Heidnische Götter und der NSU

11. Juni 2015 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Ein überaus ärgerliches Detail brachte der Prozess gegen Beate Zschäpe wegen der Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit sich. Mehrere Zeitungen und Online-Medien berichteten über einen wahrscheinlichen „heidnisch-germanischen“ Hintergrund des NSU, z. B. die österreichische Nachrichtenagentur APA (epa):
Inspirierte heidnischer Götterglaube die NSU-Morde?

[..]Im deutschen NSU-Prozess soll die Begeisterung des Terrortrios für nordische Gottheiten ausgeleuchtet werden. Dabei könnten obskure Details ans Licht kommen und womöglich die Antwort auf die Frage, warum die meisten Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mittwochs verübt wurden.

Einige Nebenkläger bereiten Beweisanträge zum „Germanenkult“ des NSU vor und folgen damit einer Anregung des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Einer von Ihnen, Rechtsanwalt Yavuz Narin, argumentierte im Prozess, die Täter könnten ihre Verbrechen bewusst auf Mittwoche gelegt haben, um versteckte Signale in die Szene zu senden. Mit dem Mittwoch als Tattag könne es sich ähnlich verhalten wie mit dem Ziffernpaar „88“, das in der Szene für „Heil Hitler“ steht.

Überraschend ist das nicht, denn dass viele militante Neonazis zum germanischen oder meistens eher pseudo-germanischen Mystizismus neigen, ist nun wirklich nichts Neues. Die NSU-Morde waren offensichtlich germanisch-rassistisch motiviert – die Opfer wurden ermordet, weil sie die im Weltbild ihrer Mörder „falsche“ Abstammung hatten. Dass die NSU-Terroristen sich als germanisch-heidnisch begriffen, ist plausibel – man denke nur an den Einfluss, den der glücklicherweise verstorbene „Nazitru“ und Neo-Nazi-Multifunktionär Jürgen Rieger auch auf die gewaltbereiten „Kameradschaften“ hatte. Sogar dafür, dass die Anschläge des NSU Mittwochs stattfanden, liegt eine „mythologische“ Erklärung keineswegs fern.

Dennoch ist die Berichterstattung, zumal die, die über die kargen Zeilen der Agenturmeldungen hinaus geht, für demokratisch gesonnene „germanische Neuheiden“ wie uns äußerst ärgerlich. Da heißt es zum Beispiel, der Glaube an germanische Götter entspringe direkt der „Ideologiewelt des Dritten Reiches“. Was für alle, die sich ein wenig mit germanischer Mythologie und NS-Ideologie auskennen, als offenkundiger Unsinn erkennbar ist. Hitler hielt vom „Germanischen Götterglauben“ nicht viel, SS-Reichsführer Himmler war zwar völkischer Esoteriker und Germanenschwärmer, aber selbst er wollte die Verehrung der alten Götter nicht restaurieren. Außerdem war die Bündnispolitik mit den großen christlichen Konfessionen für die Nazis machtpolitisch viel zu wichtig, als dass sie ernsthaft versucht hätten, das Christentum durch ein Neuheidentum zu ersetzen. Statt dessen versuchten sie, völkische und „deutschgläubige“ Vorstellungen in die weiterhin christlich geprägte Fest- und Alltagskultur einzubringen.

Trotzdem ist es wieder einmal da: das alte Klischee, dass schon Begeisterung für die „alten Germanen“ ein Indiz für rechtsradikale Gesinnung sein müsse.

Es ist belegt, dass sich das „NSU-Trio“ für die germanische Mystik begeisterte. Beate Zschäpe besuchte Sonnenwendfeiern und ein Wikingerfest. Gut, das gilt auch für hundertausende unverdächtiger Deutscher. Aber ein Misstrauen ist einigen Artikel, die derzeit unter Schlagzeilen wie „Tötete NSU-Trio für nordische Gottheit?“ erscheinen, anzumerken.
Einer ihrer früheren Gesinnungsgenossen, der Gründer des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), Tino Brandt, bescheinigte Zschäpe in seinem Zeugenauftritt vor Gericht, sie habe gut über die germanischen Bräuche Bescheid gewusst. In einigen Kommentaren kehrt das sich um: Nicht eine mutmaßliche Terroristin kannte sich mit germanischen Bräuchen aus, sondern: Wer sich mit germanischen Bräuche so gut auskennt, ist mußmaßlich Terrorist. „Nazis sind Heiden und Heiden sind Nazis“ – so einfach ist das! Und so herrlich bequem. Extremismus der Mitte? Rechtsblinde Ordnungshüter? Zynische „Verfassungsschützer“, die Nazis unterstützten? Alltäglicher Rassismus? All das, und noch viel mehr, ist „kein Thema“, und die Nazi-Terroristen sind halt ein paar durchgeknallte Spinner, die „allen Ernstes an germanische Götter“ glauben und für Odin mordeten.

Es passiert uns „germanischen“ Heiden das, was mehr oder weniger jedem Moslem hier in Deutschland und Österreich passiert. Die Mehrheit der eingesessenen Bevölkerung reflektiert nicht und stellt alle Moslems unter Generalverdacht. Es geht nicht mehr um Terroristen, die sich selbst als islamische Kämpfer verstehen, sondern „der Islam“ bedroht „uns“. Wobei Moslems allerdings anders als wir zusätzlich unter kulturellem Rassismus zu leiden haben – und Moslems, die als „nicht weiß“ wahrgenommenen werden, außerdem noch unter „biologischem“ Rassismus.

Dabei sind die Beweisanträge der Nebenklage zum „Germanenkult“ des NSU an sich gerade für uns demokratisch gesonnenen Heiden wichtig. Sie könnten, über das enge Umfeld der Mörder hinaus, etwas Licht in die Art und Weise bringen, wie „moderne Nazis“ das alte Thema „Germanen“ für ihre Zwecke missbrauchen.

Im Blog „NSU-Nebenklage“ heißt es zur Vernehmung von Edda Schmidt, einer langjährigen NPD-Aktivistin (sie ist Mitglied der „Artgemeinschaft“ und war dort zeitweise Leiterin des Buchdienstes) :

(…)Die Vernehmung machte aber auch deutlich, wie in der Naziszene die Beeinflussung junger Menschen funktioniert: sie habe über zwei Tage einen Vortrag zum „Brauchtum“, zu heidnischer Religion gehalten, habe den jungen Menschen etwas „Kultur“ beibringen wollen. Unter solcher Tarnung wurden dann junge Menschen mit einer angeblich heidnischen Pseudo-Religion vertraut gemacht, die im Wesentlichen auf Rassismus und Antisemitismus beruht und die „Germanen“ als überlegenes Volk darstellt. Menschen wie Edda Schmidt, deren Vater bekennender SS-Mann war, deren Mutter im NS-Bund deutscher Mädels aktiv war, die selbst von Kind an in Nazikreisen verkehrte, brachte jungen Menschen die „kulturellen“ Grundlagen näher, die diesen als vermeintliche Rechtfertigung für ihre rassistischen Gewalttaten dienen konnten.(…)

Womit man dieser Propaganda den Wind aus den Segeln nehmen könnte, ist offensichtlich: Mit mehr Wissen über germanische Mythologie. Die nicht einmal Ansätze von Rassismus oder Antisemitismus enthält.

Martin Marheinecke, 11.06.2015

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2 Kommentare
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  1. Danke, Martin!

  2. […] die Hypothese, dass die NSU-Terroristen „kultische Motive” für ihre Morde gehabt hätten, beruht auf diesem Schema. Ist doch beruhigend: „Aha, Neonazi-Terroristen sind einfach […]

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