Gute Mitte – böse Ränder?

28. Oktober 2009 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus auch auf die Felder Linksextremismus und Islamismus ausweiten.
Obwohl zweifellos auch Linksextremisten und Islamisten gefährlich sein können, ist dieser Entschluss in mehrfacher Hinsicht problematisch, wie Miro Jennerjahn, Landtagsabgeordneter der „Grünen“, in einem Interview auf NPD-Blog sagt:Programme gegen Extremismus: “Der Alltagsrassismus fällt komplett weg”.
Jennerjahn weiß, wovon er spricht, er war lange Jahre beim Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen tätig.
Bemerkenswert erscheint mir folgende Aussage:

Welche Außenwirkung hat es, wenn von einem Extremismusbekämpfungsprogramm die Rede ist?

Jennerjahn: Da werden Gefahren immer weniger konkret benannt, wenn alles unter dem Extremismusbegriff verwurschtelt wird. Dann geht es gegen alle Extremisten – und die einzelnen Formen werden vom normalen Bürger kaum noch unterschieden. Es entsteht ein gefährliches schwarz-weiß-Schema: Hier die gute Mehrheitsgesellschaft und dort die gefährlichen Ränder. Das Problem des Alltagsrassismus fällt komplett weg, dabei ist dieser Punkt für erfolgreiche Strategien gegen menschenfeindliche Einstellungen immens wichtig.

Tatsächlich ist es ja so, dass die für Rechtsextreme kennzeichnenden „menschenfeindlichen Einstellungsmuster“, wie Jennerjahn sie nennt, beispielsweise Rassismus, Homophobie, Sexismus und Antisemitismus, nicht nur bei gesellschaftlichen Außenseitern und auch nicht nur Neofaschisten, Neonazis oder „neuen Rechten“ zu finden wären: es gibt auch „linke“ und „bürgerliche“ Antisemiten oder Schwulenhasser.
Schlimmer noch: das weit verbreitete Bild von der „heilen Welt“ in der „Mitte“ und den bösen. von außen her die Mehrheitsgesellschaft bedrohenden Extremisten schürt genau jene Vorurteile und Fehlwahrnehmungen, die Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten und auch -extremisten leiten. Der „Islamismus“ zum Beispiel erscheint aus dieser Sicht als „Gefahr aus dem Morgenland“, die grundsätzlich auf „religiösen Fanatismus“ gegründet sei. Aber wenn z. B. die türkisch-deutsche Autorin Seyran Ates aufgrund ihrer Buches über Islamismus von Islamisten mit dem Tode bedroht wird, dann unterscheidet sich das strukturell nicht von dem Verhalten, das Nazis in einer entsprechenden Situation an den Tag legen würden. Viele „Islamisten“ sind faktisch Rechtsextremisten mit anderem kulturellen Hintergrund, aber grundsätzlich den selben menschenfeindlichen Einstellungen wie „urdeutsche“ Rechtsextremisten. „Allah“ ist da oft nur „Dekor“ auf einem knallhart patriarchalen, nationalistischen und autoritären Weltbild, so wie (je nach Ausrichtung) „Odin“ oder „das christliche Abendland“ für „alteingesessene“ Rechte ideologische Schlagsahne auf dem kack-braunen „Kuchen“ ist. Auch Islamismus ist in der Regel ein gesellschaftliches Problem in der „Mitte der Gesellschaft“, und nicht etwas, was nur in der „Parallelgesellschaft“ abgeschotteter Moslem-Fundis gedeihen würde.

Dass „Odin“ bzw. germanisches Heidentum ein so beliebtes Deko-Element für kackbraune Kameraden ist, macht den Extremismus-Einheitsbrei für demokratisch gesonnene Neuheiden noch unappetitlicher. Ásatrú gehört nun mal nicht zum religiösen „Mainstream“ (lauwarme oder angepasste Christen, unauffällige Atheisten, gleichgültige Agnostiker und eventuell noch kuschelige Selbstverwirklichungs-Esoteriker). Wir sind Außenseiter, also irgendwo schon „Extremisten“. Da wir außerdem noch Symbole, z. B. Runen, verwenden, wie sie auch alten und neuen Nazis recht beliebt sind, macht uns also höchst verdächtig – auch wenn wir geschworene Gegner der kackbraunen Kameraden sind.

Auch zum Thema, auf dem NPD-Blog: Gleichsetzen, relativieren, verharmlosen.

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8 Kommentare
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  1. Hi
    Der Alttagsrassismus, der Stammtisch-Extremismus……..klingt so nach Weiterführung durch Kinderreim: Da wo jede/r mit „mus“(s)……oder klingt es nach „Mus“ = Brei?? Ja, die Ränder werden zumindest unscharf, wenn Begriffe inflationär gebraucht werden. Und bei Gelegenheit (und die findet man, wenn man nur sucht ), kann trefflich unter die Begriffe subsumiert werden, was gewünscht wird. Und wenn das dann lange genug durch die Medien und die Köpfe geistert, dann haben wir auch knapp außerhalb der ge-mainstreamten Mitte überall Extremisten, die bekämpft werden müssen. Und wir implementieren eine Wahrnehmung in den Köpfen eben dieser „Mitte“, aber auch in den Köpfen aller anderen mit zementierter gegenteiliger Meinung (rechts-links, Heide-Christ), eine nur auf Konfrontation gerichtete Wahrnehmungs- und Handlungshaltung.

    Aber Hand auf´s Herz: Haben wir eine solche Geisteshaltung nicht schon längst? Wer kann schon immer und überall so glasklar differenzieren? Ich kenne da eigentlich niemanden.

    Wenn ich mich als Verfassungspatriotin oute, dann nur in dem Maße, indem ich das real existierende Grundgesetz sehr schätze. Dazu gehört auch; dass eben jede/r im Rahmen dieser Gesetze nach seiner/ihrer Facon selig werden darf (obwohl der „alte Friedrich“ damit im Grunde schon viel weiter war als wir heute, aber das ist wieder eine andere Geschichte). WENN nun aber Menschen an diesem System kratzen, indem sie es irgendwie zerstören wollen, und zwar, das ist das Perfide, eben mit den Mitteln, die sie vernichten wollen, dann sollten wir Möglichkeiten haben, diesen Einhalt zu gebieten. Im Rahmen des GG gehören dazu ausdrücklich nicht andere Glaubensrichtungen oder eine Herkunft außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik, ganz gewiss aber extreme Ansichten. Die Frage, die sich mir stellt, ist die: WIE gehen wir damit um, WIE benennen wir die Dinge und WIE vermitteln wir sie. Und WAS können wir (alle) tun, damit die Menschen klug und wach genug werden, um zu differenzieren, aber auch schätzen lernen, was sie haben. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer, viel eher…………………Meiner Meinung nach.

    Liebe Grüße
    Carola

  2. Hallo Carola,

    eines vorweg: ich habe Deinen Kommentar unter „Neue Bibliothek“ gelöscht. Du hast ja selbst gemerkt, dass er da falsch war und hier besser aufgehoben ist.

    Du beschreibst eine der Ursachen, warum „Extremisten“ als böse wahrgenommen werden, mit einem Wort, dass sie genau umreisst: ge-mainstreamt. Was mir daran gefällt, ist die aktive Form: nicht irgendetwas ordnet sich, quasi von selbst, dem Mainstream unter, sondern es gibt jemanden, der dafür sorgt, dass etwas in den Mainstream aufgenommen wird – oder eben ausgegrenzt. Zur Zeiten des olle Fritz war das der König, der in Fällen der Religionszugehörigkeit mal eben seinen Untertanen Toleranz verordnete. Heute ist das „Gatekeeping“, die Kontrolle, was z. B. in die „Mainstream-Medien“ „darf“, etwas komplizierter – aber der Mechanismus ist, denke ich, ähnlich.

    Was wir tun können, damit die Menschen klug und wach genug werden, um zu differenzieren, aber auch schätzen lernen, was sie haben? Aufklären. Selbst publizieren. Gegenöffentlichkeit herstellen. Ein mühsames Geschäft, dass allerdings dank Internet einfacher und vor allem preisgünstiger geworden ist.

  3. Hi Martin,

    im Bibliotheksartikel??? *grübel* das IST das Alter! Danke für die Änderung!

    Die „Mitte“…Der Mitte ist da, wo der linke Daumen rechts ist? Oder der rechte Daumen links? Oder gar außerhalb von links und rechts, weil „links“ und „rechts“ keine Mitte haben können, es auch keine Überschneidungen gibt? Dass das nicht stimmt, weiß jede/jeder; denn es gibt viele linke Faschisten und ebenso viele ganz Rechte mit ganz sozialistischen Ideen. Ist nun der Sozialist an sich ein Extremist oder nur der rechte Sozialist, also der Nationalsozialist? Oder nur der linke Sozialist, auch wenn er nicht rassistisch ist?

    WAS ist also die „Mitte“, die die Freude und Frieden für alle bringt? Und was ist „Extrem“?

    Die „Mitte“ scheint das Gesunde zu sein, das Friedenserhaltende, der Kompromiss zwischen den – an den äußeren Grenzen zumindest – Extremen, liegt also zentral zwischen den äußeren Rändern. Nun sind die äußeren Ränder, den Begriff definierend: DER Rand, also noch „drin“. Einige Extreme, dass sind dann neudeutsch die …isten, wollen einen jedoch über den Rand, aus dem sicheren Kreis hinaus, stoßen. Da „wir“ aber die Mitte für das Zentrum des Gesunden halten, muss gegen die Extremen vorgegangen werden – unter Umständen – und das ist dann paradox – mit EXTREMEN Mitteln. Die Frage bleibt nur: Wer oder was ist extrem? DAS nun wiederum hängt von der Definition der Mitte ab. Und DIE wird nun selten von denen gebildet/gemacht/definiert, die sie sich wünschen. Nein, ich gehe soweit, dass die meisten Menschen nicht einmal wissen, welches welche Mitte ist – und ob sie eine gute Mitte ist. Mitten werden in der Tat „kreiert“ und diese Kreationen werden dann of ungefragt übernommen und somit wird dann auch das Extreme (neu)-gebildet und bewertet. So werden wir alle ge-mainstreamt, more or less; das ist ein äußerst dynamischer Prozess mit vielen Wechselwirkungen

    Wie wir dem entgehen können?

    Das Internet ist gewiss eine wertvolle Errungenschaft und es macht die Grenzen durchlässiger und Informationen gehen auf schnellem Wege um die Welt. Internet bietet aber auch viel Zerstreuung…vor allem wird dabei häufig eins oder zwei zer-treut, in alle Winde quasi: Kognition und Wahnrnehmung. In Parallewelten sind wir Helden und auf Farmville haben wir den grünen Daumen. Twitter, Facebook, wer-kennt-wen…und jeder keinen –eigentlich….ganz schnell zumindest, wenn diese Beliebigkeit und Schnelligkeit des Umgangs miteinander, die kaum überprüfbare nformationsflut tagtäglich aus allen Kanälen sorgen dafür, dass wir schön ruhig bleiben.

    Aber dennoch, ich gebe dir recht: Eine der Möglichkeiten, der allgemeinen Volksverdummung entgegenzuwirken und zu informieren, ist das Internet………..aber es wäre auch das Gespräch unter- und miteinander, die Diskussion, der Austausch, das Hin- und Zuhören.

    Sonst wachen wir morgens auf, und befinden uns in einer „Mitte“, die kaum Platz läßt, auf ihr zu stehen, geschweige denn, sich zu bewegen. Aber noch haben wir ja Kraft, oder ?

    Liebe Grüße
    Carola

  4. Ich war mal bei nem Vortrag zur „alternativen Extremismusforschung“. Der argumentierte dahingehend, dass es auch einen „Extremismus der Mitte“ gebe und konstruierte sich sehr komplizierte Definitionsgebilde zusammen. ZB. dass der Neoliberalismus, der Alltagsrassismus und der Konservativismus ja auch „extrem“ sind. Und er versuchte das dann spekulativ-empirisch anchzuweisen… .

    Ich dachte mir da die ganze Zeit, dass er nur ‚Extremismus‘ durch ‚Ideologie‘ ersetzen müsste und das dann mit der Anmerkung versehen, dass Ideologien sowohl mainstream als auch alternativ sein können. Sie können religiös, politisch, kulturell, sexuell und wissen die Götter was noch alles sein…

    Klar ist „Ideologie“ jetzt nicht die geniale Bezeichnung die der Herr da gern gehabt hätte, aber sein Extremismus-Begriff war noch viel ungenauer.

    „Was schlimmer sei? Politik oder Religion?
    Ich habe Menschen gesehen die aus religiöser Überzeugung töteten.
    Ich habe Menschen gesehen die aus politischer Überzeugung töteten.
    Den Getöteten dürfte das relativ egal sein.
    Vielleicht sollten die Menschen ersteinmal aufhören aus Überzeugung zu töten… .“

  5. @ Jari: „Lasst Ideen sterben, nicht Menschen.“ (K. Popper)

  6. […] Mitte” ist alles in Ordnung. (Das dem nicht so ist, thematisierte ich bereits unter Gute Mitte – böse Ränder, auch in meinem Aufsatz Antimonotheismus – Schlüssel zum Verständnis des Rechtsextremismus? […]

  7. […] wie netz-gegen-nazis.de – immer noch in viel zu simplen Mustern. Etwa dem “Gute Mitte, böse Ränder“-Muster. Das greift zu kurz, Leute! Den alltäglichen Rassismus, ich meine: auch den […]

  8. […] ist ein profilierter Kritiker der “Extremismustheorie”, also der Doktrin von den “bösen Rändern und der guten Mitte” bzw. der Gleichsetzung von “Extremismus von links und rechts”. (Sehr lesenswert: Sind […]

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