Kultureller Hintergrund: Pferdefleisch

14. Februar 2013 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Pferdefleisch: Warum viele Deutsche es verschmähen

Habt ihr schon mal Pferdefleisch gegessen?

Und warum sollte man das eigentlich nicht tun? Wenn man doch auch Kühe, Schweine oder Hühner isst? Der
Kulturwissenschaftler Peter Peter erklärt der „Frankfurter Rundschau“, dass es einerseits damit zusammenhänge, dass Pferde uns – ähnlich wie Hunde – vertraut seien und sie für uns Bezugsobjekte seien. Aber laut Peter hat es auch eine historische Bewandtnis: Vor hunderten Jahren habe es lange Zeit ein kirchliches Verbot gegeben, Pferde zu schlachten. Das ging wohl zurück auf einen Pferdekult bei den Germanen. Dieses Schlachtverbot für Pferde wurde laut dem Forscher erst im 19. Jahrhundert aufgehoben. Diese Sozialisation könne uns heute noch eigen sein.

Außerdem ist es laut Peter in Deutschland sehr ausgeprägt, dass wir zwar Fleisch essen wollen, aber nicht damit konfrontiert werden wollen, dass das mal ein lebendes Tier war. Deswegen gehe der Trend allgemein zu Filet und Brustfleisch, während es bei Innereien oder Knochen schwierig werde.

Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit dem Thema „Die Entwicklung der Pferdeschlachtung und des Pferdefleischkonsums in Deutschland unter Berücksichtigung der gesetzlichen Änderungen (pdf).

Quelle: DRadio Wissen Creative Commons BY NC ND 3.0 D

Eine ausführliche Darstellung der Problems von der Tierärztin Christina Hucklenbroich in ihrem Blog „Tierleben“ auf der F.A.Z.-Community : Pferdefleisch, ein Risikolebensmittel: die Hintergründe der Empörung

Der tatsächliche Skandal liegt darin, dass eine Zutat falsch deklariert wurde, denn schließlich ist Pferdefleisch keineswegs ungesünder als Rindfleisch (wenn man sich die Bedingungen, unter der Mastrinder gehalten werden, genauer ansieht, dürfte sogar das Gegenteil der Fall sein – auch wenn auch schon Schlachtpferdeskandale gab). Es geht also – wieder mal – um Strukturen, um das System der Nahrungsmittelindustrie, nicht um den vergleichsweise harmlosen konkreten Fall.
Auch streng vegane Ernährung schützt davor nicht – ich erinnere z. B. an den EHEC-Skandal um 2011. Die Infektionsquelle war wahrscheinlich Sprossengemüse aus einem Ökobetrieb. (Zum epidemikologischen Hintergrund: HUS Epedemie 2011 -Wikipedia). Ich erwähne das ausdrücklich, da es leider üblich ist, dem Verbraucher und einer angeblichen „Billig-billig-Mentalität“ eine „Mitschuld“ an solchen Vorkommnissen zu geben. (Verbraucheraufklärung und bewusster Konsum sind sicher gut und sinnvoll. Aber es gibt auch bei uns sehr viele Menschen, denen nichts anderes übrig bleibt, als beim Essen zu sparen, und davon, dass auch die Nahrungsmittelindustrie nach dem Prinzip der Profimaximierung funktioniert, ist meines Erachtens viel zu wenig die Rede. Da sind keine „bösen Einzeltäter“ am Werk, die „Gier“ steckt im System.)

Zu den „ollen Germanen“ und dem Pferdefleischtabu:

Vor der Christianisierung waren Tieropfer für die Götter bei germanischen Völkern gängig, wobei es keineswegs so war, dass allein Pferde geopfert wurden. Es wurde auch Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine usw. geopfert. Tiere, die für Opfer geeignet sind, hießen im althochdeutschen „zebar“, in der Lutherbibel bezeichnet „Gezifer“ die nach jüdischen Vorstellungen zum Opfer geeigneten, „reinen“ Tiere.
(„Ungeziefer“ bezeichnet also Tiere, die nicht als Opfer geeignet sind.) Opfertiere wurden normalerweise nicht vollständig dem menschlichen Gebrauch entzogen, meistens wurde das meiste Fleisch im gemeinsamen Opfermahl verzehrt.
Das Pferd hatte, wegen seiner Verbindung mit Woudan / Woden / Odin, aus Sicht der Missionare dem germanischen „Hauptgott“, eine besondere Bedeutung. Außerdem kam Pferdefleisch eher selten auf den Tisch, denn Pferde sind im Vergleich zu Schweinen, aber auch zu Schafen und Rindern, schlechte „Futterverwerter“ und wurde daher nicht eigens als Schlachtvieh gehalten.

Es gab tatsächlich jahrhundertelang ein päpstliches Schlachtverbot für Pferde.
Gregor II (715-31) und sein Nachfolger Papst Zacharias (741-52) beriefen sich bei dem Verbot auf die Speisevorschrift aus der hebräischen Bibel, die das Fleisch von Tieren verbietet, deren Klauen nicht gespalten sind und die nicht wiederkäuen. (Damit wären Pferde im Wortsinn also „Ungeziefer“.)
Nach der Schlacht von Tours im Jahr 732 schrieb Papst Gregor III. einen Brief an den Missionar Bonifatius (dem so genannten Apostel der Deutschen), in dem er ihn aufforderte, den Verzehr von Pferden ab sofort zu untersagen. Neben der Abscheu gegen Tieropfer (und „getarnte Tieropfer“, als das gemeinschaftliches Pferdefleischessen beargwöhnt wurde) spielten dabei sehr wahrscheinlich militärische Erwägungen eine Rolle: der Vormarsch der islamischen Mauren beruhte auf ihrer hervorragenden Kavallerie, und in der Schlacht von Tours erwies sich, dass das wirksamste Mittel gegen Reitertruppen eigene Reitertruppen waren. Die Pferde waren zu kostbar für die Verteidigung der christlichen Gebiete, als dass man sie hätte schlachten dürfen. Solange die Kavallerie die wichtigste Truppengattung war, hielt sich auch das Pferdefleischverbot, auch wenn tatsächlich die meisten Pferde Arbeitspferde in der Landwirtschaft und im Verkehr waren.
Während der großen Hexenverfolgung im 16. Jahrhundert wurde vor allem in protestantischen Teil Deutschland und in England der Verzehr von Pferdefleisch als ein Beweis für Hexerei und teufelsbündlerische Umtriebe gesehen – und es sind heute England und Deutschland, in denen sich besonders viele Menschen vor Pferdefleisch ekeln. Ein Indiz, dass es nicht das päpstliche Verbot allein gewesen sein kann: im katholischen Rheinland hat Pferdefleisch bis heute in regionalen Spezialitäten (Sauerbraten, Pferdewust) eine große Bedeutung.

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