Jenseits des dualen Systems, oder: Triquetrische Gedanken

20. September 2013 | Von | Kategorie: Kultur & Weltbild, Ætt Feature

Triquetra

Wir haben gelernt, linear und dual zu denken.

Linear, wie die Zeitschiene verläuft, die wir alle im Kopf haben, wenn wir an „Geschichte“ denken. An damals und heute. An Epochen. An Ursache und Wirkung in ihrer unerbittlichen Konsequenz.

Dual, wie wir unterscheiden – und damit scheiden – zwischen gut und böse, richtig und falsch.

Das lineare und duale Denken kann zum Werkzeug hierarchischer Macht werden. Den Subjekten dieser Macht wird die scheinbare Wahl gelassen zwischen Entweder und Oder, oft jedoch nur zwischen Skylla und Charybdis, zwischen Teufel und Beelzebub, zwischen Alternativen, die keine mehr sind, weil sie nichts anderes zulassen.

Es gibt natürlich Gegebenheiten, wo tatsächlich nur zwei vorhandene Möglichkeiten existieren. Sie sind aber höchst selten, verglichen mit der Anzahl an Entscheidungssituationen in denen uns dies als „alternativlos“ vorgegaukelt wird.

Das Symbol der Triquetra lehrt uns, dass es in den meisten Fällen mindestens drei mögliche Wege gibt, oft sogar mehr. Dass es nicht immer „entweder-oder“ heißen muss, sondern dass auch das „sowohl-als-auch“ offensteht. Oder etwas ganz anderes.

Machtsysteme vertreten den Anspruch alleiniger Wahrheit. Diese verleiht scheinbare Sicherheit, sofern man sie annimmt, verinnerlicht oder auch nur grollend akzeptiert.

Freiheitsstrukturen erkennen, dass es die Wahrheit nur im Plural gibt. Und dass niemand die eigene Wahrheit verliert, wenn auch die der anderen gelten darf. Hier wirkt Ermächtigung zum Eigenen statt Macht über andere.

Werte und Normen können Instrumente des dualen Systems, aber auch der triquetrischen Struktur sein.

Im dualen System werden sie eingesetzt, um Menschen unter Kontrolle zu halten. Das muss sich für die Betroffenen nicht negativ anfühlen, und es muss auch denjenigen, die die Kontrolle ausüben, nicht notwendigerweise bewusst sein.

Unbehagen mit den übernommenen Werten führt innerhalb des dualen Systems zu Selbstbeschneidung und Resignation, eine Haltung, die dann wiederum unbewusst an andere weitergegeben wird. So erhalten sich längst überholte Gesellschaftsnormen ebenso wie Ausgrenzung und Furcht vor denjenigen, die – auf welche Weise auch immer – anders sind. So entsteht religiöse, soziale, wirtschaftliche Unterdrückung.

Werte und Normen in der triquetrischen Struktur wachsen aus bewusstem Konsens, im Innen wie im Außen. Sie sind daher situationsbedingt. Ihre Grenzen finden sie von selbst dort, wo sie übergriffig und schädlich für andere würden. „Ama et fac quod vis“ (Liebe, und tu was du willst) kann als kategorischer Imperativ dieses Denkens und Handelns gelten.

Aus dem Entweder-Oder führt das Ganz-Andere oder aber der konsens-geborene Kompromiss.

„Faule Kompromisse“ entstehen im dualen System, wo ein Abweichen vom eigentlichen Ziel als Verlust oder Versagen gewertet wird.
Freie Kompromisse entstehen in einem Prozess, in dem beide Seiten einander entgegenkommen und aus zwei scheinbar unerbittlichen Gegensätzen etwas ganz Neues entsteht. Freie Kompromisse haben nicht den Anspruch, perfekt zu sein, sondern freuen sich, so gut wie möglich auszufallen.

Lineare Wahrnehmungen verabsolutieren das Kausalitätsprinzip. Daraus entsteht in der Paarung mit dualistischen Werten unweigerlich das Konzept von Schuld.

Zirkulare Wahrnehmung, spiralige Wahrnehmung erlebt Konsequenz als Verantwortung. Die Spirale kehrt an denselben Punkt zurück, jedoch auf einer anderen Ebene. Es gibt zweite Chancen. Es gibt die Möglichkeit, etwas besser zu machen, selbst wenn man nicht alles wieder gut machen kann.
Ursache und Wirkung haben oft mehrere Ebenen, die von den Beteiligten nicht alle wahrgenommen werden können, zumindest nicht im aktuellen Geschehen. Die drückende Bürde der Schuld weicht der befreienden Aufgabe, die Chancen der Gegenwart zu ergreifen.

Wir haben gelernt, linear und dual zu denken. Sich ein anderes Denken zu gestatten, ist eine tiefe, befreiende, natürlich auch verunsichernde, aber vor allem öffnende und erweiternde Erfahrung.
Linearität und Dualität sind an sich weder schlecht noch falsch – es gibt Orte, Zeiten und Gegebenheiten, wo sie nützliche Wege für Wahrnehmung und Verständnis unserer Welt und unseres Seins sind. Es geht nicht darum, eine Norm durch eine andere zu ersetzen. Sondern die Zwangsnormierung an sich zu überwinden.

Wir haben gelernt, linear und dual zu denken. Wir lernen, triquetrisch zu denken. Wir werden lernen, noch ganz anders zu denken und zu handeln. Denn es gibt meist mehr als zwei oder drei Möglichkeiten …
Triquetra 01

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