Gen-Demagogie

3. September 2010 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Die genetischen Thesen von Thilo Sarrazin sind nicht mit den modernen Erkenntnissen zur Evolutionsbiologie des Menschen vereinbar.

Der Fall Thilo Sarrazin brachte es ans Tageslicht: offensichtlich taugt primitiver Sozialdarwinismus und als „Erkenntnis der Genforschung“ verbrämter Rassismus immer noch als demagogisches Futter.
Da Sarrazin bei weitem nicht der Einzige ist, der gegebenenfalls mit nach Gutdünken erfundenen „Fakten“ politisch Stimmung macht (siehe: Ich sage: Guido, Thilo – Maul halten) und sich dabei unter Anderem auf „Erkenntnisse der Genforschung“ beruft, ist das Beispiel über den derzeitigen Skandal hinaus interessant.

Der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) verwehrt sich entschieden gegen jede Verfälschung und politische Instrumentalisierung biologischer Fakten – sei es durch Sarrazin selbst oder durch andere Teilnehmer der derzeit laufenden öffentlichen und medialen Debatte.
Sarrazin: Massive Kritik auch von Genetikern

Genetische Unterschiede zwischen den heutigen Volksgruppen lassen sich im Wesentlichen nur mit Hilfe von neutralen genetischen Markern nachweisen, die per definitionem keine Rückschlüsse auf spezifische Eigenschaften erlauben. Neutrale genetische Marker verhalten sich – eben weil sie neutral sind – nach statistischen Zufallsprinzipien.

Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen sagen laut VBIO nichts anderes aus, als dass diese eine Zeit lang in unterschiedlichen Regionen gelebt haben. Wenn man eine Gruppierung von Volksgruppen mittels neutraler Marker durchführt, erhält man ein ungefähres Abbild der geographischen Verteilung.
(Soviel zum „jüdischen Gen“: Dass z. B. die ashkenasischen Juden eine genetisch „fassbare“ Menschengruppe sind, sagt nichts über die „ererbten Eigenschaften“ eines Menschen ashkenasischer Abstammung aus.)

Zwar gibt es erbliche Einflüsse auf die Intelligenz aber: Intelligenz wird von vielen Genregionen beeinflusst, die in jedem Individuum neu zusammengewürfelt werden. Das kann zu großen Unterschieden innerhalb einer Gruppe führen, wirkt aber gleichzeitig im Vergleich zwischen Gruppen wie ein Puffer.
(Salopp gesprochen: Aller Menschengruppen sind im Durchschnitt von der Genausstattung her etwa gleich potenziell intelligent. Was „Biologisten“ wie Sarrazin außerdem gern übersehen, sind die Mendelschen Regeln. Geschwister können bekanntlich z. B. durchaus unterschiedliche Hautfarben haben – im Sommerloch tauchen in Boulevardzeitungen gerne Mütter mit (zweieiigen) Zwillingen auf, von denen ein Kind „schwarz“ und das andere „weiß“ ist. Zwei dunkelhaarige Eltern können blonde Kinder haben – und umgekehrt. Auch zwei „dumme“ Eltern können ein potenziell intelligentes Kind zeugen. Potenziell intelligent, denn ohne entsprechende Bildung und Erfahrung wird aus einem potenziell intelligentem Baby kein kluger Erwachsener.)

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