alleinigen Wahrheit zu sein, sehr leicht eine Haltung, nach der „der Zweck die Mittel heiligt“ nach sich zieht. Im gar nicht so seltenen Fall ist das „geheiligte Mittel“ Gewalt. Bei nicht-religiösen Weltanschauungen gehören schon ein ziemlich enger ideologischer Tunnelblick und eine ordentliche Portion Fanatismus dazu, sich im Alleinbesitz der Wahrheit zu wähnen. Bei den meisten religösen Weltanschauungen ist dieser Glaube Grundbedingung des religiösen Glaubens.

Auffallend selten wird die Wahrheit ausgesprochen, dass Gott im Monotheismus per Definition nicht tolerant ist. Bestenfalls ist er gnädig.
Das bedeutet noch lange nicht, dass Polytheisten automatisch toleranter als Monotheisten sind. Der Polytheismus macht Toleranz lediglich möglich – wie übrigens auch der Agnostizismus.

Es ist auch kein Zufall, dass die Nornirs Ætt ihre politischen Aktivitäten und Aussagen ausschließlich auf „weltliche“ Grundlage stützt, etwa auf die Erklärung der Menschenrechte, und nicht etwa auf gechannelte Botschaften, Visionen, auf schamanischen Reisen gewonnenen Einsichten und ähnliche Offenbarungen. (Daran mangelt es uns wirklich nicht, und sie sind auch wichtig – nur eben nicht als Grundlage politischen Handelns.) Wir vertreten eine Ethik, die sich auf eine kontingente Würde des Menschen beruft. „Kontigent“ bedeutet in diesem Zusammenhang „Unverfügbarkeit“. Selbstverständlich ist die Menschenwürde ein metaphyisches Kontrukt. Aber sie kann nicht beliebig verändert, verweigert, umdefiniert oder gewährt werden. Und sie entspringt, auch wenn anderes behauptet wird, nicht religösen Offenbarungen. Sie entspringt der Erfahrung, sie ist ganz von dieser Welt.

Übrigens:
Im Zuge der Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde vom US-Radioverbund Clear Channel Communications eine Liste mit 166 Liedern herausgegeben, mit der Empfehlung, diese vorerst nicht mehr zu senden. Imagine befand sich darunter.

Martin Marheinecke

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