Indoktrination von „Rechtsaußen“

10. September 2009 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Der „Fall“ des langjährigen Waldorf-Lehrers und ehemaligen niedersächsischen NPD-Spitzenkandidaten Andreas Molaus brachte ein lang verdrängtes Problem wieder in die Öffentlichkeit.
Seit Jahrzehnten gehören auch Pädagogen, Erzieher oder Dozenten zum „Führungspersonal“ der rechtsradikalen und rechtsextremen Szene – und zwar im gesamten Spektrum. Von an die „gesellschaftliche Mitte“ anschlussfähigen Nationalkonservativen, über Deutschnationale, scheinbar „unpolitische“ Brauchtumsgruppen, bis hin zum revisionistischen Lager, zur „Neuen Rechten“, zur NPD und auch zu knallharten Neonazis sind überall auch Pädagogen mit dabei. Oft sind sie Ideologen oder Strategen im Hintergrund, fast alle scheuen öffentliche Auftritte. Um ihre Berufslaufbahn nicht zu gefährden, treten die meisten extrem rechten Lehrer und Lehrerinnen erst mit beginnendem Rentenalter oder nach der Pensionierung offen auf.
Indoktrination im Klassenzimmer (blick nach rechts)
Ein aus Ásatrú-Sicht besonders bedrückenden Beispiel aus dem „blick nach recht“-Artikel ist Imke Thomas, führendes Mitglied der rassistischen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“, jenem ultra-rassistischen Nazitru-Verein, der sich die Domain „asatru.de“ sicherte. Die Stellvertreterin des Neonazi-Multifunktionärs und Artgemeinschafts-Chefs Jürgen Rieger geht inzwischen offen mit ihrer beruflichen Vergangenheit um („mehr als 30 Jahre begeisterten Lehrerlebens“), nutzt sie sogar für politische Zwecke. Sie möchte ihre Erfahrungen an Neonazi-Eltern weitergeben. Die ebenso überzeugte wie extreme Rassistin schimpft über Klassen „mit Andersrassigen aus allen Erdteilen“ und sieht ihre Aufgabe darin, Eltern mit ähnliche Gesinnung Hilfestellung bei der Erziehung ihrer Kinder zu „wahrhaft deutschen Menschen“ zu geben. „Im Zuge der groß angelegten Umerziehung in der Schule“ , so die ehemalige Lehrerin, werde der Jugend ein unvollkommenes oder „sogar falsches“ Geschichtsbild aufgezwungen – und das möchte sie in ihrem rassistischen, geschichts-revisionistischen, nationalistischem und (juristisch unverfänglich, aber deutlich formuliert) antisemitischen Sinne „korrigieren“.

Das geschichtrevisionistische und tendenziell antisemitische Weltbild spielt auch bei einer zweiten Form rechtsextremer Indoktrination eine wichtige Rolle, nämlich auf Websites, die vermeintlich über Mobilfunk-Strahlung, Impfungen oder das Finanzsystem aufklären, aber tatsächlich braune Verschwörungstheorien verbreiten.
Im Netz der Paranoia.
Gefährlicher als offen und auf den ersten Blick erkennbar kackbraune Propaganda verbreiteten Websites, sind Blogs, Foren und Homepages, die so tun, als gehe es bei ihnen lediglich um „Informa­tionen abseits des Mainstreams“. Die Zahl der vordergründig unverfänglichen Themen, die von rechtsextremen, antisemitischen Verschwörungstheoretikern für eigene Zwecke missbraucht werden, ist in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen. Mit der Hochkonjunktur der Verschwörungstheorien, die ab dem 11. September 2001 einsetzte.
Und so landen Menschen, die eigentlich nur auf der Suche nach Informationen sind, schnell auf Seiten, die vermeintliches Hintergrundwissen bieten, in Wirklichkeit aber Hass transportieren.

Die Vorgehensweise ist dabei auf all diesen Webpages gleich: Zitiert werden Experten und offensichtlich seriöse Untersuchungen. Hinzu kommen Interviews und Filme, die auf den ersten Blick seriös wirken. Versucht man allerdings, diese Informationen nachzurecherchieren, wird man bei Google nur ganz selten auf Anhieb eine der kritischen Web­sites finden, auf denen die Verschwörungstheorien entlarvt werden. Das hat einen ein­fachen Grund: Durch fortwährendes gegenseitiges Zitieren erreichen die Seiten der Ver­schwö­rungs­theo­retiker ein besseres Google-Ranking und da­mit auch eine Aura der Glaubwürdigkeit.

So erfährt der Leser solcher einschlägigen Websites wichtige Details meist nicht. Man nehme den Fall eines dänisches Wissenschaftler-Teams, das kürzlich angeblich Mikro-Sprengstoff in den Trümmern des World Trade Centers gefunden haben soll. Die dänischen Experten gibt es wirklich, und sie sind auch tatsächlich an einer real existierenden Universität angestellt – was nicht selbstverständlich ist, denn Titel werden auf solchen Seiten häufig ebenso erfunden wie Hochschulinstitute. Dass die Wissenschaftler allerdings keineswegs im offiziellen Auftrag forschten, sondern heimlich angebliche Trümmerteile untersuchten, ist allerdings kaum bekannt. Gegen die Seriosität ihrer Ergebnisse spricht zudem das Medium, in dem sie veröffentlicht wurden: Bentham Science Publishers. Das klingt nach britischem Traditionsunternehmen, ist aber ein saudi-arabischer Open-Access-Verlag, der wahllos veröffentlicht, was ihm angeboten wird. So ist es kaum verwunderlich, dass über die angebliche Entdeckung der dänischen Forscher nur in Verschwörungskreisen diskutiert wird – oft mit Zusätzen wie: »Na endlich, die Juden haben schon zu lange geglaubt, dass sie damit durchkommen.«

Die „Jungle World“ hat offensichtlich recht: Den Urhebern solcher Websites ist weder mit Online-Demonstrationen noch mit Aufklärung beizukommen. (Und man sollte sich vor der Illusion hüten, man könne solchen nicht auf den ersten Blick offensichtlichen Propaganda-Seiten einfach sperren. Die Wahrscheinlichkeit, dass in so einem Fall auch Websites gesperrt würden, die tatsächlich über politisch unbequeme Tatsachen aufklären, ist erdrückend hoch!)

Pragmatisch gesehen, ist ausgerechnet waches Misstrauen sowohl gegen Lehrer und Erzieher mit versteckter „brauner Agenda“ wie gegen rechtsextreme „Weltverschwörerseiten“ hilfreich. Der Spruch „Trust No One“ aus „Akte X“ und einer Zeit, in der man sich über Verschwörungstheorien noch amüsierte, ist für die politische Arbeit ungemein nützlich.

Ungemein verräterisch, sowohl für heimlich kackbraune Lehrer wie für kackbraune Weltverschwörungsquassler ist das Gerede von der „neue Weltordnung“. So bezeichnen Verschwörungstheoretiker das, was sie für den Plan einer ebenso globalen wie verborgenen „Elite“ zur weltweiten Machtübernahme halten – wobei Elite gern schlicht für „Juden“ oder „jüdisch Denkende“ steht. Ungemein typisch ist es auch, dass NS-Verbrechen verharmlost oder durch „Vergleich“ (tatsächlich: Gleichsetzung) relativiert werden. Auch ein positiver Bezug auf
„unsere Ahnen“ oder „unsere Kultur“ sollte misstrauisch stimmen.
Weitere Anlässen zum Misstrauen:

  • Betonung von Ungleichheit: Wenn tatsächliche oder nur behauptete Ungleichheiten (der Kultur, der „Rasse“, des Geschlechts, der Religion, der Sprache usw. usw.) hervorgehoben, verschärft und zu unumstößlichen Wertkategorie überhöht werden.
  • Recht des Stärkeren. In der Regel sozialdarwinistisch „begründet“.
  • Führerprinzip: Wird manchmal als „wahre Demokratie“ verkauft, wenn sich der behauptete „Volkswille“ in einem auserwählten Menschen oder einer auserwählten Machtelite verkörpert. Geht einher mit der Betonung von „Unterwerfungstugenden“ wie eiserner Disziplin, blindem Gehorsam, unverbrüchlicher Treue usw. .
  • Irrationalismus: dem Gefühl, vor aller dem der Empörung in seiner kollektiven Form („gesundes Volksempfinden“) wird gegenüber der analytischen Vernunft oder rational beschlossenen Gesetzen und moralischen Regel Vorrang gegeben. Typisches Beispiel: „Todesstrafe für Kinderschänder“.
  • Dauermobilisierung: Immer droht äußerster Gefahr, immer steht „unser“ Volk, „unsere“ Kultur, „unsere“ Sprache usw. kurz vor der Vernichtung durch fremde, abgrundtief böse Feinde.
  • Die Vereinheitlichung: Es ist angeblich immer ein und derselbe Feind, der in verschiedenen Verkleidung „uns“ bedroht. Für die Nazis war und ist es kein Problem, alle ihre Gegner (Kommunisten, das „Wallstreet-Kapital“, liberale Demokraten, moderne Künstler, kritische Wissenschaftler usw. usw.) zu einem Feindbild zu vereinheitlichen: Was nicht passt, wir durch (meist antisemitische) Verschwörungstheorien „passend gemacht“.
  • Die organische Ganzheit: Die angeblich organisch gewachsenen „Volksgemeinschaft“, die „Große Gemeinschaft“, die Nation, die Rasse, die Zivilisation, wie auch immer sie genannt wird, steht über den einzelnen Menschen, aus denen sie besteht, ihren Interessen und ihren Rechten. Wer die „Große Gemeinschaft“ kritisiert, ist ein „Nestbeschmutzer“ oder gar „Volksverräter“. Die allgemeine Tendenz ist antiabweichlerisch, antiparlamentarisch, antiindividuell – und ahistorisch.
  • Der Totaleinsatz: „Der Zweck heiligt alle Mittel“ – alles und alle werden in die Pflicht für die „Große Gemeinschaft“ genommen, alle, auch verbrecherische Mittel, sind im Interesse z. B. des „Volksganzen“ legitim. In Nazideutschland hieß das: „Recht ist, was dem deutschen Volk nützt“.
  • Die Gewalt und der Terror: Propagandistisch verherrlichte Gewalt gilt als bestes, mutigstes, männlich-ehrlichstes Mittel der Auseinandersetzung. Das geradezu erotische Verhältnis zur Gewalt, nicht als äußerstes, sondern als liebstes Mittel, ist ungemein typisch für kackbraune Kameraden – auch solche in „gutbürgerlicher“ Tarnung.
  • Der Anachronismus: konstruierte und manchmal frei zusammengesponnene mythische Weltbilder mit deutlich paranoider Färbung werden in die Vergangenheit zurückprojiziert – gerne zu den „alten Germanen“. (Die Ariosophie ist das Musterbeispiel so einer „erfundenen Vergangenheit“.) Auf diesen künstlichen Geschichtsmythen werden dann Leitmotive und Handlungsvorschriften für die Gegenwart und Zukunft abgeleitet.

Noch ein persönlicher Gedanke zum Schluss: Schneiden wir uns mit der Aufforderung zum Misstrauen nicht ins eigene Fleisch? Fördern wir nicht das – zweifellos vorhandenen – paranoide Denken mancher Antifa-Aktivisten, die den Thorshammer für ein „einschlägiges Nazisymbol“ halten? Jenen, die glauben, es sei lediglich Mimikry, wenn Neuheiden und andere „Germanenspinner“ „auf Demokratisch machen“, da sie annehmen, es gäbe keinen anderen Grund, solchen aus ihrer Sicht bizarren Vorstellungen anzuhängen, als der, innerlich kackbraun zu sein?
Dazu fällt mir nur ein: Mir ist ein „Antifant“, der verdächtigt, ich sei ein verkappter Nazi, und die „Nornirs Ætt“-Seite ein Versuch, „braune Ideologie reinzuwaschen“, immer noch lieber, als jemand, der arglos Nazistrus wie Rassen-Riegers „Artgemeinschaft“ auf den Leim kriecht!

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