Esoterik-Paranoia im „Umweltjournal“

14. September 2008 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Das Umweltjournal ist ein normalerweise recht informatives Internet-Portal, nicht nur zu Umweltthemen im klassischen Sinne, sondern auch in Fragen der Gesellschaft und Erziehung.

Deshalb bin doch etwas erstaunt, dort eine Reihe scharf anti-esoterischer Artikel zu finden. Offenkundig sind die in einer deutlich hysterischen Tonart gehaltenen Texte aus einer mindestens christlich-traditionalistischen Position verfasst.

Nun könnte ich mich als Mitglied der Nornirs Ætt einfach zurücklehnen, und sagen, das ginge uns doch gar nichts an, die meinen uns gar nicht, schließlich ist die Ætt alles andere als ein Esoteriker-Zirkel, und deutliche Kritik gerade an „New-Age“ und „Post-New-Age“-Esoterik lässt sich auch in „Odins Auge“ finden: New Age und Ökospritualismus. Außerdem könnte ich herausstellen, dass es um den Schutz der Kinder vor (psycho-)therapeutischen Quacksalbereien ginge, denn jede Therapie bedarf einer gezielten Diagnose und darf nur durch dafür ausgebildete Ärzte und Psychotherapeuten durchgeführt werden, hat also im Unterricht nichts zu suchen. Auch dass sich Dr. Reinhard Franzke gegen Missionierung in der Schule wendet, wäre nur zu begrüßen.
Aber leider sind das nur zwei Punkte aus einer langen Agenda.

Das erste Problem ist, dass Dr. Franzke nicht einfach ein gläubiger Christ ist, sondern eine eindeutig fundamentalistische Auffassung hat. Ein Beispiel:

Die Neue Testament ist das einzige (religiöse) Fundament, das uneingeschränkte Nächstenliebe und absolute Gewaltlosigkeit fordert.

Die meisten engagierten Christen, die ich kenne – und ich kenne einige – würden zumindest einräumen, dass auch andere Religionen uneingeschränkte Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit fordern – z. B. das Judentum und der Buddhismus.
Bemerkenswert ist auch folgende Aussage, im Zusammenhang mit Meditiation und Stilleübungen:

Die Bibel verbietet (Gedanken-)Stille als Mittel der Kontaktaufnahme mit „Gott“. Wer den Geist (Gedanken-) leer macht, öffnet die Tür für böse Geister und Dämonen (Mt 12, 42 )!

Ich nehme an, dass der bibelfeste Dr. Franzke Mt 12, 43 meint, denn Mt. 12, 42 lautet in einer traditionellen Übersetzung: „Die Königin von Mittag wird auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr denn Salomo!“ Oder in einer modernen Übersetzung: „Am Tag des Gerichts wird die Königin aus dem Süden aufstehen und die Menschen von heute anklagen, denn sie kam vom Ende der Welt, um die weisen Lehren Salomos zu hören. Und hier steht ein Größerer als Salomo!“
Mt 12, 43 lautet in der traditionellen Übersetzung: „Wenn der unsaubere Geist von den Menschen ausgefahren ist, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht.“ Und in der modernen Übersetzung: „Wenn ein böser Geist einen Menschen verlässt, irrt er durch Wüsten und sucht nach einer Bleibe und findet keine.“
Wie Dr. Franzke zu seiner Auslegung kommt, wird vielleicht deutlich, wenn ich den ganzen Absatz Matthäus 12, 43 bis Mt. 12, 45 aus einer Predigt Jesus an zweifelnde Pharisäer zitiere, der Einfachheit halber aus der modernen Übersetzung:

Wenn ein böser Geist einen Menschen verlässt, irrt er durch Wüsten und sucht nach einer Bleibe und findet keine. Dann sagt er sich: „Ich gehe lieber wieder in meine alte Behausung!“ Er kehrt zurück und findet alles sauber und aufgeräumt. Darauf geht er hin und sucht sich sieben andere böse Geister, die noch schlimmer sind, als er selbst, und sie kommen und wohnen dort. So ist dieser Mensch am Ende schlimmer dran als am Anfang. Genauso wird es auch diesen Leuten ergehen.

„Diese Leute“ sind Pharisäer, die behaupteten, dass Jesus einen blinden und stummen Mann nur deshalb durch Austreiben böser Geister hätte heilen können, weil er die Hilfe des obersten bösen Geistes hätte.

Dr. Franzke legt also eine Bibelstelle aus, ohne den Kontext zu berücksichtigen, und um eine Praxis zu verurteilen, die meines Wissens in der ganzen Bibel nicht erwähnt, geschweigen denn verdammt, wird. Es entbehrt nicht der Ironie, dass Jesus in dieser Predigt jene aufs Korn nimmt, die in geistigen Heilungen den Teufel am Werk sehen.
Ich widme diesen Zitaten einen so breiten Raum, weil sie belegen, dass Dr. Franzkes Glaubensauffassung eindeutig fundamentalistische Züge hat.

Das zweite Problem liegt darin, dass Dr. Franzke den Begriff „esoterisch“ sehr weit fasst.

1. New-Age-Praktiken / -Techniken

a) magische und schamanische

* Diverse „Stilleübungen“ im weiteren Sinne
* Rituale (Kreis- und Kerzenrituale, rituelle Körperhaltungen)
* Entspannungs- und Atemübungen (autogenes Training, progressive Muskelentspannung)
* Visualisierungsübungen und Fantasiereisen
* Wahrnehmungsübungen / Sinnesschulungen (Sinnesparcours)
* Trommeln, Rasseln, Regenstäbe

b) fernöstliche

* Stille-Übungen i. e. S. (Gedanken-Stille)
* Meditation, Yoga, Tai Chi, Qi Gong
* Achtsamkeitsübungen
* Gleichgewichts- und Balanceübungen, Dehn- und Streckübungen
* Mandalamalen / Klangmandala
* Diverse Konzentrationsübungen
* Wahrnehmungsübungen / Sinnesschulungen

c) hypnotische

* Entspannungs- und Atemübungen, Fantasiereisen, Meditation, Yoga, Mandalamalen, Suggesstopädie/Superlearning, NLP

d) sonstige

* Kinesiologie/Brain Gym
* Pendeln, Gläserrücken
* Körperübungen, Eutonie, Feldenkrais
* Gefühlstraining
* Gruppenmassagen und Gruppendynamik
* TZI

2. New-Age-Ideologie

* Potter-Pädagogik
* Hexen-, Grusel- und Ekeltraining

3. New-Age-Programme

* Gesundheits- und Bewegungsprogramme (Bewegte Grund/Schule)
* Sucht- und Gewaltpräventionsprogramme (Klasse 2000, Lions Quest, fit und stark)
* Projekte zum sexuellen Missbrauch

4. New-Age-Konzepte

* Montessori-Pädagogik
* Waldorf-Pädagogik

Ich bin mir sicher, dass selbst überzeugte New-Ager, die alles und jedes für ihre Lehre vereinnahmen, überrascht sein würden, was alles „New Age“ sein soll.

Es ist offensichtlich der klassische Zirkelschluss von Menschen, die diffuse Ängste hegen: Wer Angst vor einer (satanischen?) esoterischen Indoktrination von Schulkinder hat, der sucht nach solchen Gefahren. Weil die offensichtlichen Gefahren auf diesem Gebiet eher dünn gesäht sind, und in keiner Weise der „gefühlten“ gewaltigen Bedrohung entsprechen, werden auch Praktiken und Lehren als gefährlich wahrgenommen, die es, nach allgemeiner Ansicht, nicht sind. Wer aber selbst „Harry Potter“ und „Projekte zum sexuellen Missbrauch“ (!) als esoterische Gefahr bzw. als „New Age“-Indoktrination ansieht, also christlich gesprochen, hinter jedem Baum den Teufel sieht, der wird umso ängstlicher werden.
Man kann probehalber einmal „New Age“ gegen die landläufigen Angstquellen „sexueller Kindesmissbrauch“ oder „Terrorismus“ austauschen – der Mechanismus ist derselbe.

Die Potter-Pädagogik ist ein pädagogisches Programm, das die Kinder für Magie, Hexerei und satanistische Praktiken (Blut- und Menschenopfer) begeistern soll.

Ganz klar, und die Benjamin-Blümchen-Hörspiele enthalten rückwärts aufgenommene satanistische Botschaften, und humanoide Reptilien vom Planeten Delta Orionis VII kontrollieren die wichtigsten Comicverlage!

Was jagt aber Dr. Franzke an esoterischen Praktiken – und dem, was er dafür hält – solche Angst ein?

Die bekannten Entspannungsverfahren sind hypnotische, medizinisch-therapeutische und quasireligiöse Praktiken. Sie werden von Magiern, bekennenden Hexen, modernen Schamanen und indischen Yogis benutzt, wenn sie mit unsichtbaren geistigen Welten und Mächten in Kontakt kommen wollen. Entspannungsverfahren, wie die progressive Muskelentspannung und das autogene Training, führen nach einiger Übung in einen Zustand der TRANCE führen, der die Tür zu unsichtbaren geistigen Welten und Mächten öffnet.

Dass ist von der Sache her erst einmal nicht falsch, abgesehen davon, dass längst nicht alle, die z. B. das Autogene Training oder die Progressive Muskel-Relaxation anwenden und lehren, wirklich glauben, dass Trance „die Tür zu unsichtbaren geistigen Welten und Mächten“ öffnen würde. Aber weiter:

Entspannungsverfahren sind quasireligiöse Praktiken, Praktiken der Kontaktaufnahme, der Kommunikation und Kooperation mit einer unsichtbaren Supermacht, der personale und quasigöttliche Eigenschaften zugesprochen werden. Entspannungsverfahren sind Praktiken der magischen Manipulation und medialen Konsultation. Man glaubt, man könne die Wirklichkeit allein mit der Kraft der Gedanken, der Worte (Suggestionen, Leitsätze, Vorsatzformeln) und /oder inneren Bilder (Visualisierungen) beeinflussen. Im Zustand der Trance wird eine Supermacht, meist Unbewusstes oder Unterbewusstsein genannt, angerufen, die helfen, beraten und führen soll.

Hier macht sich Dr. Franzke die Behauptungen einiger das Blaue von Himmel versprechender Esoteriker von der „Kraft der Gedanken“ und den „verborgenen Fähigkeiten des inneren Selbst“ usw. zu eigen – wenn auch sozusagen unter umgekehrten Vorzeichen.

Wenn diese Esoteriker wirklich das könnten, was sie behaupten, wenn alle Lehren und Praktiken, die Dr. Franzke dafür hält, wirklich esoterisch (bzw. okkult) wären, wenn außerdem hinter den esoterischen Lehren (echten und vermeintlichen) ein breit angelegtes anti-christliches Missionsprogramm stünde, wenn die tatsächlichen und hypothetischen Fähigkeiten, die durch Meditation und Ähnliches gewonnen werden können, „in Wirklichkeit“ auf dämonischer Hilfe bzw. dämonischer Besessenheit beruhen würden – dann, aber nur dann, hätten Dr. Franke und Gleichgesinnte mit ihren Ängsten tatsächlich recht.

So bleibt hingegen der Eindruck, dass hier jemand „weltanschauliche Konkurrenz“ zum Christentum aus der Schule verbannen möchte.

Die Texte im „Umweltjournal“, auf die ich mich beziehe:

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2 Kommentare
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  1. Sehr interessanter Beitrag – mir war nicht bewusst, dass die Bibel tatsächlich Meditation verbietet …

  2. Tut sie auch nicht – jedenfalls habe ich nichts in dieser Richtung in der Bibel gefunden, und ich habe sie komplett gelesen.

    Wenn Dr. Franzke meint, Meditation sei verboten, dann, weil er eine Bibelstelle auslegt bzw. zurechtinterpretiert, ohne den Kontext zu berücksichtigen.

    Es lässt sich auch aus der christlichen Tradition herleiten, dass Meditation nicht verboten sein kann. Es gibt sowohl in der katholischen wie der prostestantischen Tradition drei verschiedene Formen des Betens: Das gesprochene Gebet, das betrachtende Gebet (die Betrachtung und Verinnerlichung des Wortes Gottes, sowie von religiösen Bildern und Symbolen) und das schweigende Gebet: die Kontemplation. Betrachtendes Gebet und Kontemplation sind Formen der Meditation, die Kontemplation ist sogar ausdrücklich nichtgegenständliche Meditation – also das, was Dr. Franzkes für „biblisch verboten“ hält!
    Meines Wissens beschränken sich lediglich einige protestantisch-fundamentalistische Sekten nur auf das Wortgebet. Und genau dort sehe ich die geistigen Wurzeln der m. E. paranoiden Ansichten Dr. Franzkes.

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