Macht euch nicht zu „Toleranztrotteln“!

21. April 2012 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Die Ansichten und Weltanschauungen von Nazis nicht zu tolerieren, ist ein Gebot der politischen Hygiene. Auf Nazi-Foren gibt es den stehenden Begriff “Toleranztrottel” – aus Sicht der “kackbraunen Kameraden” sind Leute, die finden, dass Menschen, die Nazis nicht tolerieren, auch nicht besser seinen als Nazis, nur nützliche Idioten. Die diese Nazis, wären sie an der Macht, natürlich nicht tolerieren würden!

Das Argumentationsmuster „Toleranz gegenüber den Intoleranten, verbunden mit dem Vorwurf an jene, die die Intoleranten nicht tolerieren wollen, grundsätzlich intolerant zu sein“ kenne ich bis zum Überdruss aus dem deutschsprachigen (Neu-)Heidentum. Meistens noch ergänzt um den Hinweis, man sei unpolitisch, wisse Politik und Spiritualität zu trennen, es mache ja nichts, wenn jemand „irgendwie rechts“ sei, solange er nicht im heidnisch-spirituellen Kontext politisieren wolle, und so weiter und so fort.

Wer uns, die Nornirs Ætt, einigermaßen kennt, weiß, dass wir das anders sehen. Und unsere Bundesgenossen bei Heidentum ist kein Faschismus selbstverständlich auch!

Die Erkenntnis, dass man sich nicht durch unkritische Toleranz zum nützlichen Idioten der Intoleranten machen soll, ist nicht neu. Einige Beispiele:

„Toleranz ist gut. Aber nicht gegenüber Intoleranten.“ –
Wilhelm Busch

„Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“-
Karl Popper

„Um tolerant zu sein, muß man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.“ –
Umberto Eco

„Extreme Toleranz kann ins Gegenteil umschlagen.“ –
Margot Käßmann

Fordern diese Menschen, denen man gewiss nicht den Vorwurf machen kann, dumm, naiv, oder fanatisch zu sein, und die als sehr tolerant galten bzw. gelten, damit etwa auf, Menschen wegen „ihrer Meinung“ auszugrenzen? Nein!

Erst einmal, weil, wie der alte Antifa-Spruch sagt, „Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ ist.
Damit gemeint ist, dass Faschismus – und verwandte Weltanschauungen – ja nicht etwa eine Ansammlung von, mehr oder weniger nachvollziehbaren, Meinungen ist, sondern ein geschlossenes ideologisches System. Und wenn es je eine verbrecherische Ideologie gab, dann die des NS! (Die Verbrechen des italienischen Faschismus z. B. werden von Neofaschisten durch den Vergleich zu den ungeheuren Verbrechen der Nazis relativiert, aber ein Mord wird nicht dadurch weniger schlimm, dass nebenan ein Massenmörder sein Unwesen treibt – womöglich einer, der das selbe Motiv hat wie der „einfache Mörder“.)
Außerdem gibt es Aussagen, die keine bloßen Meinungen sind, sondern zum Beispiel Beleidigung Volksverhetzung, Aufforderung zu Straftaten. Unschön regelmäßig machen Nazis und andere „extreme Rechte“ solche Aussagen.

Zum anderen muss zwischen den Menschen selbst und den von ihnen vertretenen verbrecherischen Ansichten unterschieden werden. Menschen können sich ändern, dazulernen – und manchmal können sie gar nichts für den gefährlichen Unsinn, den sie verzapfen. Im Extrem gilt: selbst für Massenmörder gelten die Menschenrechte. Ohne Einschränkung.
Wieder einmal hat Marina Weisband das sehr treffend formuliert, angesichts einer hässlichen Affäre um falsche Toleranz gegenüber nationalsozialistischen (und antisemitischen, rassistischen, geschichtsrevisionistischen, homophoben, sexistischen usw.) Positionen in der „Piratenpartei“ und den wenig toleranten Angriffen auf die Art und Weise, wie die „Piraten“ mit den Vertretern solcher Positionen umgehen.
Marina schreibt:

3. Menschen und Ansichten.
Nazis einfach aus allen Parteien auszuschließen oder politisch zu isolieren ist nicht die ganze Lösung des Problems. Dadurch geht es nicht weg. Wir müssen uns als Gesellschaft (nicht als Partei!) um diese Menschen kümmern, sie bilden, sie bekanntmachen, ihnen erklären. Wir müssen ihnen immer einen Rückweg offen lassen. Sie treffen die Entscheidung.
Viele haben rechte Ansichten aus ihrem Elternhaus oder von ihren Schulfreunden mitbekommen. Wir dürfen diese Menschen nicht ohne Kampf dem Hass überlassen. Aber gegen die Ansichten, die sie vertreten, müssen wir erbarmungslos sein. Denn wir sind besser als die Nazis, wenn wir bestimmte Ideen ausgrenzen.

Allerdings – das geht jetzt nicht gegen Marina persönlich – ist die Forderung, in diesem Fall an die „Piraten“, sich „zu distanzieren“ unzureichend. Ich wäre der letzte, der bestreiten würde, dass Rituale sinnvoll seien können, aber es gibt auch sinnentleerte Rituale – im politischen Umfeld gehören Distanzierungen eindeutig dazu.
Solche Rituale sind eher dazu da, das Gewissen des sich „Distanzierenden“ zu beruhigen – „ich bin nicht böse und grenze mich von den Bösen ab“ – als unakzeptable Ideologien zu bekämpfen.

Was heißt: „Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten“?
Auf keinen Fall staatliche Verbote! Der Staat (als Apparat, nicht als „Gesamtheit der Bürger“) soll sein Gewaltmonopol nicht dazu missbrauchen, um politische Meinungen zu unterdrücken. Die USA haben mit ihrem Prinzip des „free speech“ – sogar gegenüber verbrecherischen Ansichten – über 200 Jahre lang gute Erfahrungen gemacht. (Dass sich der Staatsapparat in den USA in den letzten Jahren in Sachen Meinungsfreiheit nicht immer mit Ruhm bekleckert hat, steht auf einem anderen Blatt.)
Die Gefahr, dass staatliche Verbote – und seien es so an sich sinnvolle Verbote wie das der Holocaustleugnung – zur Einschränkung von Grundrechten verwendet werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die obrigkeitsstaatliche „Medizin“ könnte für die Demokratie gefährlicher sein als die „Krankheit“.

Mehr noch, wie Henryk M. Broder in einem vernünftigen Moment (er hat leider auch weniger vernünftige) schrieb:

Ich werde mich dafür einsetzen, dass Holocaustleugnung als Straftatbestand aufgehoben wird. Das Gesetz war gut gemeint, hat sich aber als kontraproduktiv erwiesen, indem es Idioten dazu verhilft, sich als Märtyrer im Kampf um die historische Wahrheit zu inszenieren.

Wo Broder recht hat, hat er recht!

Was tun? Es gibt Beispiele, wie aktive Intoleranz gegen Intolerante funktioniert, ohne Verbote. Eines, das für die „Piraten“ ermutigend ist, gaben die „Grünen“.

Seinerzeit, in den 1980er Jahren, da hatten die noch jungen „Grünen“ mit braunen Flecken im Biogarten zu kämpfen – mit „Blut- und Boden“-Biobauern mit „interessanter“ Vergangenheit, mit Fans der Ökodiktatur und anderen Demokratiefeinden, mit „Ökostalinisten“ und sogar mit auf ökologisch machenden „braunen Esoterikern“ – kurz, mit den Typen, die Jutta Ditfurth (damals noch „Grüne“) – wo sie recht hat, hat sie recht! – „Ökofaschisten“ nannte.
Die „extrem rechten“ Ökos scheiterten an zwei Dingen: an Aufklärung über ihre ideologischen Hintergründe, also letzten Endes an Transparenz, und an der (damals noch intakten) Basisdemokratie der „Grünen“.

Ein Beispiel aus „unserem“ Gebiet: noch in den 1990er Jahren wurde die deutsche „Heidenszene“ stark von ariosophischem Gedankengut (bzw. Gedankenmüll) beherrscht, unter den „heidnischen“ Vereinigungen dominierten die Armanen und ihr Umfeld. Damals war das weit verbreitete Misstrauen gegen „Neuheiden“, der Verdacht, wir seien doch allesamt völkische Sektierer, Rassisten und getarnte Nazis, nicht unbegründet.
Das änderte sich indem Alternativen geschaffen wurden – zuerst der „Rabenclan“ (die „Nornirs Ætt“ war ursprünglich so etwas wie die „Asatrus im Rabenclan“, wenn wir auch als Heilsgemeinschaft seit Gründung eigenständig waren) – später z. B. der „Eldaring“. (Wobei es nach meinem Eindruck einige Zeit gedauert hatte, bis man im „Eldaring“ merkte, dass es nicht ausreicht, sich nur von Nazis und anderen Rassisten verbal zu distanzieren.)
Es änderte sich auch, weil ausdrücklich demokratische und emanzipatorische heidnische Richtungen, z. B. im Hexentum „Reclaiming“ (bekannteste Vertreterin: Starhawk) an Popularität und damit an Boden gewannen.
Es änderte sich durch Aufklärung – durch demokratische Heiden selbst, aber auch durch faire, differenzierte, wenn auch nicht immer angenehme Bücher und Artikel von wissenschaftlichen Beobachtern der „Heidenszene“ – hervorgehoben seien die Publikationen Stefanie von Schnurbeins.

Ein von einem (nie zustande gekommenen) „heidnischen Dachverband“ ausgesprochener Bann völkisch-nationalistischen, antidemokratischen „Heidentums“ wäre hingegen kontraproduktiv gewesen.
Erst recht natürlich ein staatliches Verbot, das wahrscheinlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hätte.
MartinM

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2 Kommentare
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  1. Vielen Dank für diesen Artikel!

    Transparenz, Aufklärung und Basisdemokratie als nicht-obrigkeitsstaatliche Waffe gegen die Intoleranten…damit hast Du mir grade geholfen, einen (vermeintlichen) Widerspruch aufzulösen, mit dem ich mich in jüngster Vergangenheit immer wieder herumquält habe:

    Einerseits habe ich immer die Radikalität bewundert, mit der die Amis ihr Free-Speech-Prinzip (auch und gerade gegenüber Rechtsextremisten und widerwärtigsten Menschenhassern) umsetzen, andererseits mich aber auch immer gefragt, ob diese Radikalität nicht ganz schnell zu dem oben geschilderten Toleranztrotteltum führen kann.

    Ich finde, du hast hier wunderschön dargelegt, dass dieser Widerspruch in Wirklichkeit keiner ist und dass man die Maxime „keine Toleranz den Intoleranten“ durchaus auch in die Tat umsetzen kann, ohne gleich obrigkeitsdeutsch nach Big Daddy State und seinen Verbots-Instrumentarien zu kreischen.

    Anarchische Grüße,
    Martinito

  2. […] Darüber, dass es nicht sinnvoll ist, den Intoleranten (z. B. Neonazis) mit Toleranz zu begegnen, schrieb ich bereits hier: Macht euch nicht zu “Toleranztrotteln”! […]

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