„Freier Markt“ der Religionen

26. Juni 2010 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Es gibt „wissenschaftliche“ Denkschulen, die eher an religiöse Dogmatik erinnern. (Und die daher nach meinem Verständnis daher auch nicht wirklich wissenschaftlich sind.) Unter Wirtschaftswissenschaftlern gibt es zum Beispiel Richtungen, die man nur „marktgläubig“ nennen kann, so groß ist ihr Vertrauen in die segensreichen Selbstregulierungskräfte des freien Marktes – eines freien Marktes, der in der von Kartellen, marktbeherrschenden Oligopolisten und der engen Verfilzung von Staat und Großkonzernen geprägten Praxis des real existierenden Kapitalismus eher der Ausnahmefall sein dürfte. Dass es auch eine vergleichbar dogmatische „regulierungsgläubige“ Richtung gibt, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, allerdings ist die „Marktgläubigkeit“ seit etwa 20 Jahren so etwas wie eine „ökonomische Staatsreligion“.
Trotzdem: ein „freier Markt“ hat Einiges für sich – ein unübersehbarer Vorteil ist z. B., dass es auf einem funktionierenden Markt ein vielfältiges Angebot gibt. Umgekehrt sind ununterscheidbare Produkte, die zu einheitlichen Konditionen zu Einheitspreisen angeboten werden, ein sicheres Zeichen, dass der Markt nicht funktioniert – auch wenn es scheinbar eine große, freie Auswahl gibt.

Religionsökonomen sind Wissenschaftler, die sich mit den Wechselwirkungen von Ökonomie und Religion beschäftigen. Ein wichtiger Ansatz ist der „religiöse Markt“. Auf einem „freien Markt“ der Religionen (wie es ihn in den USA gibt) stünden die Religionen im „freien Wettbewerb“, während in Staaten wie Deutschland der „Religionsmarkt“ sozusagen reguliert ist und bestimmte Kirchen bevorzugt. Und dann gibt es noch Länder mit Staatsreligion, in denen konkurrierende Religionsgemeinschaften nur im Untergrund, auf dem „Schwarzmarkt“, tätig sind.

Auf dem Blog „Religionspolitik in Deutschland“ vertritt der Politikwissenschaftler Sven Speer den weit verbreiteten Ansatz, dass ein „freier Markt“ der Religionen zu einer verstärkten Religiosität führt. Warum die Plätze im Himmelreich knapp sind, Jehovas Zeugen keinen Geburtstag feiern und Religionskritiker die politische Unterstützung von Religion fordern

Seine Übertragung zweckrationalen ökonomischen Denkens auf die Religion ist wahrscheinlich leicht ironisch gemeint (sicher sein kann man sich da nie), zeigt aber einige typische Denkfehler.

[…] Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Religionsgemeinschaften das Heil knapp halten, um höhere Renditen zu erzielen. Aber warum führt der Wettbewerb auf dem Markt nicht dazu, dass die Konsumenten Religion zum Nulltarif (oder zumindest eine Flatrate) erzwingen können? Die Antwort ist die gleiche wie auch auf die Frage, warum Jehovas Zeugen keinen Geburtstag feiern. Investitionen in Religionen sind äußerst unsicher: Zwar lockt eine enorme Rendite (das Jenseits), aber es ist vollkommen unklar, welche der vielen Religionsgemeinschaften die Rendite nach dem Tode tatsächlich ausschütten kann. Anstatt darauf zu hoffen, zufällig in die richtige Religion zu investieren, könnten Menschen sich auch ein schönes Leben (im Diesseits) machen.[…]

Speer geht offensichtlich von zwei weitgehend falschen Annahmen aus.
Die erste unzutreffende Annahme oder zu starke Verallgemeinerung ist die, dass die Attraktivität einer Religion (oder einer spirituellen Richtung) eng mit der „Jenseitserwartung“ verbunden ist. Zwar dürfte der z. B. der Erfolg des Christentums gegenüber den heidnischen Religionen der Antike zum Teil auf die Furcht erregende Doktrin der „ewigen Verdammnis“ in Verbindung mit der Aussicht auf ewige Glücksseligkeit im „Himmel“ zurückzuführen sein. Aber der „Markterfolg“ einer Religion, und das, was Menschen dazu bringt, religiös zu sein, hängt eben nur zum Teil von der „Rendite im Jenseits“ ab. Sonst müssten „Endzeitsekten“ den „Religionsmarkt“ dominieren. Auch hätten protestantische Kirchen gegenüber den Katholiken mit ihren detaillierten Vorstellungen über die Ordnung im Himmel, das Fegefeuer und die Höllenstrafen und ihrem ausgefeilten Entsündigungssystem (Beichte und Ablass) einen erheblichen „Wettbewerbsnachteil“. Es gibt sogar erfolgreiche Religionen / spirituelle Systeme, die ohne Belohnung und Strafe im Jenseits auskommen – aber dafür Orientierung, Lebenshilfe und eine zuverlässige Gemeinschaft im Diesseits bieten.

Die zweite falsche Annahme liegt darin, dass die Idee eines von ökonomischer Rationalität bestimmten Marktes der Religion an sich fehlerhaft ist. Menschen wählen in aller Regel ihre Religion / spirituelle Richtung / metaphysische Weltsicht nicht so aus wie Gemüse auf dem Markt, Autos oder Geldanlagen.
Im Normalfall bleiben Gläubige der Religion ihrer Eltern treu – oft sogar über einen Kirchenaustritt hinaus. Sogar auf dem „freien Religionsmarkt“ USA sind Konvertiten selten. Relativ häufig wird dort die Konfession gewechselt, aber ein Christ bleibt in der Regel beim Christentum.
Das Marktmodell kann durchaus für Einzelfragen sinnvoll sein. Und es spricht tatsächlich einiges dafür, dass sich „harte“ Religiosität, etwa von Fundamentalisten, in direkter Konkurrenz zu „lauen“ Religionsgemeinschaften durchsetzt.

Der Schlusssatz von Speer Aufsatz gilt daher wahrscheinlich nur für Religionsökonomen:

Unter Religionsökonomen sind es daher die Religionsaffinen, die sich für eine Trennung von Staat und Religion einsetzen, während die Religionskritiker unter ihnen die politische Unterstützung von Religion fordern – um langfristig die Religiosität in der Bevölkerung zu verringern.

Die auch von Speer vertretene Meinung, dass ein freier Religionsmarkt die Religionen bzw. die gesamtgesellschaftliche Religiosität fördere, dürfte falsch sein. Überhaupt nicht zutreffen dürfte die Behauptung, dass staatlich privilegierte Kirchen – die in Deutschland die verfassungsmäßig gebotene Trennung von Staat und Kirche unterlaufen – die Religiosität in der Bevölkerung vermindern.

Eher scheint es so zu sein, dass je stärker sich die Regierung in religiöse Belange einmischt, desto weniger zufrieden die Gläubigen mit ihrer Religionsgemeinschaft sind. Nun verwechseln sich die deutschen Großkirchen gern mit „dem Christentum“ und sehen in einem Kirchenaustritt eine „Abwendung von der Religion“.
In einem Artikel des religionskritischen hpd (Religion: Die neuesten Erkenntnisse (2)) wird eine Studie angeführt, nach der die staatliche Regulierung der Religionsgemeinschaften für nur 10 % und der geringere Pluralismus der religiöseren Länder für nur 8 % der Gesamtreligiosität verantwortlich ist. Wichtigere Faktoren sind größere Ungleichheit des Einkommens (21 %), geringeres Bruttoinlandprodukt (13 %) und geringere Urbanisierung (11 %) der stärker religiösen Länder.

Daher bin ich für einen „freien Mark“ der Religionen und Weltanschauungen, auch wenn unter den „Marktbedingungen“ der USA das die Position der Fundamentalisten und der mehr oder weniger verdeckt kommerziellen TV-Evangelisten und „Mega-Churches“ stärkt.

In einer freien Gesellschaft sind die Gläubigen zufriedener, denn sie können sich genau die Religion aussuchen, die ihren Bedürfnissen am ehesten entspricht. Und die Ungläubigen sind ebenfalls zufriedener, denn niemand diskriminiert sie. Einen Gesellschaft mit staatlich gefördertem Atheismus ist übrigens auch nicht frei.

Ich bin (anders als die Autoren des hpd-Artikels) nicht an einer generellen Reduzierung der Religion interessiert. Aber ich habe etwas gegen Religionen (bzw. Ideologien), die mit absolutem Wahrheitsanspruch auftreten. So ein Wahrheitsanspruch lässt sich am Leichtesten in einer Gesellschaft aufrechterhalten, in der es keine Alternativen zur allein seligmachenden Staatsreligion gibt.

Eine andere Studie hat gezeigt, dass Sektiererei (der Glaube, dass die eigene Religion die einzige auf dem Weg zu Gott ist) negativ mit der Intelligenz korreliert. Je sektiererischer jemand ist, desto geringer ist seine Intelligenz. Derweil korreliert eine skeptische Haltung gegenüber dem eigenen Glauben positiv mit der Intelligenz. Wer seinen Glauben also in Frage stellt, ist schlauer.

(hpd)

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Ein Kommentar
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  1. *das nenn ich mal einen artikel*daumen hoch*

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