„Schamanskis“ auf DRadio

28. August 2014 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Auf „DRadio Kultur“ gab es am 27. August 2014 eine interessante Sendung über Schamanen. Wobei „interessant“ bekanntlich ein vieldeutiger Begriff ist … Es ist übrigens, anders als es der Untertitel der Sendung verspricht, keine „Kulturgeschichte des Schamanismus“ – die hätte auch schwerlich in eine knapp halbstündige Sendung gepasst – und es geht auch nur am Rande um „Ethnologie“.
Es geht in diesem Beitrag nämlich um den „Neoschamanismus“, der als Therapieform, wenn er sachkundig und verantwortungsbewusst ausgeübt wird, meiner Ansicht seine Berechtigung hat (aber das „Wenn“ ist, angesichts zahlreicher „Plastikschamanen“ und „Seminarschamanen“ leider ein sehr großes „Wenn“).

Die Sendung lässt sich auf der Website von DRadio anhören und auch nachlesen.
Medizinmann, Wahrsager oder Zauberer

Das Wort Schamane bedeutet „erhitzter, erregter Mensch“. Sie werden als Sehende und Heiler verehrt. Schamanen obliegt oft die Krankenheilung − in dieser Funktion erleben sie eine Renaissance.

Die Autorin, Michaela Vieser, war an Krebs erkrankt und suchte Heilung bei einer Schamanin. Das ist weniger irrational, als mancher „Skeptiker“ meinen mag, denn sie verzichtete nicht auf die „schulmedizinische“ Therapie.
Das prägt eindeutig ihre positive Grundhaltung zu den „Schamanskis“, wie sich manche neoschamanisch Arbeitende leicht selbstironisch nennen. Diese Grundhaltung ist ganz nett, aber vielleicht hätte etwas mehr kritische Distanz der Sendung gut getan.

Übrigens wäre mir neu, dass Schamane „erhitzter, erregter Mensch“ bedeutet. Das Wort Schamane stammt meines Wissens aus der Sprache der Ewenken, einer kleinen, tungusisch sprechenden Gruppe von Jägern und Rentierhirten in Sibirien. Auf tungisisch bedeutet šaman, von „ša“ – „wissen“, „denken“ – soviel wie „der Wissende“ oder „der Weise“. Was zu dem, was Schamanen wirklich sind und tun, weitaus besser passt, denn Weisheit und Wissen sind beim Schamanismus vielleicht wichtiger als die berühmte Ekstase.

Zwei weitere Behauptungen fallen mir an diesem Betrag, der mir an sich gut gefiel, unangenehm auf:

Wenn ich übers Feuer gehe und weiß, es ist eigentlich gar nicht möglich, also rein naturwissenschaftlich konnte noch niemand beweisen, warum das funktioniert und wenn ich ins Feuer stolpern sollte, dann würde ich mich verbrennen.

Die Behautung, rein naturwissenschaftlich könne niemand beweisen, warum das funktioniere, ist Unsinn. Rein psysikalisch ist das Laufen mit nackten Füßen über glühende Kohlen gar kein Problem, denn Holz und Kohle sind schlechte Wärmeleiter und haben eine geringe Wärmekapazität, ebenso die Asche, die die Glut umgibt. Die Temperaturen beim Feuerlauf an den Füßen betragen „nur“ bis zu 200 Grad Celsius, was bei der kurzen Kontaktzeit beim zügigen Gehen unproblematisch ist. Außerdem wird das Feuer beim Darüberlaufen durch Sauerstoffentzug sozusagen teilweise gelöscht, der Schweiß bildet, wenn er verdampft, ein isolierendes Polster und die dicke Haut an den Fußsohlen ist weniger empfindlich als z. B. die Fingerspitzen. Damit will ich das psychologische Problem der Selbstüberwindung und der Selbstkontrolle nicht kleinreden – bleibt man stehen oder fängt man an zu rennen, verbrennt man sich.
Was mich daran ärgert, ist die Sensationsbehauptung, die seitens der Autorin unwidersprochen bleibt.

Richtig ärgerlich ist allerdings diese Behauptung:

Der Neo-Schamanismus geht zurück auf den Ethnologen Carlos Castaneda. Seine Bücher über seine Begegnungen mit mexikanischen Schamanen erschienen in den 70er-Jahren auf den Bestsellerlisten, …

Es stimmt zwar, dass Castanedas Bücher – die nicht auf eigenen Forschungen, sondern auf angelesenen Erkenntnissen aus der anthropologischen Bibliothek der University of California, eigenen Drogenerfahrungen und sehr viel Phantasie beruhen – die erste große „Schamanen-Mode“ auslösten, aber die Ursprünge des Neo-Schamanismus sind z. T. deutlich älter. Ohne den auch im Beitrag erwähnten Mircea Eliade gäbe es den Neoschamanismus wahrscheinlich nicht, und ohne Castaneda wäre er wahrscheinlich seriöser. Wichtiger als der unterhaltsame Fabulierer Castaneda, der „Karl May“ des Schamanismus, ist allemal der ebenfalls im Beitrag erwähnte Michael Harner – aber auch er und sein „Core Shamanism“ sind nicht unumstritten. Schamanen in schamanischen Kulturen brauchen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis sie ihr sprituelles Handwerk beherrschen, währen die Schamanismus-Seminare den Eindruck vermitteln, so etwas ließe sich in kurzer Zeit von praktisch jedem / jeder leicht erlernen.

Es wäre nun sehr einfach, das sehr subjektive Feature von Michaela Vieser als „unkritisch“ abzutun. Interessant sind, jedenfalls für mich, gerade die Stellen, an denen sich zeigt, dass Frau Vieser eben keine „Expertin“ ist, und dass sie, obwohl sie Fachleute, wie z. B. den Ethnologen Mirko Uhlig heranzieht, auch keine streng sachlich-abstrakte, geschweige denn „objektive“, Darstellung des (Neo-)Schamanismus geben möchte.

Ich selbst habe etwas Erfahrung mit schamanischem Reisen, bin allerdings weit davon entfernt, mich als „schamanisch Arbeitender“, geschweige denn „Schamane“ zu bezeichnen – dazu gehört, wie ich aus meiner Erfahrung heraus sagen kann, eben wirklich mehr. Wenn jemand behauptet: „Ich bin anerkannte Core-Schamanin“, dann soll sie zeigen, was sie kann. Ob sie etwas kann – eine Trance induzieren, einen Klienten in die „nicht alltägliche Wirklichkeit“ mitnehmen, Seelenteile zurückfinden usw. usw., und das zu machen, was gute Therapeuten immer machen, nämlich dem Klienten helfen, sich selbst zu helfen – das ist meiner Ansicht nach das einzig entscheidende Kriterium. Und nicht irgend ein absolvierter Kursus oder die Fähigkeit, besonders gut Trommeln zu können.
Es gibt nach meiner Erfahrung nur wenige neoschamanisch Tätige, die wirklich etwas können; ich habe das Glück einige von ihnen zu kennen. Hier in Mitteleuropa ist „Schamane“ leider meist die Selbstbezeichnung für Poser, Selbstdarsteller – und Scharlatane.
Ich habe noch nie eine(n) ernstzunehmende(n) Neoschamanen / Neoschamanin getroffen, die oder der groß herumtönen und Sprüche aus dem Poesiealbum des Esoschlonzes klopfen würde. Geschweige denn (unzutreffenderweise) zu behaupten, in das schamanische Wissen einer Stammeskultur eingeweiht zu sein. Diese Anmaßung ist das typische Merkmal der berüchtigten Plastikschamanen. Es ist nicht akzeptabel, Praktiken fremder Kulturen nachzuahmen und diese meist jämmerlichen Plagiate als „authentisch“ ausgeben. Ernstzunehmende Neoschmanen, die tatsächlich von Stammenschamanen gelernt haben, sagen schlicht, sie hätten von Stammesschamanen gelernt. Sich selbst als Vertreter oder Hüter der jeweiligen „uralte Stammeskultur“ aufzuspielen, fiele ihnen nicht ein.
Eine Faustregel: Wer neoschamanisch arbeitet und sich selbst Schamane nennt, ist wahrscheinlich (!) nicht seriös. Noch keiner der wenigen Leute, die ich wirklich Schamanen nennen würde, hat sich selbst so genannt.

Die Berufung zum Schmanen ist nämlich anstrengend – und das gilt auch für Neoschamanen! Es ist jedenfalls nichts, was man sich selber aussuchen würde. Bei Menschen, die schlicht einige (neo-)schamanische Techniken anwenden, mag das anders sein – aber die würden in einer traditionellen schamanischen Kultur nicht als Schamanen durchgehen und auch ich würde sie nicht Schamanen nennen. Was nicht bedeutet, dass diese neoschmanische Arbeit unwirksam wäre. Man kann ja auch Wunden sachgerecht verbinden, ohne gleich Medizin studiert zu haben.
Aber auch neoschamanische Arbeit auf „Heilpraktikerniveau“ ist nichts, was man mit ein paar Wochenend-Seminaren und mit etwas Ausstattung aus dem Esoladen hinbekäme. Ich bekäme es z. B. nicht hin, und das liegt nicht daran, dass ich schwer von Begriff oder nicht trancefähig wäre.

Wenn Brigitte Schmuck einer schwer Krebskranken bei der Heilung helfen kann, ist das gut – und es spricht für sie, dass sie darauf drängte, Frau Vieser möge die Chemotherapie durchhalten. Wenn Frau Schmuck dieses hier lesen sollten, bitte ich sie, es nicht falsch zu verstehen und erst recht nicht, eingeschnappt zu sein, wenn ich meine Zweifel habe, dass sie eine Schamanin im Sinne einer traditionell lebenden Stammeskultur wäre. Dass sie eine gute schamanisch arbeitende Therapeutin ist, gestehe ich ihr jedoch gern zu.

Einige Mitglieder der Nornirs Ætt beschäftigen sich auf die eine oder andere Weise mit (Neo-)Schamanismus, und einige von uns sind wirkliche Könner – wobei ich noch niemanden von ihnen sich selbst „Schamane“ oder „Schamanin“ habe nennen hören. Zum Beispiel Väinäsisu, der interessantes zum schamanischen Reisen zu sagen hat: Aller Anfang ist manchmal schwer und Vom großen Danach.
Mehr theoretisch ist mein sechsteiligen Aufsatz von 2009: Auf der Suche nach der europäischen Schamanentradition.

Martin Marheinecke

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