Jungsteinzeitliche Bestattung nach Verwandtschaftsgrad

18. November 2008 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Die jungsteinzeitlichen Mordopfer aus dem ca. 4.600 Jahre alten Gräberfeld beim heutigen Eulau in Sachen-Anhalt wurden nach Verwandtschaftsgrad bestattet.

In Eulau wurde 2005 ein jungsteinzeitliches Gräberfeld der „Schnurkeramikerkultur“ (von 2800 bis 2200 v. u. Z. in Mitteleuropa verbreitet) entdeckt, dass Reste zahlreicher Menschen, die offensichtlich ermordet wurden, enthielt. Forscher um Wolfgang Haak von der Gutenberg-Universität Mainz und Guido Brandt von der Universität von Bristol klärten nun anhand von Genanalyen die Verwandschaftsverhältnisse der Bestatteten.
Die Gestaltung der letzten Ruhestätte der 13 nun untersuchten Menschen war typisch für die Zeit und Kultur. Demnach wurden die Toten dieser Epoche immer auf der Seite liegend in einer kauernden Position begraben, Frauen hatten den Kopf nach Osten gerichtet, Männer nach Westen. Die Blickrichtung war jedoch bei beiden Geschlechtern Süden. Die Anordnung der Toten spiegelt ihr Verwandtschaftsverhältnis, dass Anhand der Analyse der mitochondrialen DNA ermittelt wurde, wider.
Demnach enthielt ein Grab einen Mann, eine Frau und zwei gemeinsame Söhne. Eltern und Kinder lagen paarweise einander zugewandt und hielten sich umschlungen. Der Blick der gefundenen Kinderleichen war auf ein Elternteil gerichtet. In einem zweiten Grab lagen zwei Geschwister ebenfalls aneinandergeschmiegt neben einer Frau, allerdings waren die Überreste der Kinder jedoch nicht mit Blick auf die ebenfalls dort begrabene Frau ausgerichtet. In der Tat stellte sich mithilfe der DNA-Untersuchung heraus, dass die Frau nicht ihre Mutter war.
Dabei zeigte sich, dass die Männer sich ihre Frauen offenbar jeweils aus einem anderen Genpool aussuchten, denn die Frauen waren untereinander nicht eng verwandt.
Die teils sehr schlecht erhaltenen Skelette in den restlichen beiden Gräbern erlaubten keine DNA-Analyse.
Die Ergebnisse der Genanalyse werden durch Analysen des im Knochenmaterial enthaltenen Strontiums untermauert. Dieses Erdalkalimetallwird über die Nahrung aufgenommen und lagert sich in Zähnen und Knochen ab. Da das Zahnwachstum im Gegensatz zum Knochenwachstum mit Eintritt der Pubertät abgeschlossen ist, lässt sich aufgrund des unterschiedlichen Strontiumgehalts von Zähnen und Knochen eines Individuums auf den Herkunftsort schließen. Demnach blieben Männer und Kinder am Ort ihrer Geburt, während die Frauen nach ihrer Kindheit in andere Gegenden zogen.

Auf die Frage, wieso Eltern und Kinder gleichzeitig starben, geben die Gräber eine plausible Antwort. Demnach waren sie Opfer eines gewalttätigen Angriffs. So wurde die Wirbelsäule einer Frau von einem Steingeschoss getroffen, zwei der Skelette weisen Schädelverletzungen auf und viele der Kinder zeigen Abwehrspuren an den Unterarmen. Da nur Kinder unter zehn und Erwachsene ab etwa dreißig Jahren beerdigt sind, schließen die Forscher, dass die jugendlichen Gruppenmitglieder den Angriff überlebten und zurückkamen, um die Toten zu beerdigen.

wissenschaft.de :< a href="http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/297505.html" target="_blank">Immer mit Blick auf die Eltern

spektrum.de: Kernfamilie schon in der Steinzeit

Einige Anmerkungen: Es ist schon faszinierend, welche Einblicke die Genanalyse, vor allem zusammen mit der Analyse des Strontium-Gehaltes des Zahnschmelzes, in die Familienstruktur längst verstorbenen Menschen bringt.
Sie deuten darauf hin, dass die Schnurkeramiker (auch „Streitaxt-Leute“ genannt) eine patrilokale Familienstruktur hatten, d. h. dass die (Ehe-)Frauen zu ihren Männern zogen. Das lässt, in aller Vorsicht, vermuten, dass die Schnurkeramiker eine patrilineare (Verwandschaft- und Erbfolge geht „von Vater aufs Kind“, gegenteil matrilinere (Verwandschaft- und Erbfolge „von der Mutter aufs Kind“) Gesellschaft war, möglicherweise sogar ein „klassisches“ Patriarchat. Das ist insofern spannend, da viele Sprachwissenschaftler davon ausgehen, dass die Träger der Streitaxtkultur die Vorfahren der späteren Germanen, Balten und Slawen (die Nordgruppe der Indoeuropäer, die sog. Slawogermanische Gruppe) sowie wahrscheinlich auch der Kelten und der Italiker in sich vereinigten. Viele Merkmale der indoeuropäischen Sprachen deuten darauf hin, dass sie in einen patriarchalen Umfeld entstanden. Somit würden sich Befunde der Sprachwissenschaft und der genetischen Archäologie gegenseitig stützen.

Etwas erstaunt bin ich über der Aufmacher bei „spektrum“: „Wie lange gibt es schon die Kernfamilie? Offenbar mindestens seit 4600 Jahren.“ Es wäre in der Tat eine Sensation, wenn ein archäologischer Befund ergeben würde, dass die jungzeitliche Schnurkeramiker keine Kernfamilienstruktur gehabt hätten. Tatsächlich deuten schon Funde aus der Altsteinzeit darauf hin, dass die Menschen sich über ihre Verwandschaftsverhältnisse im Klaren waren und dass es so etwas wie Familienzusammenhalt gegeben hatte.

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