Leichenfledderei als Fernsehunterhaltung: National Geographic „Nazi War Diggers“

30. März 2014 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Die Fernsehprogramme der National Geographic gelten eigentlich als seriöse „Qualitätsmedien“, die der Allgemeinheit geographische und historische Kenntnisse nahebringen.

Eigentlich.

Wie das Fachblogg Archaeologik berichtet, fördert „National Geographik“ (aus durchaus kommerziellen Gründen) in den beliebten „Schatzsucher“-Shows die Zerstörung von Bodendenkmälern. Die Show Nazi War Diggers geht noch einen Schritt weiter: als „Abenteuer“ heroisierte Raubgrabungen einschließlich Leichenfledderung.

Gegen eine ähnliche Fernsehsendung, die Schatzgräber auf archäologische Fundstellen in den USA geschickt hatte, hat die Society of American Archaeologists wirkungsvoll Protest eingelegt. NG und SAA haben gemeinsam eine Tagung abgehalten, die die Problematik klar dargestellt hat.

National Geographik wich aus den USA nach Osteuropa aus und plündert nun für die Fernsehkamera Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs – speziell genannt wird Litauen, betroffen ist aber wohl auch Polen.

Wie wenig professionell, geschweige denn pietätvoll bei der „Bergung“ von Gräbern vorgegangen wird, zeigt dieses Video:
Human Bone Removal

Schlimmer noch: Craig Gottlieb, einer der „Nazi War Diggers“ ist ein berüchtigter Händler von Militaria und „NS-Memorabilien“. Der Verdacht, dass die „Schau-Ausgräber“ nicht im „Wettlauf mit Plünderern“, wie es in der Show heißt, graben, sondern selbst Plünderer sind, liegt nahe.

Scharf kritisieren vor allem britische Archäologen die Show, da drei der Protagonisten Briten sind.

National Geographic use metal detectors, find new low (conflict antiquities)

I am sure most of you have seen this horrendous video (Speaker for the Dead)

Nazi War Diggers (archaeologist|for|hire)

John Roby, We don’t need a TV show about looting Nazi battlefields. (Digs and Docs)
British „Nazi War Diggers“ Filmed (Portable Antiquity Collecting and Heritage Issues)

Nach Angaben von „Archaeologik“ bestehen erste Reaktionen von „National Geographic“ darin, dass das Teaser-Video entfernt wurde. Außerdem wurden einige aufschlußreiche Zitate – Tipps zum Verkauf von Funden beispielsweise – gelöscht. Ein Zitat von Craig Gottlieb wurde geändert: Anstatt “I feel that by selling things that are Nazi related and for lots of money, I’m preserving a part of history that museums don’t want to bother with” heißt es nun: „I’m an historian and a military officer. Where other people see fields and trees, I see a battlefield I see fighting positions. I see fields of fire.“ (natgeotv)

National Geographic are looking into it… under the delete key? (conflict antiquities)

Eine Liste kritischer Fragen an NG:

Urgent ethical and legal questions for National Geographic, ClearStory and their Nazi War Diggers (conflict antiquities)

Das Problem der Schatzsucher-Serien nimmt überhand – in den USA läuft seit September 2013 wieder eine längerfristige Petition dagegen: Stop airing their „Digger“ programs

Aus meiner Sicht kommen hier zwei ärgerliche Phänomene zusammen:
Das eine ist die Schatzgräberei, der mit solchen Sendungen Vorschub geleistet wird. Aus der Sicht eines letzten Endes auf Kunden – Abonnenten wie Werbekunden – angewiesenen „Spartensenders“ ist das sogar nachvollziehbar: wissenschaftliche Archäologie ist nun einmal eher kein „Abenteuer“, das sich in spektakuläre Fernsehbilder umsetzen ließe. Nachvollziehbare, aber für unser kulturelles Erbe gefährliche Interessen – auch, weil sie potenziellen „Amateur-Archäologen“ ein denkbar schlechtes Vorbild geben. (Der Fall des „Barbarenschatzes“ von Rülzheim der von einem Raubgräber, der sich für einen „Amateur-Archäologen“ hält, mit einer Metallsonde aufgespürt und anschließend illegal ausgeräumt wurde, ging erst vor kurzem durch die Presse.)

Das andere ist, dass schon wieder einmal der deutsche Vernichtungkrieg gegen die Völker und Kulturen Osteuropas als gruselige Sensationsshow ausgeschlachtet wird. Druchaus auch auf Kosten der heutigen Deutschen – ich mag zwar persönlich englisch-schwarzhumorige Nazi-Witze, aber ich ziehe es durchaus vor, nicht auf die Untaten meiner Ahnen reduziert zu werden – aber vor allem (schon wieder) auf Kosten der Nachkommen der Opfer der deutschen Agression.
Wie oben beschrieben, war eine ähnliche Show in den USA selbst nicht durchsetzbar. Ich nehme an, dass „National Geographic“ auch in Deutschland oder Österreich auf Granit gebissen hätte. Aber in Litauen, da geht es offensichtlich.

Dass Geschichts-Shows, die Nazis als „Ungeheuer aus dem Reich des Bösen“ stilisieren, einer seriösen Auseinansetzung mit den Ursachen und Folgen von Faschismus, Nationalismus und (kulturellem) Rassismus stark im Wege stehen, sei nur am Rande vermerkt. Die gibt es viel zu viele, auch aus deutscher Produktion.

Nachtrag, 3. April 2014:
Nazi War Diggers abgesetzt

Nach heftigem Protest hat NG (National Geographic) die umstrittene Sendung erst einmal abgesetzt.

Zum einen gab es heftige Kritik aus den sozialen Netzwerken, zum anderen hatten sich die großen Archäologe- und Anthropologieverbände aus Europa und den USA zusammen geschlossen und einheitlich Front gemacht:
http://www.saa.org/Portals/0/SAA/GovernmentAffairs/Nazi%20War%20Diggers-V5.pdf

Die Stellungnahme, die NG zunächst auf der inzwischen abgeschalteten Seite der Fernsehserie gegeben hatte, konnte die Fragen nach Genehmigungen und Verbleib der Funde nicht hinreichend beantworten, da zwischenzeitlich bekannt wurde, dass einer der Nazi War Diggers Funde über Finnland aus Litauen herausgeschmuggelt hatte und diese für den Verkauf präparierte.
http://artsbeat.blogs.nytimes.com/2014/03/31/national-geographic-channel-pulls-nazi-war-diggers-series/

http://conflictantiquities.wordpress.com/2014/03/31/national-geographic-clearstory-nazi-war-diggers-latvian-war-museum-contact-lie/

Via: Archaeologik

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Ein Kommentar
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  1. […] I shared it and asked questions. Those, and further questions concerning looting, were picked up by German media, German historians and Dutch chaps. When I highlighted the deletion of evidence, the Pink Agendist […]

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