Kanarische Hexenkunst

26. Oktober 2008 | Von | Kategorie: Erforscht & Entdeckt

Noch nie ist mir in Europa eine derart lebendige Tradition an magischen Riten und Bräuchen begegnet wie auf der Insel Gran Canaria.

Streng wird unterteilt in die schwarze und weiße Magie – magia negra y magia blanca. Die weiße Magie wird repräsentiert von der Santiguadora und von der Curandera, die schwarze Magie von der Bruja und der Hechicera. Um das Lesen des Textes als nicht allzu schwierig zu gestalten, habe ich das Wort „Hexe“ überbegrifflich für alle vier benutzt. So wird es auch hier gehandhabt!

Nordküste von Gran Canaria - östlich von Agaete
Nordküste von Gran Canaria – östlich von Agaete (Foto: Brigh)

Santiguadora
Sie arbeitet in erster Linie für Heilung von Krankheiten, betet für die Kranken, invoziert Gottheiten und bittet um Heilung. Am ehesten könnte man sie als „Gesundbeterin, Gesundbitterin“ übersetzen und sie hat den religiösen Part der Heilung über. Die Santiguadora ist es auch, die bis heute el ritual del drago ausführt – das Ritual des Drachenbaumes.

Das Ritual wird in erster Linie gemacht, um Knochen- und Leistenbrüche zu heilen. Vor Sonnenaufgang wird dabei der Kranke zu einem Drachenbaum geleitet und muss mit dem kranken Körperteil den Stamm berühren. Im Licht der aufgehenden Sonne schneidet die Heilerin mit ihrem Messer den Umriss aus der Rinde. Heilt die Baumwunde schnell zu, würde auch der Kranke schnell genesen. Es gibt mehrere Bäume, an denen sich diese Schnitte leicht sehen lassen, auch an jungen Bäumen. Die Santiguadora bedient sich allerdings keiner konkreten Rezepte.

Curandera: Die „Heilerin“ arbeitet mit einer Reihe von Rezepten, Kräutern und Tinkturen und übernimmt damit den handwerklichen Teil einer Heilung.

Bruja: Den Canarios nach ist die „Hexe“ (dieses Mal im speziellen Sinn verwendet!) von bösen Dämonen und Kräften umgeben und bedient sich derer auch. Zaubersprüche und schadende Riten werden in erster Linie der Bruja zugeschrieben.

Hechicera: Die „Zauberin“ bedient sich wiederum Techniken, um Mensch und Tier zu schaden. Sie ist es, die Wachspuppen mit Nadeln spickt, Männer unfruchtbar macht und sich des „bösen Blickes“ bedient.

Fließende Grenzen
Natürlich sind die Grenzen innerhalb der vier Gruppen fließend und auch untereinander kann manchmal nicht unterschieden werden, ob es sich um eine santiguadora oder eine bruja handelt.Das folgende kanarische Sprichwort bringt dies zum Ausdruck

El que sabe jaser el mal, también lo sabe curar – Wer das Böse herbeiführen kann, kann es auch wieder heilen (und umgekehrt).

Interessant ist auch, dass für die Canarios beim Akt des santiguar auch immer das Böse anwesend ist, nämlich dann, wenn die Santiguadora ihre heilende Handhaltung einnimmt, die im Licht eines Feuers dann als Schatten des Teufels wahrgenommen wird. Zusammenfassend ist auch festzustellen, dass die Santiguadora und die Hechicera hauptsächlich handwerklich arbeiten, während die Curandera und die Bruja sich eher der spirituellen Seite widmen.

Alle vier Richtungen werden in erster Linie von Frauen ausgeübt, es gibt sehr wenige Brujos oder Curanderos. Auch wenn allgemein über sie gesprochen wird, bedient sich jeder Inselbewohnter der weiblichen Form. Das ist eigentlich sehr ungewöhnlich, da ansonsten, wenn über beide Geschlechter gesprochen wird, immer die männliche Form benutzt wird!

Es lohnt sich, die Protagonistinnen der magischen Inselwelt von der soziologischen, der psychologischen und der historischen Seite aus zu betrachten. Auch hier benutze ich den Terminus „Hexe“ wieder übergreifend.

Die Geschichte des kanarischen Hexentums
Wie in Festlandeuropa, so wurde auch das kanarische Hexentum von vielen Einflüssen geprägt. Einer der ersten ist die magische Welt der Guanchen – der kanarischen Ureinwohner. Sowohl auf Gran Canaria als auch auf Teneriffa herrschte die Vorstellung von einem bösen Gott, der im Inneren der großen Berge der Inseln wohnte – auf Gran Canaria Gavioto genannt. Ihm brachten sie Opfer dar (Menschenopfer sind bisher nicht belegt!) und jede Krankheit wurde als Zorn von Gavioto gedeutet. Jeder Clan der Guanchen hatte einen Curandero, eine Reihe von Magos (der Hechicera) ähnlich, aber in dieser Zeit waren die hohen Posten noch von Männern besetzt. Ihnen zur Seite standen eine Reihe von Harimaguadas, weibliche Hohepriesterinnen, die den Part der Orakel abdeckten, aber selbst nicht heilend für die Gemeinschaft tätig waren.

Diesem gesamten Equipment stand der Faycán vor, eine Art Hohepriester, der dem jeweiligen Guanarteme, dem Fürsten gegenüber kaum an Macht einbüßte (auf Gran Canaria gab es jeweils 2 Fürsten, nördl. und südl. Region). Sie waren es auch, die mit dem „Bergdämon“ in Verbindung traten, der sich ihnen in der Form von Tieren darstellte. Für Fuerteventura sind uns einige Namen dieser Priesterinnen überliefert, für alle anderen Inseln aber nicht.

Der Hund ist, laut kanarischen Legenden, besonders oft aufgetaucht und zeigt sich heute noch einigen Canarios. Ganz kann ich diesem Faktum, das zwar häufig in der Literatur auftaucht, nicht folgen, da die kanarischen Inseln erst sehr spät entdeckt und in Folge dessen erobert wurden und ich mich daher frage, wie denn die Hunde zu den Guanchen kamen. Unwahrscheinlich ist, dass sie sie selbst domestiziert hatten, da es auf den kanarischen Inseln niemals Wölfe gegeben hat! Interessant ist aber, dass auch schon bei Plinius dem Älterem im 1. Jh. nach Christus schon die Rede von Hunden auf Gran Canaria ist. Die meisten Wissenschaftler verweisen dies heute in das Reich der römischen Phantasie – trotzdem gab der Geograph Ptolomäus den Inseln schließlich den Namen CANARIAS (canis – lat. Hund)

Neben den kanarischen Wurzeln der Guanchen, bereit erobert, finden wir des weiteren Einflüsse von Berbern, Juden, Zigeunern, Mauren und Sklaven aus den südamerikanischen Kolonien.
Vudú-Rituale sind für Gran Canaria ab 1511 belegt, in einem Dekret der katholischen Königen „Isabela la católica“. Die neuen religiösen und magischen Einflüsse wurden von den Guanchen schnell assimiliert. Aus dem Schmelztiegel all dieser Traditionen ging schließlich die kanarische Hexenkunst hervor.

Die Psychologie der kanarischen Hexe
Die wenigen kanarischen Hexen, mit denen ich bisher sprechen konnte, weisen ein interessantes, gemeinsames Merkmal auf: Sie sind extrem an ihre Insel gebunden, keine wurde sich auch nur auf eine andere Insel bewegen, und schon gar nicht auf das spanische Festland, das ihrer Ansicht nach sowieso ein anderes Land ist. Jeder Festlandspanier oder Ausländer wird als neuerlicher Eroberer gesehen und ihr Ziel ist es, ihre Insel mit allen erdenklichen Mitteln zu verteidigen. Ob der großen Touristenströme frage ich mich allerdings, ob das bisher wohl gelungen ist.

Santiguadora oder Curandera ist mir bisher auch noch keine begegnet. Brujas und Hechiceras verdienen sich meist gutes Geld mit ihren Diensten, die ausgesprochen viele Menschen in Anspruch zu nehmen scheinen – nach den Motto: „Es glaubt zwar keiner daran, aber alle tun es!“

Es gibt Zonen auf Gran Canaria, die tatsächlich gemieden werden, weil es dort regelrechte Siedlungen von Hexen geben soll – und jedem unbedarften Mann wird nahegelegt, sich dort nirgends von einer Frau auf ein Getränk einladen zu lassen, da bestimmt ein Liebespulver beigemengt worden sei. Wahrheit oder schlechter Ruf – ein paar lebende Beispiele durfte ich bereits kennen lernen!

Soziologische Grundlagen des kanarischen Hexentums
Was niemand hört und niemand weiß … Die kanarische Hexe wird als Erhalterin des „Status quo“ angesehen. Bei Konflikten wird sie heute noch häufig aufgesucht und bei ihr ist das anvertraute Geheimnis sicher verwahrt. Auf der anderen Seite wird die Hexe hier als „Drohung“ verstanden. In vielen Gesprächen wurde mir bewusst, dass besonders in den kleinen kanarischen Dörfern die Menschen respektvoller als sonst wo mit einander umgehen, da die Angst vor Verhexung, oder auch die Angst, der Hexerei beschuldigt zu werden, groß ist.

Das kanarische Hexentum ist, im europäischen Vergleich gesehen, eine sehr lebendige und strukturierte Tradition, die sich aus mehreren Faktoren herausgebildet hat, nun aber seit ungefähr 500 Jahren in dieser Form existiert. Zwischen 1550 und 1750 sind zahlreiche Hexenprozesse – die Kanaren waren in dieser Zeit schon Teil des katholischen Spaniens – geführt worden. Ein derart dramatischer Bruch in der Weiterausübung von Kräuterheilkunde, Magie etc. kann für die Kanaren, im Gegensatz zum Festlandeuropa, aber nicht nachgewiesen werden.

Die Lebendigkeit des kanarischen Hexentums findet sich praktisch überall wieder … in Geschichten, Legenden, Festivitäten und in jedem Friseursalon wird erzählt, wer denn nicht von wem wo verhext wurde und wie denn nicht dieser und jener Frau der Mann abhanden kam und warum es dieses Jahr in dem und dem Dorf nicht regnete. Viele Bars und Geschäfte haben ihren kleinen Winkel, der mit Rumflaschen, Kerzen und Früchten an einen Altar erinnert. Auffallend ist, dass, wenn über Hexen gesprochen wird, immer die negative Seite überwiegt, dann aber alle Dorfbewohner bei den diversen Feiern und Festen eifrig mit dabei sind. Manchmal verstehe ich die Widersprüche nicht ganz, aber vielleicht sind auch diese, so wie die antiken Hunde, ein Teil ihrer ganz speziellen Eigentümlichkeit und ein bisher ungelüftetes Geheimnis…

Weiterführende Literatur:
Barbuzano, Domingo García: La Brujeria en Canarias. Centro de la cultura Canaria. Santa Cruz de Tenerife, 1997

Brigh

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