„Steinzeitmassaker“ – hatte Marija Gimbutas recht?

12. Mai 2019 | Von | Kategorie: Wissenschaft

2011 wurde in der Nähe des südpolnischen Ortes Koszyce ein rund 5000 Jahre altes Massengrab entdeckte. 15 Männer, Frauen und Kinder waren damals brutal ermordet worden. DNA-Analysen der Toten geben nun neue Hinweise darauf, wer diese Menschen waren und warum sie starben. Demnach handelt es sich bei den Toten um die Mitglieder einer Großfamilie aus der Kugelamphoren-Kultur, die möglicherweise von benachbarten Gruppen der Schnurkeramikkultur getötet wurden.

Massaker im steinzeitlichen Polen (DAMALS)

(Hannes Schroeder (Universität Kopenhagen) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.1820210116)

Im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung wanderten Reiternomaden und andere Volksgruppen aus der Pontischen Steppe nach Mitteleuropa ein und lösten unter anderem die Entstehung der Schnurkeramiker-Kultur aus, einer dort für die Übergangzeit zur Bronzezeit prägenden Kultur

Dort gab es allerdings schon die Kugelamphoren-Kultur, eine durch Herdenviehhaltung geprägte halbnomadische Kultur. Schon früh wurde vermutet, dass die „Schnurkeramiker“ die eingesessenen „Kugelamphoriker“ gewaltsam unterworfen hätten.

Anhand der Grabbeigaben lässt sich das Grab der Kugellamphoren-Kultur zuordnen. Alle Menschen in diesem diesem Grab wurden durch Schläge auf den Kopf getötet, und zwar, wie die fehlenden Abwehrverletzungen zeigen, nicht im Kampf. Obwohl die Opfer also anscheinend kaltblütig ermordet worden waren, wurden sie sorgfältig mitsamt Grabbeigaben bestattet.

Ein Team unter der Leitung von Hannes Schroeder (Universität Kopenhagen) analysierten nun die Gebeine und deren Erbgut genauer. Die DNA-Analysen bestätigten, dass alle 15 Toten der Kugelamphoren-Kultur angehört haben dürften: Ihr Erbgut enthielt etwa 30 Prozent Gene europäischer Jäger-und-Sammler-Vorfahren und rund 70 Prozent Gene der eingewanderter neolithischer Bauern, aber keine DNA der Steppennomaden.

Der klare Bruch zwischen den Kulturen, kombiniert mit dem Massengrab, deuten darauf hin, dass zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen tatsächlich ein gewaltgeladener Konflikt geherrscht hatte. Es ist gut vorstellbar, dass das Massaker geschah, weil es territorialen Streitigkeiten zwischen den mit ihren Herden umherziehenden Gruppen der Kugelamphoren-Kultur und denen der Schnurkeramikern gab. Bestattet wurden die Toten offenbar nicht von ihren Feinden, sondern von Menschen, die diese Familien gut kannten. Denn die sterblichen Überreste der im Massaker Ermordeten wurden nicht wahllos ins Grab geworfen, sondern sorgfältig nach Verwandtschaft gruppiert bestattet. So wurden die Kinder neben ihren Müttern platziert und Geschwister eng nebeneinander.

Allerdings zeigen die Erbgut-Analysen, dass die Gemeinschaft von Koszyce wahrscheinlich patrilinear organisiert war, weil die Frauen im Grab nicht eng miteinander verwandt waren, die Männer hingegen schon. In patrilinearen Gesellschaften prägt die väterliche Linie die Familienstruktur, Frauen dagegen heiraten in diese Sippen ein oder werden in andere Clans verheiratet. Das bestätigt Indizien dafür, dass unter den spätneolithischen Gemeinschaften in Mitteleuropa die patrilineare Gesellschaftsorganisation vorherrschte.

Marija Gimbutas hatte wohl nicht ganz recht

Die neueren Funde, einschließlich dem Massengrab von Koszyce, passen an und für sich gut zu der von Marija Gimbutas entwickelten Kurganhypothese. Diese Hypothese geht davon aus, dass Pferde schon früh in der Steppe zwischen Kaukasus, Wolga und Ural domestiziert wurden. Die dadurch entstehende hohe Mobilität habe zu kämpfenden Reiterhorden geführt, die patriarchalische Gesellschaftsformen hervorgebracht hätten. Vieles spricht dafür, dass diese mobilen Reiternomaden auch die Träger der Indoeuropäischen („Indogermanischen“) Sprache waren. Allerdings ging Gimbutas davon aus, dass es im Osten Mitteleuropas im Neolithikum eine zwischen den Geschlechtern ausgewogene matrilineare Gesellschaftsform gegeben hätte. (In matrilearen Gesellschaften prägt die mütterliche Linie die Familienstruktur, Männer heiraten in diese Sippen ein. Übrigens sind matrilineare Gesellschaften nicht zwangsläufig Matriarchate, genau so wenig sind patrilineare Gesellschaften automatisch patriarchalisch.)

Gimbutas vermutete, dass die Religion der neolithischen Mitteleuropäer die Verehrung einer vielgestaltigen „Großen Göttin“ beinhaltet hätte. Zwischen 4300 und 2800 v. u. Z. seien die „Indo-Europäer“ in verschiedenen Invasionszügen in das östliche Mitteleuropaßend eingedrungen, hätten die ältere Kultur überschichtet und sich als aristokratische Oberschicht etabliert. Diese Eroberung Europas durch die „Kurgan-Kultur“ (benannt nach den für sie charakteristischen Grabhügel), schlage sich archäologisch als Glockenbecher- und Schnurkeramik-Kultur nieder.

Marija Gimbutas Hypothese wurde nicht zuletzt deshalb populär, weil sie von einer Invasion einer agressiven, patriarchalen und patrilinearen Kultur in ein matrilinear organisiertes, friedliches „Alteuropa“ ausging. Damit passt sie sehr gut zu einem feministischen Geschichtsbild.

In der Tat stützen neuere Arbeiten zur Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen und auch neue genetische Untersuchungen große Teile der Kurganhypothese. Allerdings passen die Befunde, dass die „alte Europa“ eben nicht matriliar gewesen war, ausgerechnet nicht zu den Schlussfolgerungen, deretwegen Gimbutas gerade in Hexen- und Heidenkreisen ausgesprochen populär ist.

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