Gemischte Gefühle: Thriller „Blutadler“ wird verfilmt

2. November 2011 | Von | Kategorie: Medien

In Hamburg haben am 1. November die Dreharbeiten für den Thriller „Blutadler“ nach dem gleichnamigen Roman des schottischen Bestseller-Autors Craig Russel begonnen. Nach „Wolfsfährte“ermitteln zum zweiten Mal Kriminalhauptkommissar Jan Fabel (Peter Lohmeyer) und sein Team Lisa Maria Potthoff als Maria Klee, Ina Paule Klink als Anna Wolff sowie Hinnerk Schönemann als Henk Herrmann) in einem bizarren Fall.

Drehstart in Hamburg für die Literaturverfilmung „Blutadler“ des Erfolgsautors Craig Russell (Pressemeldung Das Erste / ARD)

Craig Russels „Blutadler“ ist ein durchaus spannender Kriminalroman der heftigeren Sorte, der mir besonders wegen seiner präzisen, im großen und ganzen zutreffenden, aber trotzdem mitunter bizarr anmutenden Hamburg-Schilderungen im Erinnerung ist. Es ist schon erstaunlich, wie „exotisch“, weltstädtisch und aufregend Hamburg aus der Sicht eines von dieser Stadt faszinierten schottischen Thrillerautoren wirkt. Ansonsten wäre „Blutadler“ gut gemachte, wenn auch wenig originelle Dutzendware – schon wieder mal ein hochintelligenter, aber mit lebensgefährlicher Vollmacke ausgestatteter Serienkiller, das Ganze schon wieder mal mit modischem Verschwörungskram angereichert.
Wäre da nicht der titelgebende „Blutadler“.

Zum Inhalt: Am Tatort immer das gleiche Bild. Die Opfer wurden nach einem Strafritual der Wikinger, dem sogenannten „Blutadler“, hingerichtet. Doch der Mörder tötet nicht im Verborgenen. Per E-Mail lässt er Kriminalhauptkommissar Fabel verschlüsselte Botschaften zukommen. (…) Die ersten beiden Opfer – eine Anwältin und eine Prostituierte – verbindet nichts. Lediglich der Vermieter der Prostituierten, Hans Klugmann (Bernd Michael Lade), ein ehemaliger Polizist und nun auf der Gehaltsliste der Türkenmafia, macht sich verdächtig. Als Anna Wolff und Henk Herrmann der Spur nachgehen, werden sie Zeugen eines Bandenkriegs zwischen rivalisierenden Gruppen der türkischen und ukrainischen Mafia. Wenig später wird eine junge Frau aufgefunden, die wirr über ihre Vergewaltigung durch Anhänger eines Odinkults berichtet.
(…) Mit Harald Frantzen (Philipp Hochmair) meldet sich ein Zeuge, der das Vergewaltigungsopfer des Odinkults mit einem Verdächtigen gesehen haben will. Im Gespräch outet er sich selbst als Kenner des Odinismus. Jan Fabel setzt Anna auf ihn an. Inkognito soll sie sich mit Frantzen treffen. Nichtsahnend, dass aus dem Date eine tödliche Jagd wird.

Der „Odinkult“ heißt in Russels Roman übrigens ausdrücklich „Asatru“, und spätestens an dieser Stelle wird klar, wieso ich dieser Verfilmung mit gemischten Gefühlen entgegen sehe. Schon im Roman ist die Schilderung des Asatru, vorsichtig formuliert, nicht unbedingt schmeichelhaft zu nennen.
Kleine Kostprobe – Hauptkommisar Fabel erfahrt von einem befreundeten Buchhändler / Antiquar / wandelndem Lexikon entlegenen Wissens von Asatru (zuvor hatte Fabel bei einem Historiker recherchiert, der ihn auf die „Odinkult“-Spur brachte):

[…] Fabel bedankte sich noch einmal. „Otto, hast du etwas über die alte nordische Religion?“
„Klar. Ob du’s glaubst oder nicht, es gibt eine ziemlich starke Nachfrage.“
„Wirklich?“, fragte Fabel verblüfft.
„Ja. Hauptsächlich Odinisten.“
„Odinisten? Du meinst, dass diese Religion noch praktiziert wird?“ Ein leichtes Prickeln fuhr Fabel über die Haut.
„Asatru wird sie, glaube ich, genannt. Oder bloß Odinismus. Vermutlich eine harmlose Sache. Wenn auch etwas bemitleidenswert.“
„Das hätte ich nie gedacht“, meinte Fabel. „Und von denen kommen viele bei dir vorbei?“
„Der eine oder andere. Seltsame Gestalten. Aber es gibt einen, der ein paar mal hier war, und nicht wie ein komischer Kauz oder Hippie aussieht.“
Das Prickeln auf Fabers Haut verstärkte sich. „Wann hast du ihn zuletzt gesehen?“
Otto lachte: „Werde ich etwa von der Polizei verhört?“
„Bitte, Otto, es könnte wichtig sein.“
Der Buchhändler bemerkte den Ernst in Fabels Miene. „Vielleicht vor einem Monat. Er könnte seitdem wieder hier gewesen sein, aber ich habe ihn nicht bedient.“
„Was hat er gekauft?“
Ottos ausladende Stirn legte sich in Falten der Konzentration. Fabel wusste, dass Ottos Verstand bei allem äußerlichen Chaos einen Supercomputer voller Buchtitel, Autoren- und Verlagsnamen glich. Die Stirn glätte sich wieder, denn die Datenverarbeitung war beendet. „Ich zeig’s dir. Wir haben noch ein Exemplar im Bestand.“
Fabel folgte ihm zu der Abteilung „New Age und Okkultes“. Otto griff nach einem dicken Band im Regal und reichte ihn Fabel.[…]

Und bei einem Verdächtigen, einem gewissen MacSwain.

[…]“Ja, Asatru. Wir haben erfahren, dass Sie ein Experte auf dem Gebiet sind. Deshalb möchten wir Sie bitten, uns über den Hintergrund dieser Glaubensrichtung aufzuklären“.
MacSwain starrte Fabel einen Moment lang mit seinen grünen Augen an, bevor er antwortete: „Herr Fabel, ich bin IT-Consultant, kein odinistischer Hohepriester.“
„Aber Sie sind an dem Thema interessier?“
„Ich bin an einer Menge Themen interessiert, unter anderem auch am Okkulten. Aber ich bin kein Mitglied einer Asatru-Gruppe oder einer ähnlichen Vereinigung. Wäre es nicht besser, wenn Sie Ihre Informationen aus einer zuverlässigen Quelle bezögen? Zum Beispiel vom Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte.“
„Das werden wir auch noch tun. Aber im Moment interessiert uns das, was Sie wissen.“[…]

An den Rat, sich die Informationen aus einer zuverlässigen Quelle zu beziehen, scheint sich Russel selbst nicht gehalten zu haben, auch wenn er bei vielen anderen Einzelheiten im Roman beweist, dass er durchaus recherchieren kann: (Vorsicht, sicherheitshalber Tischkante mit Kissen polstern!)

[…]“Was ist mit Asatru? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Glaube eine große Anhängerschaft hat.“
MacSwain lächelte und zeigte dabei perfekte Zähne. „Da haben Sie Unrecht, Herr Fabel. Asatru ist heutzutage sehr populär. Besonders in Amerika. Offiziell wird es als neoheidnische Religion eingestuft. Inzwischen hat man es stark gesäubert, aber Hitler bezog ein hohes Maß der Asatru-Mythologie und -Symbolik in den Nationalsozialismus ein. Später ist Asatru zusammen mit dem Buddhismus, dem indianischen Schamanismus, dem Wicca-Kult und so weiter in den New-Age-Topf geworfen worden.“
„Wissen Sie, ob es in Hamburg aktive Anhänger gibt, die diesen Kult praktizieren?“
MacSwain rieb sich das Kinn. „Sie verdächtigen Asatru-Anhänger, die Morde begangen zu haben? Das sind doch meist harmlos New-Age-Typen, die sich auf Baldur konzentrieren.“ MacSwain las die Frage an Fabels Miene ab. „Eine christusähnliche Gestalt aus dem Asen-Göttergeschlecht. Eine politisch korrekte Wikinger-Gottheit. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich glaube, dass es einen solchen Kult gibt. Die Mitglieder nennen sich Tempel des Asatru und treffen sich dem Vernehmen nach in einem alten Lagerhaus in Billstedt. Wo genau es ist, weiß ich allerdings nicht.“[…]

Offenkundig hat Russel nicht einmal einen Blick in die Wikipedia geworfen. (Wie auch Hauptkommisar Fabel und seine Mitarbeiter nicht, auch wenn sie ziemlich intensiv im Internet recherchieren.) Oder, was ich eher annehme: er hat die Fakten zugunsten eines möglichst gruseligen, möglichst geheimnisvollen und möglichst den gängigen Untergrundsekten-Klischees entsprechenden Handlungselementes, das leider „Asatru“ heißt, verzerrt.

Die Inhaltsangabe der laufenden Verfilmung lässt befürchten, dass der Fernsehkrimi gegenüber dem Roman vergröbert und wahrscheinlich noch klischeehafter sein dürfte.
So sehr ich mich normalerweise auf gut gemachte Krimis freue: Meine Vorfreude auf die Erstausstrahlung von „Blutadler“ hält sich sehr in Grenzen.

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