Neonazis bewachen Keltenfürsten von Glauberg

6. Mai 2011 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Zwei Wachmänner des vom Land Hessen beauftragten privaten Sicherheitsdienstes für die feierlichen Eröffnung des neuen Keltenmuseums gehören der Neonazi-Szene an.
Keltenwelt am Glauberg: Keltenfürst von Neonazis bewacht
Am Donnerstag, dem 5. Mai 2011, war die feierliche Eröffnung, an der auch Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) teilnahm. Noch während der Feierlichkeiten wurden zwei mutmaßliche Neonazis unter dem Sicherheitspersonal entdeckt. Die Museumsleitung reagierte unmittelbar und forderte den Sicherheitsdienst auf, diese beiden Mitarbeiter sofort abzuziehen. Einer der beiden Wachmänner war im Landesvorstand der rechtsextremen NPD tätig, der andere ist in der rechten Szene aktiv.

Eine Marginalie? Eine Panne, die nicht vorkommen sollte, aber nicht weiter schlimm ist? Leider nicht!

Wie alles Germanische war auch alles Keltische für die Nazis, vor allem für die SS, von großer Bedeutung und wurden entsprechend instrumentalisiert. Keltische Symbole (z. B. Keltenkreus, Triskele) gehören zu den bevorzugten „Ersatzsymbolen“ der Neonazis für das Hakenkreuz. Daher ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass zwei ausgewiesene Neonazis versuchten, sich als „Wächter“ der Statue des Keltenherrschers zu postieren, und zwar während einer feierlichen Eröffnung, bei der der Ministerpräsident, der Landtagspräsident und mehrere Landesminister anwesend sind.
Von besonderer Brisanz ist, dass die archäologische Ausgrabungen am Glauberg nicht nur, wie auch der hr berichtet, in der Nazi-Zeit zwischen 1933 und 1939 begannen, sondern dass sie von der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe, einer Einrichtung der SS, betrieben wurde.

Auch wenn die rasche Reaktion der Museumsleitung zu begrüßen ist: das es reicht leider nicht.
Ich halte es, wie die hessische LINKEN, für notwendig, „sich in den Räumen des Museums kritisch mit der Instrumentalisierung der keltischen Geschichte durch neonazistische Gruppen zu beschäftigen.“ Mit einer Schautafel könne das den Geschichtsmissbrauch durch die Nazis verurteilen.

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4 Kommentare
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  1. Den konkreten Vorgang könnten man, rein juristisch gesehen, schnell abhaken: weder ist die NPD verboten, noch ist es ungewöhnlich, dass Neonazis bei Wachtdiensten arbeiten. Und solange die NPD nicht verboten ist und die Frage der “charakterlichen Eignung” (an der bei Anhängern einer offen menschenfeindlichen Ideologie zu zweifeln ist), bei Wachtdiensten kaum eine Rolle spielt, wird sich daran leider nichts ändern.
    Wirklich problematisch wird der Vorfall durch die symbolische Aufladung. Neonazis haben oft eine starke Affinität zu Kelten (nur von ihrem Hang zum “germanischen” übertroffen),und die Ausgrabungen am Glauberg wurden vom “Ahnenerbe”, einer zur SS gehörenden Organisation, begonnen.
    Die Frage muss also sein: Wie kann ich verhindern, dass Museen, Fundstätten und Feiern von “völkischen” Menschenverachtern instrumentalisiert werden?
    Oder pragmatisch, für einen Museumsbetreiber: Wie gestaltet man eine öffentliche Präsentation so, dass sich Nazis dort nicht wohl fühlen?

    Für unbedingt notwendig halte ich es, wie die hessischen LINKEN, “sich in den Räumen des Museums kritisch mit der Instrumentalisierung der keltischen Geschichte durch neonazistische Gruppen zu beschäftigen.”
    Das darf nicht in eine stillen Nische geschehen, das muss unübersehbar, durchaus auf “aufdringlich” sein! Der Vorschlag der LINKEN: auf einer Schautafel an prominenter Stelle den Geschichtsmissbrauch durch die Nazis verurteilen.

    Als Einfallstor für die Instrumentalisierung durch völkische erweist sich wieder einmal die “Eventkultur”. Nun möchte ich ausdrücklich nicht zum “Glasvitrinenmuseum” alten Stils zurück. Auch ein Verzicht auf populäre Begriffe wie “Keltenfürst” zugunsten einer streng wissenschaftlichen Terminologie wäre nicht nur aus museumspädagogischer Sicht problematisch: werden Begriffe wie “keltisch” oder “germanisch” ängstlich gemieden, vielleicht sogar die Beschäftigung mit “Kelten” oder “Germanen” tabuisiert, dann ist das quasi eine Aufforderung an die völkischen Ideologen, die Leerstellen mit ihren Geschichtsklitterungen auszufüllen. (Ähnliches ist im Bereich “Runenkunde” ja tatsächlich passiert. Eine Marginalie,die ungewollt die Problematik zeig: “Keltische Runen”, von denen im dpa-Text die Rede ist, gibt es nicht – außer in völkisch-esoterischen Schriften. Hoffentlich waren die “keltischen Runen” nur ein Flüchtigkeitsfehler.)
    Anderseits: Müssen feierliche Eröffnungen unter Anwesenheit “wichtiger” Politiker unbedingt sein? (Auch das ist übrigens ein Instrumentalisierung des Museums für politische Zwecke.)

    Immerhin ist der Landesarchäologie sich bewusst, dass der Glauberg auch Anlaufstelle für Rechtsextreme werden könnte. Vor zwei Jahren hatte Landesarchäologe Egon Schallmayer ein Treffen von Keltengruppen auch deshalb untersagt, weil rechtsextreme Gruppierungen darunter sein könnten. Das mag für nicht-völkische Keltengruppen bedauerlich sein, es geht aber offensichtlich aus pragmatischen Gründen nicht anders.
    Es wäre sehr zu begrüßen, wenn mehr nicht-völkische Kelten-, Germanen-, Wikinger-, Römer- usw. – Gruppen sich deutlich sichtbar gegen rechte Geschichtsklitterungen und (auch latenten) Rassismus und für Demokratie und Menschenrechte einsetzen würden.

  2. Der Fall wird immer brisanter – und unappetitlicher: Die Museumschefin soll schon Tage vor der Eröffnung von der rechtsextremen Einstellung einer der Männer gewusst haben. Neonazis im Keltenmuseum: Holocaust-Leugnung im Museum (FR-online).

    Eine Randbemerkung:

    Gernot Grumbach befürchtet, dass Hessen mit einem neuen Problem aus der rechtsradikalen Ecke konfrontiert werden könnte. Es scheine auch bei weiteren Auftritten von Neonazis in der Gegend den Versuch zu geben, „den keltischen Teil der Geschichte umzudeuten in ein neues rassistisches Weltbild“, sagte Grumbach.

    Das Problem ist ein Altes, das solange vergessen / verdrängt wurde, wie es keine spektakulären Auftritte von Nazis an keltischen oder germanischen Stätten gekommen war. Das rassistische Weltbild, in dem der keltische Teil der Geschichte „völkisch“ umgedeutet wurde, ist erst recht nicht neu, es entstand im 19. Jahrhundert, als parallel zur „Germanenmanie“ der „deutschvölkischen“ und deutschnationale auch eine (weniger lautstarke) Keltomanie blühte. Bei den alten Nazis wurde, jedenfalls auf populär-propagandistische Ebene, nicht groß zwischen Kelten und Germanen differenziert: Hauptsache „arisch“! (Und dabei bitte möglichst nicht slawisch!) Kein Wunder, dass die stets in der Vergangenheit ihre Zukunft sehen wollenden Neonazis an diese Tradition anknüpfen.
    Übrigens: auch die Römer genossen bei den alten Nazis (anders als bei vielen anderen „völkischen“) einiges Prestige – man denke nur an den „deutschen“ Gruß oder die pseudorömische Gestaltung der meisten großen Repräsentationsbauten der Nazizeit. Hinzu kommt die Geschichtsklitterung einiger Rechtextremer, die die Slaven einfach zu „Germanen“ umdefinieren (auch dafür gab es zur Nazizeit Vorbilder). Das heißt: praktisch in allen Museen und Denkmälern, die sich dem Altertum oder dem frühen Mittelalter widmen, muss mit solche Vorkommnissen gerechnet werden.

  3. Der wahre Skandal trat erst im Laufe einer Recherche im Zug der Referenz auf einen Mittelhessenblog-Kommentar auf, den ein Leser eines Artikels bei Zeit-Online zum aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichtes in Erfurt zur Kündigung eines NDP-Aktivisten in seinem eigenen Kommentar als Bezug nannte, Daraufhin meldete sich der freie Mitarbeiter des Museumeinrichters beim Mittelhessenblog, was in Verbindung mit anderen belegbaren Aussagen überhaupt erst eine vernünftige Recherche im journalistischen Stil möglich machte. Eine Gesamtschau mit Links zu allen erschienenen Mittelhessenblog-Artikeln kann über das Mittelhessenblog über das Dossier Glauberg-NPD-Wachmannaffäre abgerufen werden. Aktuell dient das Mittelhessenblog deswegen als Referenz bei Bildblog. Dort heißt der entsprechende Artikel „wenn Rechte nach dem Rechten sehen.“ Im Kern handelt es sich nach Lage der Dinge um einen von Bild inszenierten Skandal, der zu den bekannten Konsequenzen geführt hat.

    Mit bestem Gruß,

    Christoph v. Gallera,

    Herausgeber Mittelhessenblog

  4. Vielen Dank für die gründliche Recherche an die Mittelhessenblogger!

    Es handelt sich also offensichtlich um einen künstlich hochgekochten Skandal, mit eindeutiger politische Stoßrichtung. Mit einer „Bild“-Inzenierung der „SA-ähnlichen“ Wachmänner hatte ich gerechnet, mit einer Kampagne, die über die übliche Sensationsmache hinaus geht, allerdings nicht. (Und auch nicht, dass sämtliche Medien der „Bild“ so leicht auf den Leim kriechen konnten.) Es ist bezeichnend, dass nicht etwa der „Spiegel“ oder die „Frankfurter Rundschau“, sondern das „Mittelhessenblog“ die nötigen Recherchen betrieb.

    Davon abgesehen: Das Problem, dass Kelten, Germanen und andere „alte Ahnenvölker“ für „völkische“ Menschenverächter ideologisch attraktiv sind, und daher Museen, Fundstätten und Feiern von diesen Rechtsextremisten instrumentalisiert werden können, ist damit nicht aus der Welt.
    Daher muss eine öffentliche Präsentation so gestaltet werden, dass sich Rechtsextremisten dort nicht wohl fühlen. Den Vorschlag der „Linken“ mit den Schautafeln, nicht irgendwo im Nebenraum, sondern in der Nähe der attraktivsten und symbolträchtigsten Funde, halte ich, auch im Licht der „Bild“-Inszenierung, für richtig und wichtig. Außerdem frage ich mich, wieso feierliche Eröffnungen unter Anwesenheit “wichtiger” Politiker unbedingt sein müssen. Ohne dieses „Event“ wäre die Inszenierung nicht möglich gewesen.

    Auch nicht aus der Welt sind Neonazis in privaten Wach- und Sicherheitsdiensten. Ein grundsätzliches und strukturelles Problem, dass nicht mit ein paar Verordnungen und Fragebögen aus der Welt geschafft werden kann. Dass heißt aber: extreme Wachsamkeit gegenüber Sicherheitsdiensten und ihren Mitarbeitern, weil nachweislich weit überdurchschnittlich viele Menschen mit demokratie- und menschenrechtswidriger Weltanschauung dort arbeiten!

    Und nicht zuletzt, auch an meine Adresse: noch schärfere Skepsis gegenüber allen Medien – und Meldungen, in denen irgendwo die „Bild“ auftaucht, müssen bis zum Beweis des Gegenteils, stets als „falsch“, „inszeniert“ oder „gelogen“ gelten!

    Nachtrag: Einen sehr praktikablen und ohne „antifaschistischen Zeigefinger“ auskommende Methode, „völkischen“ Ideologen und Idioten Ausstellungen zu vergällen, stellte der User „hugo“ im Archaeoforum vor:

    Im Linzer Schloßmuseum wurde die ethnische Durchdringung im FMA vorbildlich pragmatisch gelöst. An der Vitrinenrückwand stehen bairische und slawische Namen, die für diese Zeit in Oberösterreich belegt sind. In der Frühmerowingerzeit habe ich bei den von mir bearbeiteten Gräbern den Eindruck, dass eine ostgermanische Population aus hunnischem Einflussbereich im Herulerreich sesshaft wurde. Damit fällt der Mythos vom „reinen Germanen“ oder Kelten, der unweigerlich Rechtsextreme anziehen würde.

    (FMA: Frühmittelalter)

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