Runenschrift wurde bis in die Neuzeit benutzt

26. Mai 2015 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Erst vor gut 100 Jahren hörten die Bewohner einer abgelegenen Region Schwedens auf, eine Runenschrift zu benutzen. In dieser Region, dem Älvdal, wird bis heute eine eigene Sprache gesprochen: Älvdalisch.

Die meisten Menschen verbinden Runen mit „den alten Germanen“ und im Norden vor allem auch mit der Wikingerzeit.
In Älvdalen, einer abgelegenen und dünn besiedelten Region in Westschweden, verwendete die lokale Bevölkerung jahrhunderteland, nachdem diese Schrift im übrigen Skandinavien aufgegeben worden war, Runen.
Hier, tief verborgen in den ausgedehnten Wäldern des an Dalarna angrenzenden Gebietes, hielt sich auch eine besondere Sprache, die eine wahre Fundgrube für Skandinavisten ist. Älvdalisch, dass heute nur noch von etwa 2500 Muttersprachlern gesprochen wird, ist eine altnordische Sprache mit beachtlichen Unterschieden zum Standardschwedischen und auch zum Dalmål, der „Sondersprache“ Dalarnas. Der Abstand zwischen Älvdalisch und Standardschwedisch ist größer als der Abstand zwischen Norwegisch, Dänisch und Schwedisch.

Dalruner aus dem Älvdal
Die Älvdaler Runen sind sog. Dalrunerne, wie sie auch im übrigen Dalarna verwendet wurden. Sie gehen auf das neuere Futhark der Wikingerzeit zurück, von dem sie sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr unterschieden. Einige Zeichen wurden durch das lateinische Alphabet beeinflusst. (Illustration: Tasnu Arakun/Wikimedia Commons)

Die Runenschrift war bis ins hohe Mittelalter die die in Dänemark und Skandinavien vorherrschende Schrift. Obwohl sie vor allem durch die Runensteinn bekannt ist, waren sie im Norden auch eine Gebrauchsschrift, die nicht nur von wenigen „Runenmeistern“ (die sehr oft „Runenmeisterinnen“ waren), gelesen werden konnte. Auch nachdem im Zuge der Christianisierung im 9. und 10. Jahhrhundert das lateinische Alphabet eingeführt worden war, blieben die Runen weiterhin im Gebrauch – was vielleicht darauf zurückzuführen war, dass sich Runen besonders gut zum Einritzen in Holz, Metall oder Baumrinde eignen. Für das flüssige Schreiben auf Pergament und Papier eignete sich das lateinische Alphabet besser, weshalb es im 15. Jahrhundert fast überall die Runen abgelöst hatte.
Im kulturell konservativen Dalarna, auf der Ostseeinsel Gotland und in Island überlebte die Runen-Tradition bis ins 17. Jahrhundert. In Älvdalen waren Runen jedoch bis Anfang des 20. Jahrhunderts im Gebrauch, und zwar nicht nur für schmückende Inschriften, sondern als normale Alltagsschrift. Der schwedische Sprachwissenschaftler Henrik Rosenkvist entdeckte vor Kurzem einen Brief aus dem Jahr 1906, der teilweise in Runen geschrieben war.
Die meisten bekannten Runen in Älvdalen sind in die Balken der hölzernen Häuser und in Möbeln eingeritzt. Als Alltagsschrift wurden sie für „Nachrichtenstäbe“ verwendet, wie sie archäologisch schon aus der Völkerwanderungszeit nachweisbar sind. Botschaften an Bauernhöfe in der Umgebung oder zwischen Hirten wurden in Holzstücke geritzt. In der abgelegenen Gegend waren Papier, Tinte oder Bleistifte bis ins 19. Jahrhundert hinein schwer zu bekommen. Eine Reise nach Älvdalen hatte bis zum Straßenbau im 20. Jahrhundert praktisch Expeditionscharakter. Die wichtigste Verbindungen zu den mehr als 100 Kilometer entfernten Bevölkerungszentren Dalarnas um den Siljansee waren Boote auf dem Fluß Dalälven. Zum Erhalt der Runenschrift trug sicherlich auch der Umstand bei, dass es bis Mitte der 19. Jahrhunderts keine Schulpflicht gab. Die Kinder lernten zuhause lesen und schreiben, und zwar die altüberlieferte Runenschrift. Man darf dabei nicht vergessen, dass die einfache Landbevölkerung in „zivilisierteren“ Gegenden Nordeuropas bis weit in Neuzeit hinein praktisch analphabetisch war.

Isolated people in Sweden only stopped using runes 100 years ago (Sciencenordic)

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