Müssen wir dran glauben? Teil II

7. Oktober 2008 | Von | Kategorie: Kultur & Weltbild

Beispiel

In der langjährig gewachsenen, aber kleinen germanischen Gruppierung, der ich angehöre – der Nornirs Ætt – verabschiedeten wir uns vor einiger Zeit von der früheren Gewohnheit, unsere „Gydhias“ und „Goði“ (Goden:-) ) genannten FunktionsträgerInnen irgendwem mit Wortgetümen wie „Priester“ zu übersetzen: Es stimmte einfach zuwenig. Nach Zeiten händeringenden Erklärungs-Lavierens stellten wir endlich fest: Es stimmt überhaupt nicht. Wir „Ættlinge“ haben keine „Priester“ – wir haben einstimmig gewählt sein müssende Vertrauensleute, die kein Jota mehr Recht oder Befugnisse haben als andere Nasenträger, sondern nur zusätzliche Pflichten der Gruppe gegenüber… jeder und jedem Einzelnen von uns. Wir, die Gruppe, gewähren unseren entsprechend Ambitionierten ggf. die gnadenvolle Anerkennung, für die andern einige Dreckarbeit machen zu müssen und nonstop Wache stehen zu dürfen für das Wohl unserer kleinen „Allgemeinheit“. Und wehe, diese so Beauftragten zicken. DAS sind unsere Goden, Weiber wie Kerls… Und benötigten wir die Kleiderordnung des Bürgerstaates in unserem darin befindlichen Privathaufen, dann trügen unsere Goden eher die leuchtorangenen Westen städtischer Reinigungsbeauftragter als den hehren Schwarzkittel irgendwelcher Kirchenpfaffen. Spirituelle Deutungsbefugnis haben unsere Goden schon gar nicht! Das Bewußtsein solcher Umstände wirkt sich auch aus auf den jeweiligen Gesichtsausdruck und das Gebaren – der Protagonisten, wie ihres Umfeldes, das sie ernennt und zuläßt – und ggf. zurückpfeift. Auch ganz ohne Kleiderordnung.

Zurück zum „Glauben“ – und weg von ihm. Der Christ oder Muslim glaubt an seinen „einen“ Herrgott oder Allah – ich Heide glaube (als ein Mann ohne Führerschein:-) ), mehr oder minder hoffend, höchstens an die deutsche Bahn. Daran, dass der Zug so halbwegs pünktlich kommen wird – an sein „gleich komme“ – und dass seine Verbindungen klappen mögen für meine Umsteigeaktionen unterwegs. Aber an meine Götter – an die meereserleuchtende Mardøll (ihr bekannterer Name ist Freyja) oder den Draugadróttinn, meinen „Herrn der Geister“ (vielgestaltig unterwegs, the weird one usually known as Odin) glaube ich nicht. Genauso wenig wie an die „Gesetze“ der Schwerkraft, die Flüssigkeit des Wassers oder die Unsichtbarkeit des für jede Allerweltsnase und -wange aber fühlbaren Windes. Ich brauche keine theoretischen Physikkenntnisse für den Umgang mit der Erfahrung, wie sich ein henkelloses Haferl heißen Kaffees verhält, das meinen erschrockenen Fingern entgleitet (autsch, heiß – kracks).
Was nicht heißen soll, dass ich theoretische Physikkenntnisse etwa geringschätze (das wäre – wiederum sittenchristlich geprägtes – dualistisches Ausschlußdenken: „Hey, hübscher Pullover, den du da anhast!“ – kreischjammer – „Was hast du gegen meine Hose!?“ 😉 ) Das eine folgt eben nicht zwangsläufig aus dem anderen, besonders, wenn es sich um scheinbar (!) „Gegenteiliges“ handelt…

Was ich aber gerade sagte zu Wind, Wasser, Schwerkraft u.ä. – als Phänomene sind sie sinnlich erfahrbar (nicht nur, aber auch). Wer aber „betet“ die Gravitation an? Wer „glaubt“ an sie? Selbst die christlichen Fundis des sog. „Bible Belt“ in den USA, die die Lehre der Evolution meinen bekämpfen zu müssen um ihres spirituellen Glaubens willen, leugnen nicht die Gravitation. Die ist so selbstverständlich „da“, dass sich – in alltäglichem Umgang – jede Diskussion darüber erübrigt. Sinnieren über Physik als solche gerät da unversehens in den Ruch des elitär Philosophischen – Umgangs halber gesehen…

Ich glaub ich glaub das

Einem Glauben fehlt die Unmittelbarkeit: die direkte sinnliche Erfahrung. Die allgemeine Offenbarkeit. Des Physischen. Körperlichen. Und darüber hinaus: des für jeden unleugbar Wirkmächtigen, das jede Überzeugungsarbeit lächerlich und überflüssig macht. Das Fehlen solcher für jeden sofort und direkt fühlbarer Komponenten aber ist das Wesen des Glaubens – der auf Jenseitiges hinauswill. Daß „der Glaube“ erst nötig hat, die Eigenschaften seiner Transzendenz von aller Selbstverständlichkeit des Diesseitigen zu trennen, um sich überhaupt bemerkbar zu machen – das wiederum ist ein typisches Phänomen christlich geprägter Ausschluss-Dualistik. (Darum sind Mythen von Glaubenskulten auf „Offenbarungen“ angewiesen, um die sie sich ranken – Erlebnisse einzelner „Auserwählter“, denen entsprechende sinnliche Erfahrungs-Sensationen des Spirituellen zuteil werden – was dann von den Erfahreneren an die Unerfahreneren weitergetragen werden muss, mit den entsprechenden Hierarchiefolgen: „Ich kannte noch einen Urenkel eines Sohnes, der jemand kannte, der mit einer Freundin der Nichte des Propheten sprach…“)

Haben solche Offenbarungs- und „Ich-bin-näher-an-DER-Wahrheit-als-du“-Verrenkungen etwas mit Heidentum zu tun? Zumindest nicht mit meinem, mit Verlaub!
Einem Glauben fehlt das Faktische derjenigen Gewissheit, die als derart selbstverständlich erlebt wird, dass abstrahierfähiges Denkvermögen erforderlich ist, derlei Gewisslichkeiten überhaupt ins Bewusstsein zu hieven (Beispiel: Gravitation).

„Germanischer Glaube“?

Wie sittenchristlich müssen wir geblieben sein, inwendig, wenn wir Heutigen ausgerechnet Sonne und Mond (die Tacitus als zuvörderste germanische Verehrungsobjekte erwähnt) einzubauen nötig haben in so etwas wie ein Glaubensgebilde? Kann man an die Sonne „glauben“? Naja: Der olle Tacitus war selber sowenig in germanischen Stammesgebieten gewesen wie Karl May jemals in Amerika – mit annähernd vergleichbaren (wenngleich anders motivierten) Ergebnissen der jeweiligen Mär über damals wie dort „edle Wilde“… Und außer mir selber kenne ich, zugegeben, bislang auch keinen Ásatrú, der (auf die Frage nach seinen Gottheiten) erst mal angibt, „Sonne und Mond“ zu verehren…

Wieso aber will ich denn nun alle möglichen andern ehrbaren Ásatruar von ihrem rechten Glauben abbringen? Will ich das? Ich will nur zum Denken anregen. Bestehen nicht überhaupt zwischen Thor und Odin der Wikingerära versus irgendwelchen „Sonne und Mond“-Mutmaßereien eines römischen Sitten-Moralisten – fast tausend Jahre davor – irgendwelche Unterschiede? In der Tat bestehen die, und das nicht zu knapp. Aber, sorry, Wikingerfreunde: Mit jungen rheumageplagten Seefahrern aus Skandinavien und Dänedings und ihren Hi-Tech-Wendebooten, die sie zwei Jahrhunderte lang quer durch (mehr als) die bekannte Welt schippern ließen – und dank erschrockener, aber schreibkundiger Mönche ebenso unsterblich berühmt wie berüchtigt machten –, befasse ich mich hier auch nicht.

Ein Zug, der von Hamburg nach München fährt, düst oder zuckelt vielleicht noch runter bis nach Rom. Aber er kommt nicht nach Kopenhagen. Und auch nicht nach Berlin, obwohl das Hamburg eigentlich viel näher liegt als München. Die tatsächlich erreichbaren Reisestationen ergeben sich aus den Hauptrichtungs-Tendenzen. Und den Gleisverbindungen und Fahrplänen. Folglich steigt keiner in Hamburg in den Zug nach München, um Berlin zu erreichen. Und protestierte der Fahrgast dann in Höhe Nürnberg: Berlin habe doch „nähergelegen“ – na, wer tut schon so was. Zugreisende lesen tunlichst Bahnfahrpläne. Aber Reisende auf den Gleisen des Glaubens tun es nicht. Weil sie die Gleise ignorieren wie die Fahrpläne. Weil sie ihr Ziel ggf. verwechseln mit dem, wohin der Glaube sie tatsächlich bringt. Oder wo er sie herumrangieren lässt. Und heutige Metropolen sind ja innerstädtisch zunehmend „verwechselbar“. Unsere Ziele auch? Anything goes? Alles beliebig? Alles dasselbe? „Alles eins“?
Nuja. Auch wenn sich eine Hamburger Hennes-&-Mauritz-Filiale wahrlich nicht von der in München oder Berlin unterscheiden lässt: Meine eventüllen Übernachtungsgelegenheiten in allen drei Ortschafterln unterscheiden sich – selbst wenn ich überall genügend Leute kenne. Und die Münchnerin wird nicht erbaut sein, wenn ich sie für die Berlinerin halte bei Ankunft, und umgekehrt (erst recht – weia!)
Vergleich Ende.

Selbstgestrickte Denkmuster?

Ich mag also meine spirituelle Entwicklung nicht Denkmustern und „Fahrplänen“ überantworten, die aus jenseitsgerichteter Offenbarungsreligion stammen. Nicht, weil ich was gegen die hätte, sondern weil ich so an´s für mich falsche Ziel geriete. Schon der Begriff Spiritualität enthält in meinem Diesseitskult ganz andere Komponenten als für eine Offenbarungsreligion erforderlich sind. Wüsste wirklich nicht, wie ich „an die Natur“ und ihre vielgestaltigen Geschöpfe glauben sollte. Die Kräfte, die ich meine Götter nenne, sind mir so nah und überall und jederzeit sinnlich erfahrbar wie Feuer und Eis (die ja auch unterschiedliche „Erscheinungsformen“ haben und in unterschiedlichen „Zuständen“ jeweils unter bestimmten Bedingungen auftauchen bzw. vorkommen – aber all diese Bedingungen haben mit direkter Situation und wirklicher Umgebung zu tun – nicht mit gedachten oder denkbaren Gebilden). Obwohl man natürlich auch darüber nachdenken kann und Gedankengebäude bilden. Aber man sollte die Landkarte nicht mit der Landschaft verwechseln – und schon gar nicht Landkarten nachlaufen, die völlig andere Landschaften abbilden, als die, in denen man sich befindet – oder wo man hinwill.

Müssen wir dran glauben?

Nein. Müssen wir nicht. Zumindest nicht: glauben. An was auch immer. Ganz bestimmt nicht: an Ásatrú. Odin und Thor. Oder Freyja und Hlin, Lofn und Fulla, Syn oder Gefjon, Hel oder Idun, Gna, Sif, Gjerda, Skadi oder Sunna oder… (um mal ein paar geile Weiber aufzulisten: für die von euch oder uns, die Ásatrú so rum oder so rum für ach so „maskulin“ halten… hey, leckt euch an der Unterpore, und erlangt Erleuchtung und Erkenntnis…) Wir müssen sowieso – überhaupt nichts. Außer sterben. Aber das ist relativ. Relativ relativ.
Ásatrú leben: das ist was anderes. Nach innerer Überzeugung, körperlich erfahrener, leben. Ist was anderes. Als glauben. Ásatrú ist bestenfalls heutige Rezeption germanischer Kultur: germanischen Denkens, Fühlens, Handelns. Alt wie neu. Das glaube ich nicht. Das weiß ich nicht einmal. Es ist das, was ich mache. Nichts anderes kann ich tun.

Könnte exakter sagen: Ich praktiziere es. Aber das klingt mir nicht poetisch genug. Poesie aber ist die Magie der Träumer. Ohne sie: keine Wirklichkeit. Und, Ihr hehren Ásatruar, Ihr Kinder von Tyr und Thor: Sagen nicht die Wicca, das Universum sei „ersungen“? Wie – das gilt für Euch nicht, weil Ihr doch keine Wicca seid? Hat das wer behauptet? Dass Ihr zu Wicca würdet, sobald Ihr ein Bild dieser Herkunft auf Euch einwirken lasst? Ich bin auch kein Wicca, ich bin Ásatrú. Und was für einer! Ein Enkel des Donnergottes – oder Ullr Schneesurfers Bogenschütze. Ganz wie Ihr wollt. Ihr braucht´s ja nicht zu glauben. Aber, um der Poesie oder des Respekts vor Träumen Willen: Geht in die Knie. Vor der Schöpfung. Vor dem Wunder eigenen Da-Seins – und achtet die Bilder der anderen. Manche halten Erkenntnisse bereit, und selbst Heimdall lässt sie durch. Seid ungläubig – bleibt ehrlich: Euch treu – aber lasst Euch beeindrucken. Und erweist Respekt und Ehre. Auch wenn´s nur Kolleginnen sind: die ein bisschen anders ticken. Als du. Und lernt. Was Ihr könnt. Die „Germanen“ – die von damals, vor vielen Jahrhunderten. Die hätten es getan. Auch: sich ggf. ersungene Universen „reingezogen“, meine ich. Es gibt nichts „Reines“! Außer vielleicht in den antiseptischen Räumen der Computerchiphersteller. Die sind „clean“ – und ihre Produkte entsprechend störanfällig. Natur aber ist schmutzig. Ein Gemisch, immer. Die weiß schon warum, die olle Natur.

Fühlst du dich „überfremdet“?

Ich fühle mich BE-fremdet. Von Heiden, die gern behaupten, dass „alles eins“ sei. Aber dann auf platt erlesenen Buchstaben ihrer Tradition beharren wie der Beamte hinterm Schalter auf seinen Formularen. Und nicht mehr zu erkennen mögen, was für eine Macht einem Traum innewohnt. Einem heidnischen Traum. Von vielen. Denjedem so viele Träume abtropfen könnten wie Draupnir neue Ringe. Wenn wir sie nur ließen. Sprießen ließen. Bei Odin! Von denen manche sich besser vertragen könnten, und sei´s gegen jene schmeichlerisch dahersäuselnden Hassbeutel von Rassequasslern, die uns allesamt abschaffen würden, wenn wir sie nur gewähren ließen. Hey: „There will be no Shire!“ Ich blase hier niemandem Zucker in den Arsch. Ich singe mir ein Universum. Ein tropfendes, nasses, draupnirisches neunfaltiges Multiversum. Das auf die Beine zu kommen versucht wie ein neugeborenes Reh – zitternd, feucht, verletzlich. Ich, Kitz von Tyr und Syr. Heilsa. Oder besser: heile dich selber. Eir – auch eine Asin – helfe dir dabei!

„You can say that I´m a dreamer – but I´m not the only one.“ (John Lennon)

„Es gibt nichts Gutes – außer man tut es.“ (Erich Kästner)

Euch allen die Sonne zum Gruß – möge sie (in uns allen, für uns alle – und: ihrseidank scheint sie weißdiegöttin für alle!) ans Licht bringen, was ohne sie verborgen verkümmern müsste.

Eibensang

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  2. […] dem Aufsatz “Müssen wir dran glauben?”, Teil II ↩ Post a comment | Trackback […]

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