Goden ohne Boden (Teil 1)

3. Oktober 2008 | Von | Kategorie: Odins Auge Artikel

Von „allsherjar“ über „seidr“ bis „yggdrasil“: Was irgendwie germanisch klingt, taugt allemal zum Fleddern – oder als Nebelkerze, um der angestrebten Heiligkeit den rechten Schein zu verleihen. Oder so ähnlich. Wer will schon alles so genau wissen? Die Jünger esoterischer Germanenglauben-Prediger bestimmt nicht. Einiges spricht sogar dafür, dass es mehr Prediger als Gläubige gibt.

Anna domina 3.109
Nehmen wir an, es war einmal: Wien in über tausend Jahren. Die Umwelt ist abgeschafft, womit auch ihre Verschmutzung entfällt. Man fliegt mit Antischwerkraft-Armbändern durchs virtuelle Gassenpanorama. Vom Ellhornring bis zur Purple-Allee ist mondtags oft Handflieger-Stau. Verkehr? Gibt´s gelegentlich noch. Die Flirts aber werden gepulst. „Pulsies“ sind kleine Telepathie-Kügelchen. Das SMA (Sinisterium für matrifokale Angelegenheiten) pulst seinen „Spischi“ (Spirit-Schmäh) mittels größerer Kugeln in die „Biomaten“ (wie inzwischen die 32 Millionen Wiener Bürger, Mitmenschen, Hyperfem-Frauinnen, Neutrombies, Triklopse, ÄnderGenderles und „Heiße Hupfer“ samt ihrer Sklaven und Haustiere genannt werden): „Die Große Göttin lebt!“

Zicca – eine sich so entwickelt habende Mischform aus jahrhundertealten naturreligiösen Hexenkulten, dem SUA (Spirituellen Usertum Austria) sowie den Frühstücksgebräuchen der Nutellaner – ist seit 700 Jahren Staatsreligion in ganz Öropa (mit Ausnahme von Kleinbritannien und den ayurvedischen Inseln). In letzter Zeit mehren sich exotische Einflüsse wie der „Krismes“ der weißen Minderheit aus den NTA (Native Tribes of America)… Darunter nicht immer nur Harmloses wie der nostalgische Raketenrummel der beliebten Atomzeitaltermärkte, sondern auch für Tier und Mensch nicht ganz Ungefährliches wie der „Aktienglauben“ der Dividaendy-Bewegung oder die „altkapitalistische BWL“ (Betriebswirtschaftslehre) – beides abgeleitet aus einstigen Merkantilisationsübungen der Cappucinermönche aus Esopotamien.

Was soll nun der ganze Schmäh? Genau das fragen sich auch Leute wie Der Tankwart und Der Postbote. Ersterer ist eigentlich ein ganz normaler Biomat, der tagsüber in der Virtur (Virtuellen Natur) arbeitet wie Millionen andere auch. Abends aber lebt er erst richtig auf: Als gäbe es weder Mondknusper, Relative Realität noch Antischwerkraft, verwandelt sich der blasse Jüngling in eine archaische Gestalt des 21. Jahrhunderts: Da tanzt er dann nach Art unserer Vorfahren in gewebten (!) Klamotten um eine heilige Stele, die „Zapfsäule“, herum und nennt sich selbst „Tankwart“. Seine Gedanken gelten nicht mehr der Großen Göttin, sondern dem Öl. Das nämlich sei ein „Kraftstoff“. Die Frage, wozu um alles in der Virtuelt man sowas heute brauche, können auch Tankwarts Anhänger, die sich selbst „Autos“ nennen, nicht beantworten: Ohne Öl ginge halt nichts, das sei nunmal das „Schmiermittel“ der „Alten Zivisation“ gewesen. Besonders appetitlich geht es freilich nicht zu bei Tankwarts: Nur, wer wenigstens einen Becher der schwarzen stinkenden Brühe hinunterschluckt, „echtorganisch“ die Kehle runter, versteht sich, darf sich „Auto“ nennen (und wird dann mit Blechteilen behängt).

Hauptgegner dieser Bewegung sind Die Postboten. Die gehen ihren Mitmenschen mitunter dadurch auf den Keks, dass sie mit lautem Gewieher in der Landschaft herumspringen und ungefragt ganze Stapel losen Papiers verteilen: Das hätten ihre Vorfahren auch getan und sei mithin ein „heiliger Akt“ der „alten Religion“. Ganz zornig werden die Postboten aber, wenn man sie auf Den Tankwart und seine „Auto-Bewegung“ anspricht: Die historischen Postboten seien – nach Meinung Der Postboten zumindest – „mit pferdegezogenen Kutschen“ gefahren zum Papierverteilen: Für irgendwelche heiligen Säulen, ob „Zapf-“ oder sonstwas, finde sich „keinerlei Beleg“. Auch hätten die Altvorderen den „Kraftstoff“ Öl wenn überhaupt, dann nur ganz selten selber getrunken. Stattdessen sei der auf Bohrinseln im Meer gefeiert worden, die bisweilen zu Ehren des Großen Geldes „rituell versenkt“ worden seien. Die Tankwart-Fans wiederum kontern, dass im (guten alten) Industriezeitalter Autos die dominierende Lebensart gewesen seien, und dass es außerdem wiederholt und nachweisbar „Kriege ums Öl“ gegeben habe… In jüngster Zeit macht sich eine dritte Glaubensfraktion stark, die unter dem Motto „Alles ist eins“ die „Gemeinsamkeiten der alten Bräuche“ betont, und ebenfalls wie die Postboten Papier verteilt, das die sog. „Drucker“ jedoch vorher kreuz und quer mit Öl beschmieren: Denn die vom 17. bis ins frühe 21. Jh. verteilten Papiere der historischen Postboten seien „mehrheitlich mit Zeichen bedeckt“ gewesen, dies lasse sich „nachweisen“. So sagen die Drucker!

So grotesk dieses ganze Szenario anmuten mag, bleibt mir doch der (unnachweisbare) Verdacht, dass „unser Heidentum“ einem vorchristlichen Heiden vergleichbar bescheuert vorkäme, katapultierte ihn irgendein Wunder plötzlich in unsere schöne Frei-Zeit.

Was meine unernste Vision mit unseren heutigen Kenntnissen und Vorstellungen von historischem Heidentum gemeinsam hat, ist das Fehlen sinnvoller Hintergrund-Zusammenhänge in wesentlichen, aus der zeitlichen Ferne aber leicht übersehbaren Details. Genau dieses eingebaute Defizit lässt hie wie dort Raum für beliebige Idiotien: selbsternannte Tankwarte, die um funktionslose Zapfsäulen tanzen; Postboten, die sinnlos Wischs verteilen, ob nun öleingefettet oder nicht… Genau an solche Figuren erinnern sie, die real existierenden Scheinheiligen aus der paganen Peinlichkeitspalette: Haltlose Häupter, die, eh schon mit Schein- und Halbwissen „gekrönt“, sich noch fast jedes billige Okkult-Hütchen aus dem 19. Jh. aufsetzen – bzw. den kelto-germanisierenden National-Mythen jener Zeit aufsitzen –, den zumeist von innen her reichlich stinkenden Schmodder dann als angeblich „uralte Tradition“ verbreiten – und für einen solchen Bärendienst an neuheidnischer Sach´ auch noch Ehrerbietung verlangen. Was sie in Wahrheit antreibt, ist die nackte Geltungsgeilheit. Sonst haben sie nichts!

Nun tanzt zwar nicht das gesamte Neuheidentum in all seinen Spielarten und Erscheinungsformen derart halt- und hirnlos im luftleeren Raum. Aber seine Goden und Druiden tun es – meistens. Zumindest diejenigen unter ihnen, die vor einer bestenfalls verblüfft-irritierten Allgemeinheit auf ihre fachlich-berufliche Anerkennung pochen. Wer, bitteschön, soll euch anerkennen? Für was, und weswegen? Ihr wisst nur, „als“ was ihr anerkannt werden wollt. So richtig peinlich wird´s dann spätestens beim „warum“. Auch davon wird die Rede sein müssen.

Blasen auf der Suppe
Unter dem Begriff „Goden“ versteht man heute meistens sowas wie „germanische Priester“. Letztere dürfen wir getrost im Bereich des Mythos, höchstens aber des „auch Möglichen“ ansiedeln. Die isländischen Goden, die im Jahr 1000 aus politischen Gründen beschlossen, das Christentum anzunehmen, waren eher weltliche Häuptlinge mit vorwiegend administrativen Aufgaben. Ihr Amt war dem heutiger „Bürgermeister“ ähnlicher als dem irgendeines Priesters. Hauptberufliche Priesterschaft in auch nur annähernd heutigem Sinne ist in altgermanischen (= vorchristlichen) Kulturen nirgends hinreichend belegt. Die Kelten hatten ihre Druiden – und die Germanen dafür keinerlei Entsprechung. Merkwürdig: Unter Neuheiden priestert´s dafür umso wilder.

Spiritualität als dem Alltäglichen enthobenes, von ihm weitgehend trennbares und getrenntes Phänomen anzusehen gehört zum sittenchristlichen Erbe, das sich tief in unser Denken und Fühlen eingegraben hat: unabhängig von unseren jeweiligen Bekenntnissen, Gottheiten, Glaubensvorstellungen. Wir verhalten uns nicht gemäß unserer bewussten Entscheidungen (die über Wunschdenken und Symbolschwenkereien oft wenig hinausgehen), sondern gemäß tiefer verwurzelter Gewohnheiten: Das gilt bereits fürs Denken, noch mehr aber für unsere unbewussten Wahrnehmungen und die entsprechenden Reaktionen.

Die Kultur, als deren Kinder wir aufwuchsen, ist seit über anderthalb Jahrtausenden von christlichen Werten geprägt – und selbst, wenn man einzelne dieser Werte austauscht, ändert das noch nichts am System, am kategorischen Gefüge. So kommt es zunächst mal zu einigen heidnischen Werten und Ansichten innerhalb eines nach wie vor in christlichen Denkkategorien funktionierenden Systems – und das ist der Zustand, in dem sich die Entwicklung des Neuheidentums m.E. derzeit befindet. Bestenfalls, und bis auf Weiteres. Über die möglichen Inhalte solcher sporadisch als „heidnisch“ empfundenen (oder dies bedeuten sollender) Werte besteht freilich, je näher man hinsieht und genauer man nachzufragen wagt, kaum bis gar kein Konsens. Die einen bedauern das als ein Problem, das sie gerne jenen in die Schuhe schöben, die dummerweise nicht ihrer Meinung sind. Vergeblich wird dann gern anhand des Etiketts beschworen, dass der Inhalt beliebiger Flaschen sich bitteschön zu gleichen habe – oder dies bereits täte, weil ja dasselbe Pickerl draufpappt: „Wir sind doch alle Heiden“, oder „wir“ Heiden „müssen zusammenhalten“ – und zwar aus keinem andern Grund, als dass wir uns Heiden nennen. Fast fragt man sich, wie solche Menschen in der Konsumgesellschaft überleben. Vermutlich hilft ihnen der Glaube.

Andere heißen die widersprüchliche Vielfalt als szenetypisches Merkmal willkommen, doch auch sie müssen zugeben, dass das schiere Chaos heidnischer wie scheinheidnischer Haltungen und Lebensentwürfe nicht dazu taugt, die herrschende Ordnung irgend zu beeindrucken, geschweige denn auch nur annähernd anzukratzen. Beide aber – die Beschwörer nicht- oder kaumvorhandener Gemeinsamkeiten wie die Segner zwangsläufiger Beliebigkeiten – übersehen zumeist, dass die allen Szenekennern so selbstverständlich erscheinende Vielfalt, ob nun beklagt oder begrüßt, im Neuheidentum als mögliche Wirkgröße kaum eine Rolle spielt. Sie blubbert nämlich nur blasenartig an der Suppenoberfläche. Den eigenen Tellerrand zu sehen, muss in Heidenkreisen schon als intellektueller Ausnahmezustand gewertet werden. Über ihn hinauszusehen, ist eine noch seltener beobachtbare Kunst, zählt sozusagen schon zu „pagan fiction“. Die tieferen Lagen und Schichten der Suppe aber, des Tellerinhalts, auf dem all die heißgeblasenen Heidentümer so pittoresk vor sich hinblubbern, sind voller Mysterien, für die sich so schnell keine Halskettenträger interessieren (egal, welche „Tradition“ sie auch so wohlfeil erstanden am Hals haben).

Gewohnheiten, auch und gerade eigene, lassen sich nun mal nicht so leicht verändern wie Garderobe, Feiertagstermine und oberflächliche Ansichten. Diese drei Aspekte scheinen vielen Neuheiden ohnedies zu reichen. Es sei ihnen ja vergönnt. Aber der nachgiebige Schlick solcher Anspruchslosigkeiten ermöglicht erst die Ansprüche beliebiger selbsternannter Autoritäten auf allgemeine Anerkennung. Hier, in dieser Nährlösung aus charakterlicher Bequemlichkeit, inhaltlicher Kurzsichtigkeit und zum Scheinwissen vergorener Denkfaulheit, da wachsen sie: die Goden ohne Boden. Manchmal nennen sie sich auch Druiden, manchmal Schamanen – was soll´s, oft sind sie ja alles zusammen in einer Person.

Weiter: Goden ohne Boden (Teil 2)

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