Hexenjagden auch in Indien

5. April 2010 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

In einigen Teilen Indiens sind Hexenjagden leider keine finsteren Kapitel der Geschichte. Ähnlich wie bei den afrikanischen Hexenhysterien sind die Opfer vor allem Frauen in ländlichen Gegenden.

Regelrechte Hexenjagden gibt es im indischen Bundesstaat Jharkhand.
Crusade against withcraft by street plays in Jharkhan (news.oneindia.in) (Die Überschrift ist etwas irreführend: der „Kreuzzug“ richtet sich nicht die Hexerei, sondern gegen Hexereivorwürfe und die Verfolgung von als Hexen verdächtigten Frauen.)
Nach Angaben der Bürgerrechtsorganisation FLAC (Free Legal Aid Committee) wären innerhalb der letzten zehn Jahre mindestens 1.500 der Hexerei verdächtige Frauen ermordet worden. In der letzten Jahren hätten die Morde an „Hexen“ stark zugenommen. Als Ursache werden Aberglauben und mangelnde Bildung in den ländlichen Teilen Jharhands genannt.

Es wären tatsächlich Fälle bekannt, in den Frauen „okkulten“ Praktiken nachgegangen wären, aber in den meisten Fällen würden Frauen grundlos als „Hexen“ bezeichnet, gefoltert und sogar getötet. Oft würden die sogenannten Hexen auch nackt öffentlich vorgeführt oder sozial geächtet.

1999 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das eine Haftstrafe von sechs Monaten und eine Strafe von 2000 Rupien für denjenigen vorsieht, der eine unschuldige Frau (unter der Vorwurf der Hexerei) misshandelt. Das Gesetz wurde von mehreren Bundesstaaten übernommen, aber hat offensichtlich keine abschreckende Wirkung. (2000 Rupien sind zwar nach dem Geldwert ein lächerliche Strafe – umgerechnet etwa
33 Euro – aber da die meisten Menschen in den abgelegenen Regionen Jharkhands praktisch kein Geld besitzen – es herrschen Tauschhandel und Selbstversorger-Landwirtschaft vor – ist die Strafe empfindlicher, als es vielleicht wirkt. Auch ein halbes Jahr Gefängnis ist in einer reinen Agrargesellschaft weitaus härter, als es in einer Industrieregion Indiens wäre. In der Praxis bedeutet das aber: „Hexenjäger“ aus relativ wohlhabenden Gegenden kommen billig davon.)

Jharkhand gilt als eine der „unruhigen“ Regionen Indiens: das wirtschaftliche Gefälle zwischen der durch Montanindustrie geprägten Hauptstadt Ranchi und der Naturalwirtschaft in den „Stammesgebieten“ „steil“ zu nennen, ist untertrieben: es ist ein fast senkrechter Abgrund. Unter der Bevölkerung des Bundesstaats machen Angehörige der Stammesbevölkerung (Adivasi) mit 26,3 % eine bedeutende Minderheit aus. Ein großer Teil der Adivasi praktiziert die alten Stammesreligionen oder ist zum Christentum konvertiert, während die vorherrschende Religion Jharkhands der Hinduismus ist.
Es gibt in Jharkhand mehrere maoistische Untergrundorganisationen, die vorgeben, für die Rechte armer Bauern zu kämpfen, so etwa die Communist Party of India (Maoist).

Wie bei den afrikanischen Hexenjagden lässt sich nur selten der Schadenzaubervorwurf von Hexerei im engeren Sinne, also der Vorstellung, die „Hexen“ hätten einen Pakt mit „bösen Mächten“ geschlossen und der Idee einer „großen Hexenverschwörung“, trennen. (Was übrigens auch bei der frühneuzeitlichen europäischen Hexenverfolgung der Fall war, auch wenn die Vorstellung vom „Teufelpakt“ eine christliche Idee ist.) Typisch ist auch die brisante Mischung aus schwerer wirtschaftlicher Unsicherheit, krasser Ungerechtigkeit, „Modernisierungskrise“, religiösen Konflikten und wenig effektiver bzw. hilfloser Justiz. Außer Jharkhand gilt der Bundesstaat Assam als „Hochburg“ des „Hexenwahns“ in Indien, hier wurden zwischen 2001 und 2006 400 Menschen unter Hexereivorwürfen umgebracht.
Anders allerdings als bei der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung bekämpfen die indischen Behörden – so gut es geht – den „Hexenwahn“ und befeuern ihn nicht mutwillig.
Sad reality of India’s witch hunts (RT Towday).

Das ist leider nicht bei allen „modernen“ Hexenjagden der Fall: Im westafrikanischen Benin wurden 1975 von der Bevölkerung Hunderte Frauen, die angeblich für eine Tetanusepidemie verantwortlich waren, verfolgt und getötet. Die Regierung des Landes startete keine Impfaktion, sondern schürte die Ängste der Bevölkerung noch, indem sie „Geständnisse“ von vermeintlichen Hexen. dass diese die Gestalt von Eulen angenommen hätten, um die Seelen der kranken Kinder zu stehlen, im Radio übertrug. Auch in Tansania heizte die Regierung zeitweilig die Hexenpanik zusätzlich an.

In einigen islamischen Staaten, allen voran in der theokratischen absoluten Monarchie Saudi-Arabien, findet sich dann das „Vollbild“ einer systematischen Hexenverfolgung, zu der das „Teufelspakt“-Modell der Magie und das Motiv der Verschwörung gegen die „Rechtgläubigen“ ebenso gehört, wie die religiöse Rechtfertigung von Hexereigesetzen, die Konstruktion eines „Sündenbocks“ für tatsächliche Probleme und die offizielle Verfolgung von „Hexen und Zauberern“ durch Behörden.
Übrigens sind „Hexenwahn“ und Antisemtismus in der islamischen und christlichen Welt strukturell eng verwandt.

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5 Kommentare
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  1. Hallo,

    Das Problem betrifft AUSSCHLIESSLICH die TRIBALS dieser Regionen. Es gibt keine Hexenverfolgungen im Hinduismus.

    Ein weiteres Problem ist auch den Schutz, den diese Tribals geniessen, denn als Kastenlose bekommen sie von der Regierung haufenweise Gratis Rechte, und niemand traut sich, diese Leute anzufassen….

  2. Ich bin offen gestanden etwas verwirrt – wie kann es sein, dass die Tribals dieser Region allesamt Kastenlose sind? Sind es Hindus, müsste es nach meinem bescheidenen Wissen auch Angehörige verschiedener Kasten bei ihnen geben, sind es keine Hindus, gibt es bei ihnen auch keine Kasten. Ich räume gern ein, dass mein Wissen in solchen Fragen oberflächlich ist.

    Das es im Hinduismus keine Hexenverfolgungen gibt, glaube ich gern. Das schließt aber nicht aus, dass es auch Hindus gibt, die Hexen verfolgen – egal, ob das ihre Religion erlaubt oder nicht.

  3. Grundsätzlich kann man nicht Hindu werden/konvertieren, denn per Definition ist ein Hindu nichts als ein Angehöriger einer Kaste, man wird in die Kaste geboren (und heiratet innerhalb gerade dieser).
    Deshalb gibt es ja auch noch diese ruralen Gebiete, wo es Tribal-Städte und Dörfer gibt. Die haben ihre ganz eigene uralte „Naturreligion“ (siehe Wikipedia Adivasis), wenn sie nicht von Christen konvertiert wurden.
    Das ganze spielt sich in Tribal-Dörfern ab, wo Leute mit Kaste nicht leben. Wie bereits erwähnt gibt es im Hinduismus keine Hexen und damit auch keine Hexenverfolgungen.
    Wütende Mobs die Leute lynchen gibt es schon auch bei hinduistischen Leuten, aber das hat bei Hindus andere Gründe.

    Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil es eben NICHT mit Europa im Mittelalter ist.

    Denn: diese Tribals leben zwar oft isoliert bzw. an Randgebieten, dennoch „unterliegen“ auch sie dem indischen Gesetz.

    Nur gibt es haufenweise Gesetze, die diese „unterdrückten“ (= schlechte Position im Kastensystem) ethnischen Gruppen (backward scheduled castes/tribals genannt) schützen/unterstützen sollen. Das heisst man kann nicht einfach so mit der Polizei dort hin gehen und die Verantwortlichen fassen, denn dann hat man die ganze Unberührbaren-Lobby (zu denen die Tribals auch zählen) am Hals.

    Dass die Zeitungen natürlich dieses pikante Detail nicht erwähnen ist wiedermal köstlich, denn die hinduistischen Religionen bezeichnet man in der Religionswissenschaft eben gerade auf Grund dieser Eigenschaften dass es etwa keine Hexenjagd gibt, es keinem Dogma unterliegt usw. als „HOCHTECHNOLOGISIERTE“ Religion. Im krassesten Gegensatz dazu stehen eben gerade diese Religion(en) der Tribals.

  4. „Wütende Mobs die Leute lynchen gibt es schon auch bei hinduistischen Leuten, aber das hat bei Hindus andere Gründe.“ – Na dann…

  5. Moin,
    auch ich kann diesbezüglich zwar nur mit „gefährlichem Halbwissen“ aufwarten, möchte aber trotzdem das (meines Wissens) einzige Buch in deutscher Sprache zum Thema Adivasi-Irular empfehlen: „Die IRULAR –
    unbekannte Ureinwohner“ von Günter Spitzing:
    http://www.asupoleng.de/index.exe?VW=1024&AE=5&OC=6&GMT=212923711022141

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