Tagespost: Mit „alternativen Fakten“ gegen böse Heiden

8. Februar 2017 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

„Alternative Fakten“ („alternative facts“) ist als Euphemismus beziehungweise sarkastisches Synonym für „Lügenpropaganda“ neu, die Methode, mit “gefühlten Wahrheiten” Stimmung zu machen, ist jedoch uralt.

Im Feuilleton der „Tagespost“, der nach eigenen Angaben „einzigen katholischen Tageszeitung im deutschsprachigen Raum“, findet sich ein Artikel, den ich für ein als Musterbeispiel für eher ideologische denn religiöse Propaganda halte, auf einem Gebiet scheinbar abseits der aktuellen politischen Auseinandersetzungen.
Scheinbar abseits, denn es geht um die „christlich abendländische“ Leitkultur und deren quasi natürliche Überlegenheit gegenüber anderen Religionen und Kulturen.
Wenn die Natur zur Gottheit wird (Tagespost)

Die drei mal wöchendlich erscheinende „Tagespost“ gilt sogar innerhalb der römisch-katholischen Kirche als konservativ, aber nicht unbedingt als Kampfblatt religiöser Fanatiker. Auch Dr. Josef Bordat, der Autor des nicht sonderlich langen Artikels, macht nicht den Eindruck eines engstirnigen Fundamentalisten. Nach seinem Blog zu urteilen, ist er ein konservativer, zutiefst humanitär denkender Intellektueller. Er vermeidet es, unter Rückgriff auf eine wörtliche Bibelauslegung wissenschaftlich fundierte Erklärungsmodelle z. B. die Evolutionstheorie, abzulehnen. Allerdings macht er, auf höherem intellektuellem Niveau, durchaus etwas Ähnliches: Er setzt Glaubenserkenntnisse, also Schlussfolgerungen, die sich aus seiner religiösen Überzeugung ergeben, mit (methodisch atheistische) wissenschaftlichen Erkenntnissen gleich. Also Metaphysik mit Physik. (Wobei „Physik“ hier stellvertretend für alle empirischen Wissenschaften steht, Wissenschaften, die auf aus Erfahrung, Beobachtung und Experiment gewonnenen Erkenntnissen beruhen.) „Methodischer Atheismus“ bedeutet, Götter oder andere „übernatürliche“ Wesenheiten und Einflüsse aus der wissenschaftlichen Forschung auszuklammern. (Beispiel: Thor hat in einer metorologischen Theorie über die Entstehung von Gewittern nichts verloren.) Methodischer Atheismus impliziert allerdings keinen theoretischen Atheismus, behauptet also nicht, dass Götter, Trolle, Dämonen, Geister usw. nicht existieren – oder das Jesus längst tot wäre.

Ein Beispiel für Bordats Denken ist sein Blogbeitrag: Wikipedia. Wo Atheisten über den Glauben richten. Schon der erste Satz ist bezeichnend: „Die Wikipedia-Strategie bei religionsphilosophischen Themen (oder auch schlichter:. Glaubensfragen) ist folgende: […]“
Religionsphilosophie kann durchaus auch methodisch-atheistisch betrieben werden, und lässt sich nicht auf „Glaubensfragen“ reduzieren. Daher muss jemand, der den Glauben aus Religionsphilosophie ausklammert, was ja für die von der „Wikipedia“ angestrebte Neutralität erforderlich ist, nicht zwangsläufig ein „Religionskritiker“ sein.
Das „Euthyphron-Dilemma“ ist laut Bordat ein Scheinproblem, da „Gott im Christentum die Güte“ sei. Christen glauben, dass Gott nur das Gute gebietet, und damit fertig.
Sinngemäß:

Regel 1: Gottes Gebote sind immer moralisch gut.
Regel 2: Im Fall, dass ein göttliches Gebot nicht moralisch gut sein sollte, tritt automatisch Regel 1 in Kraft.

Christen, die das anders sehen, sind in Wirklichkeit gar keine.

Immerhin räumt er, mit Thomas von Aquin, ein, dass niemand an Gott glauben muss, um das Gute zu tun.

Dass Bordat, als überzeugter Katholik, nichts vom alten und neuen Heidentum hält, wäre keinen Kommentar wert. Da er selbst allerdings sagt:

„Oft halten wir für wahr, was uns überzeugt,
obwohl uns nur überzeugen sollte, was wahr ist.“

(Quelle), außerdem Soziologie und Philosophie studierte und als Fachmann für Kirchengeschichte gilt, halte ich es für angebracht, mich zu einigen Behauptungen Josef Bordats zu äußern.

Ihre Vorfahren haben sich bekehren lassen von christlichen Missionaren. Das ging nicht nicht immer reibungslos, oft geschah es auch gewaltsam. Das wiederum lag nicht am Christentum, sondern zum einen an den politischen Garanten des (damals) neuen Glaubens, die gegen den Willen der Kirche eine Mission mit dem Schwert betrieben – der größte Kritiker Karls des Großen im Sachsenkrieg war kein Stammesfürst, sondern sein Hofgeistlicher Alkuin.

Es stimmt, Alkuin kritisierte König Karl, genannt „der Große“ für seine brutale „Missionierung mit der eisernen Zunge“. Ob der angelsächsische Gelehrte allerding den „Willen der Kirche“ aussprach oder doch nur seine persönliche Meinung, ist fraglich. Andere Kleriker waren mit Karls mörderischen Methoden einverstanden, und Alkuin war zu dieser Zeit lediglich Diakon, also nicht einmal Priester. Er war allerdings, als unentbehrlicher Berater, einer der Wenigen, die den König überhaupt kritisieren durften ohne schwerste Sanktionen fürchten zu müssen. Außerdem tat er das in einem Brief, dessen Abschrift Karls Zugriff entzogen war. Vielleicht gab es zahlreiche noch weitaus schärfere kirchliche und „weltliche“ Kritiker des blutigen „Entheidnifizierungsprogramms“ (Rudolf Pörtner) „Karls des Groben“ (Duke Meyer), von denen wir nichts wissen. Nur hätte ihre Kritik, und erst recht die eines heidnischen Stammesfürsten, extrem wenig Aussicht gehabt, überliefert zu werden.

Stärke ist im heidnischen Stammesdenken alles. Und auch der entscheidende Grund, den Gott der Christen nach einer Niederlage auf dem Schlachtfeld anzunehmen: Er hatte sich als der Stärkere erwiesen. Das allein zählte. Argumente und liebevolle Zuwendung waren in der Heidenmission de facto untaugliche Mittel. Welcher Gott lässt uns Schlachten und Kriege gewinnen? Das war die Frage des Heiden.

Dafür, nach einer totalen mililtärischen Niederlange den Gott der Christen anzunehmen, gab es einen einfache Grund: Das „Recht“ des Stärkeren. Dafür, dass die christlichen Armeen so oft gegen hartnäckigen heidnischen Widerstand siegten, ebenfalls: „Gott ist immer mit den stärkeren Bataillonen.“ (Friedrich II. von Preußen, genannt „der Große“.)
Es gabt (seltene) Fälle, in denen Heerführer gelobten, den Christengott zu verehren, wenn er ihnen den Sieg schenken würde. Der wichtigste halbwegs verbürgte Fall war der des Merowingerkönig Chlodwig I.: Nach dem Sieg bei der Schlacht von Zülpich konvertierte Chlodwig zum katholischen Glauben, wobei sicherlich auch die christliche Königslehre für den ehrgeizigen und machthungrigen Herrscher attraktiv gewesen sein wird. In allen anderen Fällen entschieden sich heidnische Herrscher entweder auf massiven Druck hin oder mehr oder weniger freiwillig aus pragmatischen Gründen – etwa außenpolitischen Bündnissen oder Zugang zu Handelswegen – für das Christentum. Auch für Widukind, den langjährigen Gegner „Karls des Großen“, war die Taufe der Preis für einen dringend benötigten Friedensschluß.

Es fehlt aber nicht an Gegenbeispielen, bei denen die Christanisierung eben nicht mit Waffengewalt durchgesetzt wurde – die markantesten Fälle sind Irland und Island. im Falle der isländischen Althingbeschlusses war allerdings auch Druck des christlichen Norwegerkönigs Olav Trygvasson im Spiel.

Es macht Polytheisten auch nicht viel aus, einen weiteren Gott, etwa den siegreichen „weißen Christus“, in ihr Pantheon aufzunehmen.

Dann setzte sich das Christentum als auch kulturell überlegen durch. Denn Kultur braucht Verstetigung. Die gab es bei den alten Germanen aber nicht, weder besondere Bauwerke noch Bücher oder Artefakte, die nicht zugleich Gebrauchsgegenstände waren. Bibliotheken gab es erst, als auf „deutschem“ Boden Kirchen und Klöster errichtet wurden. Eine Ausbildung in Kulturtechniken (wie Lesen und Schreiben) gab es ebenfalls erst mit dem Christentum.

Geschickt lenkt Bordat den Fokus auf die „alten Germanen“. Denn schon die Römer, die vor Ende des 4. Jahrhundert fast durchweg Heiden waren, errichteten Bibliotheken, z. B. in Trier oder Köln.
Die gleichfalls heidnischen Kelten, die zur Zeiten von Caesars „Gallischem Krieg“ den heutigen Südwesten Deutschlands bewohnten, bauten Oppida, befestigte, stadtartig angelegte Siedlungen, die typischen Umgangstempel und schufen die beeindruckenden Kunstwerke der La-Tène-Kultur. Übrigens waren auch die „alten Germanen“ nachweislich nicht völlig analphabetisch (Runeninschriften!) und fertigten „Artefakte, die nicht zugleich Gebrauchsgegenstände waren“, sprich Werke der bildenden Kunst.

Während der spätantiken Völkerwanderungen, die große Teile Europas mit zügellosem „natürlichem“ Krieg überzogen und in der Zerstörung des kulturellen Zentrums – nämlich der Stadt Rom – kulminierten, entwickelt Augustinus die Idee des gerechten Krieges, der im Christentum grundsätzliche Anfragen und pragmatische Einschränkungen hinnehmen muss.

Augustinus entwickelte nicht die Idee eines „gerechten Krieges“, die gab es z. B. schon bei Cicero, er entwickelte sie lediglich im christlichen Sinne weiter. Was Bordat übrigens genau weiß. Augustinus war übrigens der Ansicht, dass Christen dann an einem Krieg teilnehmen dürfen, wenn mit dem Krieg die Friedensordnung wiederhergestellt wird, die auf der von Gott gesetzten Schöpfungsordnung beruht. Das bedeutet meiner Ansicht nach gegenüber der von stoischen Philosophen entwickelten Lehre vom „gerechten Krieg“ einen erheblichen Rückschritt. Mit der Begründung, man wolle nur die gottgewollte Schöpfungsordnung wiederherstellen, lassen sich auch Angriffskriege und sogar Vernichtungskriege rechtfertigen.

Man entwickelt einen neuen, scheinbar modernen Ansatz der Naturverehrung. Natur kann dabei völkisch oder auch globalistisch aufgeladen sein. […] Zum anderen dient Natur als Chiffre für das planetarische Großprojekt Klimaschutz. Beiden Ausrichtungen ist eine Distanz zu Kultur und Technik zu eigen – und eine Ablehnung des Christentums als historischem Erzfeind oder als Hindernis auf dem Weg zu einer biozentrischen Weltsicht, in der Mensch, Tier und Pflanze rechtlich gleichgestellt werden.

Josef Bordat verengt hier ein breites Spektrum an Richtungen der Naturspiritualität auf zwei, die er als gegen das Christentum gerichtet ablehnt – wobei er interessanterweise die christliche Naturmystik, die z. B. an Franz von Assisis berühmten Sonnengesang anknüft, außen vor lässt. Distanz zur Kultur ist unter Naturverehrern eher untypisch, im Gegenteil, die meisten von ihnen sind auffällig kulturbeflissen. Distanz zur Technik kann auch nicht extrem weit verbreitet sein, sonst gäbe z. B. im Internet nicht so viele ökospirituelle Texte.
Nebenbei: Selbst die radikalen und gewaltbereiten Tierrechtler der „Animal Liberation Front“ gehen nicht so weit, nichtmenschliche Tiere dem Menschen rechtlich gleichstellen zu wollen – es geht ihnen um den Schutz vor Ausbeutung und Leiden. (Und Pflanzenrechtler sind mir noch nicht untergekommen.) Mir sehen Bordats Behauptungen sehr nach Strohmannargument aus.

Nun kommen wir zu einen Ereignis, dass vermutlich der Anlass für den Artikel in der Online-Ausgabe der „Tagespost“ war. Ihm ging dieser Blogbeitrag zeitlich voraus: Rechte Heiden

Schaut man sich Fälle wie den im Zuge von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft verhafteten „Druiden“ und „Reichsbürgers“ Burghard B. an, so scheint das Heidentum germanischer Prägung in den letzten 1500 Jahren nur wenig dazugelernt zu haben.

Kriminelle wie Burghard B. hält Bordat anscheinend für typisch für das „Heidentum germanischer Prägung“. Das ist ähnlich unfair, wie zu behaupten, militante „Lebensschützer“, die Mordanschläge auf Abtreibungskliniken verüben, seien charakteristisch für das Christentum, und der „Monotheismus christlicher Prägung“ hätte seit 1700 Jahren (der Zeit, als sich im römischen Reich christliche Fanatiker gegenseitig die Köpfe einschlugen) wenig dazugelernt.

Ich kritisiere einige Heiden dafür, dass sie einem Antisemiten, Rassisten und antimoslemischen Hetzer eine Platform gegeben haben. Es war meines Erachtens schon lange offensichtlich, dass der „Druide“ kein harmloser Spinner war und dass er offen menschenfeindliches Gedankengut vertrat. Anderseits: Diese Heiden sind mehrheitlich eben keine Rassisten und auch keine Nazis. Was ich ihnen vorwerfe sind Naivität, falsch verstandene Solidarität („wir sind doch alle Heiden und müssen zusammenhalten“) und nach rechtsaußen anschlussfähiges Verhalten (Hetze gegen die „Wüstenreligionen“ zieht erfahrungsgemäß Antisemiten und völkische „Blut und Boden“-Fanatiker so an, wie ein Misthaufen Fliegen).

Das „Heidentum germanischer Prägung“ hat, gemessen an den Zeiten, in denen es erstmals organisiert in Erscheinung trat, sehr viel dazu gelernt. (Das war übrigens im 19. Jahrhundert, vorher konnte es ein organisiertes (Neu-)Heidentum einfach nicht geben. Eine ungebrochene Traditionslinie zu vorchristlichen Zeiten gibt es eh nicht!) Damals war es noch durch die Bank „germanentümelnd deutschnational“. Den größten Lernfortschritt in Richtung Demokratie, Menschenrechte und historische Wahrheit machte „das Heidentum“ in den letzten 25 Jahren. Noch in den 1980ern beherrschten Ariosophen und andere völkische Rassisten das Bild der „Heidenszene“, angeführt von „Heidenfürsten“, dem Gegenstück zu „Sektengurus“ (gemeinsames Merkmal: völlige Selbstüberschätzung). Burghard B. ist ein Relikt aus jenen Tagen.

Es ist allerdings klar, dass Burghard B.s menschenverachtende Haltung und seine Gewaltbereitschaft genau zu dem Bild passt, das Bordat vom historischen Heidentum malt. Es entspricht aufällig genau dem antiken Barbarenbild.
Etwas Haarspalterei am Rande: der „Druide“ gehört dem Heidentum keltischer Prägung an. Und selbstverständlich ist er nicht typisch für das „Heidentum keltischer Prägung“.

Martin Marheinecke, 8. Februar 2017

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