Marvel und Mythologie

12. November 2013 | Von | Kategorie: Germanisches und Kulturelles, Kultur & Weltbild, Ætt Feature

Anmerkungen anlässlich des Films „Thor 2 – The Dark World“

Nein, das ist keine Rezension des Anfang November 2013 in die Kinos gekommenen Films, der aus unerfindlichen Gründen in der deutschen Fassung „Thor 2 – The Dark Kingdom“ heißt, denn die „Dunkle Welt“ ist eine ziemlich gute Beschreibung von Svartalfheim (Schwarzelbenheim), neben der Asenwelt Asgard und der Mittelwelt Midgard – besser bekannt als „Erde“ – Schauplatz des Filmes.
Thor - The Dark World - Filmplakat Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine der Szenen auf Vanaheim – der Welt des Göttergeschlechts der Vanen – spielt, und im ersten „Thor“-Film Jötunheim – die Welt der Riesen – vorkam.
Es ist eigentlich unnötig, zu erwähnen, dass ich hier aus meiner ganz persönlichen Sicht und gemäß meinem ganz persönlichen Verhältnis zu den „Großen“, also meinen Göttern, und meine ganz persönliche Interpretation der überlieferten Mythen schreibe.

Blasphemie?

In Zeiten wie diesen, in denen sich vor allem Vertreter der fundamentalistischen Richtungen monotheistischer Religionen lautstark und mitunter gewalttätig über „Gotteslästerungen“ aufregen, liegt die Frage nicht fern, ob nicht die heutigen Freunde / Verehrer des Großen Donnerers (zu denen ich mich zähle) die „Thor“-Filme – außer „Thor“ und „Thor 2 – The Dark World“ taucht „der mächtige Thor“ auch in „The Avengers“ auf – als „Blasphemie“ betrachten.

Von den mir bekannten Ásatrúarn wüsste ich keinen, der sich über die Thor-Filme in dieser Weise aufregen würde. Was natürlich nicht heißt, dass alle „Thor nach Comic-Vorbild“ mögen würden – sehr viele von uns mögen den Film und die Art und Weise, wie „unsere Mythologie im Popcornkino verhackstückt“ wird, ganz und gar nicht. Aber zum Vorwurf der Göttes- bzw. Götterlästerung oder der Verhöhnung ihrer Glaubens oder etwas ähnlichem in dieser Preislage reicht es auch bei scharfen Gegnern des Superhelden-Thors nicht.

Ich weiß aber, dass Nazitrus und andere sich „germanisch-völkisch“gebende Rassenquassler und Blut & Boden-Fans die „Thor“-Filme verabscheuen, und zwar aus immer wieder den selben zwei Gründen:

  1. Heimdall wird von einem Schwarzen, Idris Elba, dargestellt – siehe hierzu: „Thor-Film“: Schwarzer Heimdall ärgert Rassisten
  2. amerikanische Superheldencomics, amerikanisches Popcornkino und erst Recht amerikanisches Popcornkino nach Superheldencomics seien schon mal aus Prinzip „undeutsch“ und „kulturzersetzend“

Erschwerend kommt in diesen bräunlich umwaberten rechtsdrehenden Kreisen hinzu, dass Stan Lee und Jack Kirby, die 1962 auf die Idee kamen, aus dem nordischen Donnergott einen Comic-Superhelden zu machen, Juden sind, und dass die Darstellerin von Thors menschlicher Geliebten, Jane Foster, Natalie Portman (geborene Natalie Hershlag) nicht nur bekennende Jüdin, sondern auch noch Israelin ist.

Allerdings gibt es im Film „The Avengers“ tatsächlich eine gotteslästerliche Szene: der Hulk schlägt Loki brutal zusammen und lästert über den am Boden Liegenden: „Was für ein mickriger Gott!“ Irgendwelche Proteste gegen diese Gotteslästerung im wahrsten Sinne des Wortes sind mir nicht bekannt.

Wie Thor zum Superhelden wurde

Der Film, ist wie sein Vorgänger, im Marvel-Universum angesiedelt, das zwar einige verblüffende Parallelen zum Universum, das wir kennen, aufweist, aber eben ein Comic-Universum ist, in dem die Gesetze der Physik und die historischen Abläufe nicht wirklich den uns vertrauten entsprechen. Was auf der Alltags-Ebene ein Fall für „Captain Obvious“ wäre (alles andere als ein Superheld, trotz des Namens), scheint manchen Kritikern und so manchen Anhängern der nordischen Götter zu entgehen, sobald es um die zugrunde liegende Mythologie geht: Das Marvel-Universum ist völlig fiktiv, und damit auch die ihm zugrunde liegenden Mythen, und damit beruhen die Thor-Filme auch nicht auf den überlieferten Quellen. Jedenfalls nicht mehr, als z. B. Asterix auf Julius Caesars Buch über seinen gallischen Krieg, de bello gallico, beruhen würde.
Damit verlieren auch sämtliche Einwände, dass es „in Wirklichkeit“ ja ganz anders sei, und dieses oder jenes „völlig falsch“ dargestellt würde, ihre Bedeutung. Es käme ja auch niemand ernsthaft auf die Idee, dass der Biss einer radioaktiv bestrahlten Spinne einem Menschen wirklich spinnenartige Fähigkeiten verleihen würde. Ich erwähne das, weil es zum Start des ersten Thor-Filmes eine absurde Debatte um die Hautfarbe Heimdalls gab, auch unter Nicht-Rassisten, mit Verweisen darauf, dass die „alten Germanen“ / „Wikinger“ / „alten Nordmänner“ / „heidnischen Isländer“ usw. usw. sich „ihren Gott“ sicherlich nicht als einen Schwarzen vorgestellt hätten. Obwohl die Asgard-Szenen von „Thor – the Dark World“ zum Teil in Island gedreht wurden, sind die Thor-Filme weder Historienfilme noch Edda-Verfilmungen, für die solche Fragen relevant wären.
Thor-Comic

Stan Lee, langjähriger Texter und Redakteur bei „Marvel“ und der wahrscheinlich produktivste Superheldenerfinder überhaupt, beschrieb 2002, wie Thor 1962 in das Marvel-Universum einging. Zuvor hatten Lee und der Zeichner Jack Kirby den „Hulk“ etabliert, jener unermesslich starke plumpe grüne Riese, in den sich der sanftmütige Physiker Dr. Bruce Banner verwandelt, wenn er so richtig wütend wird.

Wie macht man jemanden stärker als die stärkste Person? Mir fiel schließlich ein: mach keinen Menschen aus ihm – mach aus ihm einen Gott. Ich kam zu dem Schluss, dass die Leser schon recht gut mit den griechischen und römischen Göttern vertraut wären. Es könnte Spaß machen, in den alten nordischen Legenden zu wühlen … Nebenbei, ich stellte mir die nordischen Götter wie alte Wikinger vor, mit wallenden Bärten, Hörnerhelmen und Streitkeulen. …. [Das Comic-Magazin] Journey into Mystery brauchte einen Vitaminstoß, deshalb wählte ich Thor … als Titelhelden. Nachdem ich einen Entwurf der Geschichte und des Charakters, den ich mir vorstellte, geschrieben hatte, bat ich meinen Bruder Larry das Manuskript zu schreiben, da ich keine Zeit hatte … und es war für mich völlig selbstverständlich, die Zeichenarbeit an Jack Kirby zu geben …

Weder Stan Lee noch sein Bruder noch Kirby kannten sich wirklich in der nordischen Mythologie aus, daher überraschen die Unterschiede zwischen dem Gott Thor und dem Superhelden Thor nicht wirklich.
Ihr Thor ähnelt mit seinem Flügelhelm, dem wallenden Blondhaar und dem Schuppenpanzer einer ebenso populären wie unhistorischen Darstellung Leif Eriksons bei der Entdeckung Vinlands, allerdings einem Leif Erikson mit der Figur eines Bodybuilders der „Mr. Universum“-Finalrunde. Nicht nur, dass der Comic-Thor nicht den wallenden rote Vollbart des mythologischen Thor trägt, obwohl Stan Lee sich die Wikinger mit Rauschebärten vorstellte, er trägt auch nicht die Eisenhandschuhe, mit denen Thor seinen Hammer packt. Sein Kraftgürtel, der Thors Kräfte verdoppelt, ein perfektes Accessoire für einen Superhelden, wurde erst Jahre später im Comic etabliert. Dass die Handschuhe nicht vorkommen, der Kraftgürtel mit Verspätung, und auch das Thors Hammer im Comic erst Jahre später Mjölnir bzw. Mjolnir genannt wurde, weißt darauf hin, dass Lee kein wirklicher Kenner der alten Mythen war. Zu allem Überfluss verpasste er seinem Thor ein pseudo-altertümliches Englisch, das es zum Glück nicht in die Filme geschafft hat.

Schon nach meinem persönlichen Eindruck, den ich als comiclesender Junge von Thor gewann, ist er einer der „weniger coolen“ Superhelden im Marvel-Universum. Diesen Eindruck habe ich heute noch.
Thor ist als Superheld eigentlich viel zu stark für jeden menschlich-sterblichen Gegner, ein Problem, das er mit Superman teilt. Helden ohne Superkräfte, aber einem ungewöhnlichen Hintergrund wie Batman, mit beschränkten Superfähigkeiten wie Daredevil oder mit einer Durchschnittspersönlichkeit und reichlich Alltagsproblemen, wie Spiderman, wirken eben vielschichtiger, „cooler“ und (soweit das bei Superhelden überhaupt möglich ist) glaubwürdiger.

Im Laufe der Jahre glich sich Marvel-Asgard mit seinen Superhelden-Göttern, wahrscheinlich dank der konstruktiven Kritik der Mythologiekenner unter den Comicfans, dem Edda-Asgard mit seinen Göttern an. Dennoch hielten sich viele markante Unterschiede, die weniger Fehler als dichterische Freiheit sind.

Die Asen und Vanen im Popcorn-Kino

Sowohl „Thor“ wie „Thor – the Dark World“ halten sich an die etablierten Standards des Marvel-Universums. Allerdings kommen sie trotzdem den überlieferten Mythen und Sagen in mancher Hinsicht erstaunlich nahe. Ich sehe jedenfalls starke Hinweise dafür dass die Drehbuchautoren sich mit den Göttersagen, anders als manche Kritiker meinen, sehr wohl auskennen – jedenfalls besser als seinerzeit Stan Lee, als er auf die Idee kam, aus Thor einen Superhelden zu machen. Dass Loki anders als in der Mythologie, Thors Stiefbruder und nicht Odins Blutsbruder ist, wurde im Comic etabliert – aber ein wichtiger Punkt in den Filmen ist, dass Loki, wie sein mythologisches Vorbild, von Geburt ein Riese ist, Laufeyas Sohn (allerdings ist Laufeyas Lokis Mutter), und ein abgründiger, unberechenbarer Trickster, der zu jeder Schandtat, aber auch, wenn es einmal passt, auch zu jeder Heldentat fähig ist. Ein ambivalenter Schurke, der um einiges interessanter ist, als es ein eindimensional böser Bösewicht sein könnte. Lokis gestaltwandlerischen Fähigkeiten kommen im zweiten Film sehr schön zum Tragen. Nur das Loki ein genialer Erfinder und „Kulturheros“ ist, kommt nicht vor. Dafür wird im zweiten Film sehr deutlich, wie sehr Loki der „Schatten“, die personifizierte „andere Seite“, im Charakter Odins ist.
Außerdem habe ich den Eindruck, dass Thor zumindest im zweiten Film geistig deutlich fitter ist als im Comic – charmanter sowieso. (Sonst wäre er als Liebhaber einer selbstbewussten Astrophysikerin wohl auch nicht glaubwürdig.) Auch das entspricht der Mythologie, denn Thor hat nicht nur Muckies, er hat auch Grips, wenn auch eher „bauernschlau“ als, wie Odin „intellektuell“ oder wie Loki „genial listig“.
Odin weicht von dem mythologischen Odin insofern ab, da er um Frieden und Gerechtigkeit in den Neun Welten ringt. Das passt zu einem ausgewiesenen Kriegsgott eher weniger, und Gerechtigkeit ist auch nicht unbedingt seine Kernkompetenz – manchmal ist Odin ja ähnlich hinterlistig wie sein „dunkler Bruder“ Loki. Obschon Odin ein grauhaariger Ase ist, eben „der Alte“, ist er selbstverständlich topfit und gesund, jedenfalls bis Ragnarök, es besteht für ihn also, anders als für den erschöpft wirkenden Film-Odin, kein Grund, sich nach einem Nachfolger umzusehen.
Die Comic-Sif und mit ihr die Film-Sif weicht jedoch stark von der mythologischen Sif ab. Sif ist in der Mythologie bekanntlich Thors Ehefrau, eine eher mütterliche Gestalt, und überdies mit wie echtes Haar nachwachsendem Haaren aus Gold ausgestattet, nachdem Loki ihre echten Haare abgeschnitten hatte (nach anderer Lesart hatte der unberechenbare Listerreiche sie skalpiert).
Im Film ist Sif eine energische Kriegerin mit dunklen Haaren, die mit Thor befreundet ist, vielleicht auch mehr als nur befreundet, aber nicht fest liiert. Die junge streitbare Göttin könnte eine Ober-Walküre sein, immerhin kommen im Film auch Einherijer vor.
Weitere auftretende und namentlich genannte Götter und Göttinnen sind Heimdall, Frigga, Eir, Tyr und Borr.
Mit fiel auf, dass Freyja in den Filmen fehlte. Allerdings nimmt in gewisser Weise Sif Freyjas Stelle als kämpferische und liebeshungrige Göttin ein.
Im Großen und Ganzen entsprechen die „Großen“ ihren mythologischen Gegenstücken. Natürlich gibt es Kompromisse, wie Thors kurzer Vollbart ein Mittelding zwischen dem glatt rasierten Comic-Thor und dem rotbärtigen Donnergott der Mythologie ist.
Interessant ist der Einfall, dass die im Marvel-Comic obligatorischen „bösen Außerirdischen“ in „Thor – the Dark World“ Schwarzalben bzw. Dunkelelfen sind – die nicht etwa wegen ihrer Hautfarbe so heißen, die ist im Mythos leichenblass, sondern wegen ihres dunklen Wohnortes. Die Abgrenzung zwischen Schwarzalben und den ebenfalls unterirdisch bzw. in einer dunklen „Unterwelt“ lebenden Zwergen ist in der Mythologie nicht immer klar, da widersprechen sich die Überlieferungen. Die Verbindung aus Machtgier und technischem Geschick, die die Schwarzalben im Film an den Tag bzw. an die Nacht legen, trifft auch auf ihre mythologischen Gegenstücke zu.

Nicht zu vergessen: Auch die „echte Mythologie“ ist keine „Offenbarung“!

Entgegen der Ansicht einiger Anhänger der „Alten Sitte“, einigen dogmatisch gesonnenen Asenfreunden und Häufchen selbsternannter „Altheiden“ sind die nordischen Göttermythen keine „heiligen Schriften“ und auch keine „Offenbarung“ im Sinne der monotheistischen Religionen. Ein Mythos ist ganz wörtlich eine Erzählung, die Göttermythen sind Geschichten, die sich die Menschen über die Götter erzählten. Sie wurden immer wieder neu erzählt, abgewandelt, nacherzählt und unterschiedlich interpretiert.
Die als Lieder-Edda bezeichnete Textsammlung, in der Lieder, d. h. im Versmaß erzählte Mythen und Sagen unterschiedlichen Alters niedergeschrieben sind, stammt aus dem hochmittelalterlichen Island, also aus einer Zeit, in der Island längst christianisiert war. Die meisten Stoffe stammen sicherlich aus heidnischen Zeiten, aber viele der Lieder sind unverkennbar hochmittelalterlich geprägt.
Unser übliches Bild der „nordgermanischen Mythologie“ wird sehr stark von der „Snorri-Edda“ bestimmt, in der Tat lässt sich sogar sagen, dass Snorri Sturluson (gestorben 1241) erst aus den verschiedenen Mythen eine systematische Mythologie schuf.
Die Edda wurde um 1220 von Snorri als Lehrbuch für Skalden (also die höfischen Dichter und Sänger des nordeuropäischen Mittelalters) verfasst. Sie gliedert sich in drei Teile, deren beiden erste die stofflichen Grundlagen der Skaldendichtung, die Mythen und Heldenlieder, in Prosa nacherzählen – daher auch „Prosa-Edda“ im Gegensatz zur „Lieder-Edda“. Dabei interpretiert Snorri die überlieferten Stoffe recht frei – und deutlich durch die christliche Brille. Es unterliefen ihm nachweislich Fehler, zum Beispiel erscheint ragnarök (etwa „Götterschicksal“) bei ihm als ragna rökr (etwa: „Götterfinsternis“) , woraus in einer weiteren Stufe des Missverständnisses „Götterdämmerung“ wurde. Als Systematiker schuf Snorri Ordnung, wo es keine gibt. Es ist geradezu rührend, wie er versuchte, die Anzahl der „Hauptgötter“ auf die aus der Antike überlieferte Zahl zwölf zu bringen.
Der dritte Teil, das „Strophenverzeichnis“, ist als Quelle für die heidnischen Mythen wertvoller. Snorri bringt für jede Strophenform eine Beispielstrophe. In dieses Werk schiebt er oftmals als Beispiele einzelne Strophen oder kurze Strophenfolgen aus alten Liedern ein. Damit wurden diese Lieder ungewissen Alters fragmentarisch überliefert.
Die eddischen Göttergeschichten sind literarisch gestaltete Episoden mit Göttern in der Hauptrolle, meistens unterhaltsam, manchmal in schwankhafter Form. Diese Dichtungen sind nicht notwendigerweise repräsentativ für das, was sich das einfache Volk damals erzählte, und erst recht nicht für die Mythen, wie sie vor der Christianisierung mündlich überliefert wurden.

Bis auf einige wenige durch glückliche Zufälle erhalten gebliebene Fragmente, wie die althochdeutschen „Merseburger Zaubersprüche“, sind die „germanische“ Sagen und Mythen uns auf dem Stand des christlich geprägten Hochmittelalters überliefert. Auch die mündliche Überlieferung im Volk wurde selbstverständlich von einer durch Christentum und feudale Staatlichkeit geprägte Umgebung beeinflusst.

Seht es locker!

Alles in Allem kommen Thor und die anderen „Großen“ in den Marvel-Filmen gut weg. So gut, dass sie sogar dazu beitragen könnte, das deutsche Verhältnis zur allem, was „germanisch“ ist, etwas zu entkrampfen.
Meines Erachtens wäre es grundfalsch gewesen, wenn sich der Film eng an die nordischen Göttersagen gehalten hätte. Zur Verdeutlichung, aus einer anderen Mythologie: Samson funktioniert in Sandalenfilmen auch nur deshalb als „Superheld“, weil er darin mit dem biblischen Samson kaum etwas gemeinsam hat.
Da wir nicht im Island des frühen Mittelalters leben, ist es auch für ein „rekonstruktivistisches germanisches Heidentum“ angebracht, die alten Überlieferungen zeitgemäß weiterzuentwickeln. Die zahlreichen Lücken in der Überlieferung lassen uns ohnehin keine andere Wahl, als, wie einst Snorri, etwas hinzuzudichten. Bei Unterhaltungsliteratur, bei Fantasy-Romanen zu Beispiel, ist ein sehr freien Umgang mit den Quellen sowieso völlig legitim. Das gilt selbstverständlich auch für Comics und Unterhaltungsfilme.
Vielleicht täte es manchen allzu verbissenen „Asengläubigen“ gut, sich von einigen Aspekten der Film-Götter inspirieren zu lassen. Heimdall ein Schwarzer? Diese Vorstellung stört mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie hilft, eingefahrene Klischeevorstellungen zu überwinden. In der Völuspa wird Heimdall ja „Vater aller Menschen” genannt. In der kürzeren Seherinnenrede (Völuspa in Skamma) heißt es, er sei „sippenverwandt sämtlichem Volk”. Also könnte Heimdall jede Hautfarbe haben. Thor an der Steuerung eines Raumschiffes? Es passt, es ist für uns heutige ein kraftvolleres Bild als der von Böcken gezogene Wagen. Die kämpferische Sif und die sich mit dem Schwert ihrer Haut wehrende Frigga sind ein gutes Korrektiv zu den seit Snorris Tagen vorherrschenden Ideen, diese Göttinnen wären so etwas wie “göttliche Nur-Hausfrauen”.
Die Großen stehen ohnehin über allen Vorstellungen, die wir uns von ihren machen.

Was Thor persönlich angeht, weiß ich nicht, was er von den Filmen hält. Er hat allerdings Humor. Wie die meisten seiner Fans (außer den falschen).

Martin Marheinecke, November 2013

Tags: , , , , , , , , , , , , ,

Ein Kommentar
Hinterlasse einen Kommentar »

  1. […] MartinM hat eine sehr schöne Analyse geschrieben, wie Marvel die nordische Mythologie in den Comics und in den Verfilmungen bearbeitet. […]

Schreibe einen Kommentar