Multiethnische Wikingerstadt Sigtuna

30. August 2018 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Es ist eine wohlbekannte Tatsache: Endeckungsreisen zur See führten die „Wikinger“ bis nach Nordamerika, ihr Handel erstreckte sich bis Persien, Indien und wahrscheinlich China. Das Einflussgebiet zunächst der Seeräuber, wenig später dann der Händler und später der Siedler und Eroberer wuchs stetig. In der „Wikingerzeit“ wuchsen die Handelsstätten des nördlichen Europas zu regelrechten Städten heran. Der entscheidende Faktor dabei war die Mobilität der „Wikinger“ – ein Wort, das von der „Viking“, was eine „lange Reise zur See“ bedeutet, abgeleitet ist. Unter dem Einfluss der „Wikinger“ entstand im frühen Mittelalter ein ausgedehntes Netz urbaner Zentren, zu denen Ribe, Haithabu, Birka und auch die Stadt Sigtuna in Osten Schwedens gehörten.

Eine nahliegende Schlussfolgerung, die von Sagatexten untermauert wird, ist, dass die „Wikinger“ ein ziemlich bunt zusammengewürfelter Haufen gewesen sein müssen. Dem steht das nicht nur in völkischen Kreisen weit verbreitete Klischee von der „ethnischen Reinheit“ der „Wikinger“ entgegen.

Analysen von Toten aus der Wikingerstadt Sigtuna in Schweden enthüllten nun, dass rund die Hälfte der damaligen Einwohner nicht lokaler Herkunft gewesen sein könnte. Viele Männer und Frauen stammten demnach aus anderen Regionen Nord- und Mitteleuropas.

Eine Besonderheit, die den Archäologen die Arbeit erleichterte, sind mehrere Friedhöfe, in denen komplette, unverbrannte Leichname in Särgen bestattet wurden.
Dazu ein kurzer Exkurs, weil in einigen Pressemitteilungen behauptet wird, erst im Zuge der Christianisiertung wäre die heidnische Feuerbestattung durch die Ganzkörperbestattung abgelöst worden, weshalb es ein Glücksfall für die Archäologen sei, dass die Bewohner Sigturnas zu den ersten Christen der Region gehört hätten. Es gab in der „Wikingerzeit“, also zwischen ca. 750 und ca. 1050 im Gebiet, in dem vorwiegend nordgermanische Sprachen gesprochen wurden, vier gängige Bestattungsformen:

  1. Sarggräber, in denen der Leichnam in einem Holzsarg bestattet wurde. Diese Grabform gab es schon lange vor der Christanisierung. Mit dem Aufkommen des Christentums gingen die Grabbeigaben deutlich zurück.
  2. Körpergräber (Schacht-, Kammer- und Bootsgräber), in denen ebenfalls der „ganze Leichnam“ bestattet wurde, mit und ohne Sarg in Schächten oder Grabkammern. Die eindrucksvollste Form dieser Bestattungsart sind aber die Boots- und Schiffsgräber.
  3. Brandgräber – mit und ohne Urnen – wurden oft mit Steinen bedeckt, die Formen wie Kreise, Dreiecke oder Schiffe aufwiesen.
  4. Brandgrubengräber waren Scheiterhaufen, die anschließend mit Erde bedeckt wurden und somit gleich als Grabstätte genutzt wurden.

Seebestatttungen, die literarisch bezeugt sind, hinterließen naturgemäß keine archäologisch untersuchbaren Grabstätten. Eine Kombination aus Seebestattung, Schiffsbestattung und Scheiterhaufenbestattung ist die berühmte, literarisch überlieferte, „Wikingerbestattung“ eines Fürsten auf einem in Brand gesteckten treibendem Schiff.

Leidiglich die Brandgrubengräber verschwanden einigermaßen „pünktlich“ mit der Einführung des Christentums. Erst im Hochmittelalter, also nach der „Wikingerzeit“, gab es in Nordeuropa praktisch nur noch Sarggräber.
Es stimmt allerdings, dass Sigtuna eine frühen Zentrum der Christen im späteren Schweden war, nebst christlichen Friedhöfen, auf denen es selbstverständlich nur Sarggräber gab.

Die Sarggräber in Sigtuna machten eine interdisziplinäre Untersuchung möglich, die von Maja Krzewinska von der Universität Stockholm geleitet wurde. Sie umfasste Genetik, Isotopenanalyse, Untersuchungen mit klassischen archäologischen Methoden und anatomische Knochenanalysen. Insgesamt 38 wikingerzeitliche Skelette aus Sigtuna wurden diesen Analysen unterzogen. Dabei zeigte die Strontiumanalyse, wo eine Person gelebt hatte, während die DNA-Analyse verriet, mit wem oder mit welcher Population der bestattete Mensch verwandt ist.

Die Auswertung der Analysen zeigte, dass die Bevölkerung der „Königsstadt“ Sigtuna keineswegs vorwiegend lokalen Ursprungs war. Es waren auch nicht alle „reine“ Nordeuropäer. Stattdessen zeigten die Toten eine überraschend vielfältige Mischung von Herkünften und Abstammungen. Etwa die Hälfte von ihnen stammten nicht aus dem heutigen Mittel- und Südschweden, sondern aus anderen Gebieten Skandinaviens, aus England, Litauen, Norddeutschland oder der Ukraine.

„Die genetische Vielfalt der Menschen in Sigtuna zur Wikingerzeit war damit größer als bei den Bronzezeitkulturen oder den modernen Ostasiaten – und sogar gleich groß wie bei den römischen Soldaten in England“, berichten Krzewinska und ihre Kollegen. „Das ist bemerkenswert, denn sie galten als eine für die damalige Zeit extrem heterogene Gruppe.“ Wie die Analysen enthüllten, waren unter den Stadtbewohnern fremder Herkunft sowohl Männer als auch Frauen. Interessant auch: Sogar zwei Migranten der zweiten Generation konnten die Wissenschaftler identifizieren. Diese waren zwar genetisch fremder Herkunft, ihre Isotopenzusammensetzung verriet aber, dass diese Menschen bereits von Geburt an in Sigtuna gelebt haben müssen.

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte die Bevölkerung von Sigtuna durchaus repräsentativ für die „vernetzte Welt der Wikinger“ gewesen sein. Es gab offensichtlich keine spezifisch skandinavische „Wikinger“-Population, die sich vom übrigen Europa abgrenzen ließe.
Wenn es anders wäre, wäre das angesichts der Mobilität der „Wikinger“ ein wahres Wunder gewesen.

Fachartikel: Genomic and Strontium Isotope Variation Reveal Immigration Patterns in a Viking Age Town (Current Biology)

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