„Satanic Panic“ – leider immer noch ein Thema

29. Mai 2019 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Vor einigen Jahren wurde ein Fernsehkrimi mit einem wichtigen und brisantem Thema im Rahmen der Reihe „Tatort“ produziert: Abschaum. Es geht um organisierte sexualisierte Kindesmisshandlung, juristisch „sexueller Kindesmissbrauch“ genannt. Andererseits trug dieser „Tatort“ dazu bei, einen problematischen Verschwörungsmythos zu verbeiten.

Es ist harter Stoff: Ein zwölfjähriges Mädchen wird tot aufgefunden. Zwischen Daumen und Zeigefinger hat sie ein seltsames Zeichen. Das Mädchen hatte auffällige Substanzen im Blut, außerdem fallen dem obduzierenden Arzt unerklärlich viele Knochenbrüche auf, sie ist in der Vergangenheit darüber hinaus mehrfach sexuell missbraucht worden. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass es kein Einzelfall war, offenbar gibt es eine organisierte Gruppe, die systematisch Kinder sexuell missbraucht, foltert und auch ermordet. Die Ermittlungen der Polizisten werden behindert und sogar ein dringend Tatverdächtiger auf Anweisung des Oberstaatsanwalts überraschend freigelassen.


Nun ist tatsächlich sexualisierter Kindesmissbrauch nicht eben selten, und es gibt etliche Fälle, in dem der „Missbrauch“ – sexualisierte Kinderfolter – bandenmäßig organisiert ist. Es gibt auch immer wieder Fälle, in dem die Täter von angesehenen Institutionen und sogar von Vertretern der Polizei, der Justiz und der Politik gedeckt werden.

Wer steckt nun im Tatort „Abschaum“ hinter den organisiertem sexualisierten Kinderfolterungen?
Handelt es sich bei den Tätern etwa um katholische Priester, die von Kirchenoberen gedeckt werden? Es gibt leider viele Beispiele dafür.
Oder um Vorfälle in einem angesehenen Internat, die von sympathisierenden Pädagogen und interessierten Politikern vertuscht werden? Auch dafür gibt es leider Beispiele.
Oder wurden die Kinder gar von Trainern und Betreuern eines beliebten Fußballvereins misshandelt und ermordet – und es kann nicht sein, was nicht sein darf?
Falsch, die Täter sind Satanisten!
Das erspart den Autoren nicht nur möglichen Ärger mit Kirche, Pädagogen und Sportfunktionären, sondern ist auch noch angenehm gruselig. Die Nebenwirkung dieses an sich gut gemachten „Tatorts“ war, dass die bereits grassierende „Satanic Panic“ verstärkt wurde.

Die ungefähr ab Mitte der 1990ern aufgekommene Welle der „Satanic Panic“ dreht sich um den satanisch-ritueller Missbrauch („Satanic Ritual Abuse, SRA“). So werden Fälle bezeichnet, in denen Menschen, meisten Frauen und Kinder, Opfer von physischen oder sexuellem Missbrauch im Rahmen eines satanistischen oder ähnlichen magisch-okkultistischen Rituals werden.
Ungeachtet der durchaus bestehende Möglichkeit, dass es rituellen Missbrauch wirklich gibt, gehört zur „Satanic Panic“ der Verschwörungmythos vom einem der Allgemeinheit unbekannten Netzwerks von Kulten („Satanssekten“), die diese Form des Missbrauchs praktizierten und deren Verbindungen bis in das gesellschaftliche Establishment reichen würde.

Es geht wohlgemerkt nicht um Einzelfälle. Es gibt einige spektakuläre Fälle von rituell verbrämten Morden, Kannibalismus, Kindesentführungen und Sexualverbrechen, Diese bekannt gewordenen rituellen Gewalttaten wurden von Einzeltätern, Paaren oder von maximal drei Personen begangen. Und die schrecklichen Fälle organisierten Kindesmissbrauchs – „Kinderpornoringe“ und ähnliches – haben keinen rituellen Hintergrund. Bedenkt man den enormen logistischen Aufwand, den die Täter betreiben müssten, um die z. B. in Büchern wie „Lukas – Vier Jahre Hölle und zurück“ ( Bastei-Verlag, Bergisch Gladbach 1995) beschrieben ungeheuerlichen Taten zu begehen, ist es erstaunlich, dass bisher kein einziges solches organisiertes Ritualverbrechen festgestellt oder gar aufgeklärt werden konnte. Die naheliegende Erklärung ist, dass Aussteigerberichte wie die von „Lukas“ als Quelle nicht viel taugen.

Hier setzt der Verschwörungsmythos ein. „Bis in höchste Kreise“, so heisst es, reiche der Arm des organisierten Satanismus. Eben diese „höchsten Kreise“ würden die Ermittlungen verhindern oder sabotieren. Damit hätten die Satanisten etwas geschafft, was weder der Mafia noch Geheimdiensten auf Dauer gelungen ist: Nicht nur ihre Mitglieder zu schützen (das schaffen organisierte Kriminalität und Geheimdienste sogar mehr oder weniger gut), und ihre Extistenz zu verbergen, sondern auch, die Taten selbst „unsichtbar“ ablaufen zu lassen.

Wie es bei fanatischen Verschwörungsideologen üblich ist, sehen viele Anhänger der These vom „satanistischen Missbrauchs-Netzwerk“ wiederum das Nichtvorhandensein von handfesten Beweisen als Zeichen für die Macht der Geheimorganisation.

Die „Satanic Panic“ ist, nicht überrachend, in christlich-fundamentalistischen Kreise besonders verbreitet, da sie das ideale, zum eigenen Glauben passende, Feindbild liefert. Ihr Generalverdacht trifft nicht nur die real existierenden Satanisten, die mehrheitlich übrigens gar nicht an die Existenz des Teufels glauben, sondern auch Hexen, vor allem Wicca („gehörnter Gott“ -sehr verdächtig!), Heiden aller Art, aber auch Gothics, Grufties, Metal-Fans, und so weiter – im gar nicht mal so seltenen Extremfall alle, deren Lebensstil nicht spießig-frömmlerisch genug ist.

Worum es bei der „Satanic Panic“ genau geht, wie verheerend der Verschwörungsmythos von allgegenwärtigen rituellen Kindesmissbrauch wirkt und wie dieser Mythos von den USA zu uns kam, zeigt dieser Vortrag von Lydia Benecke und anderen vom „Skepkon 2018“. Besonders interessant sind die Aussagen eines Kriminalpolizisten, der einen konkreten Verdachtsfall von rituellem Missbrauch ermittelte.

Wie aktuell das Thema leider ist, zeigt ein Vorfall aus dem Mai dieses Jahres. Der Frankfurter Club Voltaire setzte kurzfristig die Veranstaltung „Satanic Panic Reloaded“ mit Lydia Benecke einseitig ab.

Lydia Benecke ist die zur Zeit prominenteste Kriminalpsychologin im deutschsprachigen Raum. Das liegt einerseits daran, dass sie die Öffentlichkeit aktiv sucht und in allgemeinverständlichen und unterhaltsamen Vorträgen und Büchern den aktuellen Forschungsstand ihres Faches vorstellt, anderseits auch daran, dass einige Ihrer eigenen Forschungergebnisse und Thesen kontrovers diskutiert werden. Auch ihr provokatives Outfit, das gar nicht den aus Krimis bekannten Klischee des äußerlichen unscheinbaren Kriminalpsychologen entspricht, trägt zur ihrer Pominenz bei.

https://www.lydiabenecke.de/

Im Club Voltaire wollte Frau Benecke über den Verschwörungsmythos des satanisch-rituellen Mißbrauchs sprechen. Lydia Beneckes Hauptanliegen ist es, Missbrauchsopfer davor zu schützen, auch noch Opfer unseriöser Therapieangebote zu werden. (Auf dem WGT wird sie am 8. Juli einen Sondervortrag zu diesem Thema halten:)

Satanic Panic reloaded – Sondervortrag zum WGT2019

Begeht eine generationenübergreifende, international agierende Satanistensekte unentdeckt von Ermittlungsbehörden grausamste Sexualstraftaten bis hin zu unzähligen Morden?

Werden Persönlichkeiten von Kindern gezielt „gespalten“ und „programmiert“, um diese zu willenlosen Marionetten des mächtigen Satanskultes zu machen?
Dieser Vortrag ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte und aktuellen Entwicklungen des Mythos von der „satanistischen Weltverschwörung“.

Polizeiliche Ermittlungsergebnisse und psychologische Erklärungsansätze werfen ein neues Licht auf die „Satanic Panic“, welche seit den 1980er Jahren ihren Weg über Kanada, die USA und Großbritannien bis nach Deutschland fand.
Samstag 08. Juni 2019 – 16.00 Uhr
Heilandskirche Leipzig
Zutritt nur mit WGT Bändchen

https://www.lydiabenecke.de/aktuelles/satanic-panic-reloaded-sondervortrag-zum-wgt2019/

Das passte der ebenfalls nicht unprominenten Psychotherapeutin Michaela Huber jedoch nicht. Ihr Fachgebiete ist die Traumatherapie, vor allem befasst sie sich mit dissoziativen Identitätsstörungen, auch als „multiple Persönlichkeiten“ bekannt. (wikipedia: Dissoziative Identitätstörung) Langanhaltende Traumatisierungen führen zu Dissoziationen – „Abspaltungen“ – die eine exakte Erinnerung an die Geschehnisse sehr erschweren. Meistens bleiben nur Erinnerungs-Fragmente erhalten. Und hier lieg das Problem mit Michaela Hubers Therapieansatz: Wird in der Therapie versucht, mit Hilfe von regressionsfördernden Methoden wie Hypnose oder Traumdeutung die Geschehnisse zu rekonstruieren, so ist die Gefahr der Konstruktion falscher Erinnerungen sehr groß. Es ist später nicht möglich zwischen echten und falschen Erinnerungen zu unterscheiden. Nun ist Michaela Huber aber auch überzeugte Anhängerin des Verschwörungsmythos und behauptet, es gäbe ein großangelegtes satanistisches Missbrauchsnetzwerk. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, dass Patientinnen in ihrer frühen Kindheit z. B. durch elterliche Gewalt traumatisiert wurden, daraufhin eine dissoziative Identitätstörung entwickelten, und dass dann, im Rahmen der Therapie, die Lücken in der Erinnerung mit satanistischen Pseudoerinnerungen aufgefüllt werden. Frau Huber reagiert auf diesen Verdacht, indem sie die umstrittene False Memory Sydrom Foundation (FMSF) angreift, und die Ansicht skeptischer Kollegen, „aufgedeckten“ Erinnerungen an rituellen Missbrauch wären therapeutischen Artefakte, auf die Kampagnen der FMSF zurückführt. Über ihren Newsletter vom 18. Mai 2019 forderte sie Leser_innen auf, gegen den Vortrag zu protestieren.

„Liebe KollegInnen, bitte unterstützt diesen Protest. Frau Benecke wird von Medien hofiert (ist sogar als Expertin bei XY-ungelöst engagiert, gilt dort als ‚führende psychologische Expertin auf dem Gebiet der Forensik‘ – und aktiv in der False Memory-Bewegung. … Es wäre sehr hilfreich, den OrganisatorInnen der u.g. Veranstaltung – wie auch anderer Veranstaltungen mit dieser Dame – gute Argumente dafür an die Hand zu geben, diese Veranstaltungen nicht so stattfinden zu lassen.“

( Zitiert nach einem Kommentar von Lydia Benecke bei Hoaxilla/Fabebook).

Leider ging der Club Voltaire darauf ein und sagte die Veranstaltung ab. Mehr hierzu auf der Website des hpd:

Frankfurter Club Voltaire verärgert Skeptiker

Zum Hintergrund dieser absurd anmutetenden Entscheidung äußerte sich Lydia Benecke am 28. Mai 2019 auf facebook.

Warum der Vortrag „Satanic Panic Reloaded“ im Club Voltaire tatsächlich abgesagt wurde

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