„Die totale Religion“ und der Religionskrieg

16. April 2011 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Die Website „Religion und Politik“ – Exzellenzcluster an der WWU Münster ist immer wieder interessant (auch wenn Ásatrú – jedenfalls so, wie wir es verstehen – eigentlich keine Religion ist).

Religiöse Gewalt lässt sich laut Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Jan Assmann nur verhindern, wenn Religionen ihren „totalisierenden Anspruch“ aufgeben. Das sagte der Heidelberger Religionswissenschaftler am 12. April bei einem Vortrag in Münster. Die totale Religion.

Der Begriff der „totalen Religion“ bezeichnet laut Prof. Dr. Assmann keine bestimmte Religion, sondern einen „Aggregatzustand“, den verschiedene Religionen annehmen können. Im Judentum hätten ihn in früheren Jahrhunderten einzelne zelotische Gruppen proklamiert. Das Christentum habe „vor allem im Mittelalter Phasen päpstlicher Dominanz gezeigt, aber dann auch unter Oliver Cromwell eine protestantische Phase religiöser Gleichschaltung durchgemacht, und der Islamismus konfrontiert uns heute mit Erscheinungsformen der totalen Religion.“

Das Problem sei erst mit den monotheistischen Religionen aufgekommen, unterstrich der Forscher. Frühere heidnische Religionen hätten keine totalisierende Haltung gezeigt. Sie polarisierten laut Assmann nicht in Freund und Feind, Kriege führten sie aus Habgier, Rache oder Angst, aber nicht aus religiösen Gründen. „Die Idee eines Ernstfalls wie des Jüngsten Gerichts, der Apokalypse und des Martyriums war diesen Religionen fremd, und nur von der Idee eines Ernstfalls her ist das Totale im Religiösen wie im Politischen denkbar.“

Gibt es überhaupt „echte“ Religionskriege?
Die Frage, wie „religiös“ Religionskriege wirklich waren, beantwortet der Religionswissenschaftler und evangelische Theologe Hermann Aichele auf seinem Blog so:

Es wäre wichtig, hinter den Ideen die Interessen sehen: Verfügung über Geld und Ressourcen, Macht über Menschen. Diese Interessen sind immer wieder durchsetzungsfähiger als noch so edle oder hehre Ideen. Und dabei ist es gerade das Interesse von Ideenträgern, ihre mächtigeren Interessen vergessen zu machen. Also verkaufen sie auch Wirtschaftskriege als Religionskriege und verheizen Leute für freie Fahrt auf ihren Wirtschaftswegen: Deus vult? Ja, der Gott Mammon. Doch auch dort, wo nur religiöse Zeichen auf den Fahnen stehen, sollten kritischere Leute nicht gerade den Großpropagandisten ihre Gründe glauben.

Religionskriege – Interessen durchschauen
Damit wären Religionskriege nichts als „normale“ Kriege (aus Habgier, Rache oder Angst), und die Religion nichts als ein Vorwand, bzw. bloße Propaganda. Wie auch „nichtreligöse“ Ideologien als Begründung für aus ganz anderen Gründen geführte Kriege herhalten mussten. Aichele geht es darum, dass es sich Religionsgegner oft allzu leicht machen, und sich um die gesellschaftspolitische Analyse drücken.
Ich stimme dem insofern zu, dass auch für „Religionskriege“ uneingeschränkt der Ausspruch gilt:
„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“
(Clausewitz)

Ich bin jedoch der Ansicht, dass Kriege, in denen Menschen kämpfen, die einer „totale Religion“ (oder einer „totalen Ideologie“ mit quasi-religiösen Zügen) anhängen, besonders grausam sind: sie erleichtern das „Selbstopfer“ und liefern eine „moralische“ Rechtfertigung auch größter Grausamkeiten.
Allerdings müssen Religionen (oder allgemein gesprochen: Weltanschauungen) bestimmte Merkmale aufweisen, damit sie nicht nicht nur wirksam die wirklichen Interessen in einem Krieg verschleiern, sondern sogar wirksame „Waffen“ der psychologischen Kriegsführung abgeben.
„Heilige Kriege“ gab es beispielsweise auch im vorchristlichen Griechenland. Es waren allerdings Kriege zum Schutz des Apollonheiligtums in Delphi und seiner Besitzungen – also Kriege, um ein Heiligtum zu verteidigen (oder Kriege, die unter dem Vorwand geführt wurden, ein Heiligtum zu verteidigen), keine Religionskriege. Eher schon waren die Perserkriege mit Religionskriegen vergleichbar – einschließlich der Verherrlichung von Selbstmordkriegern. (Allerdings wohl erst im Nachhinein – wofür starben Leonidas und seine 300 Spartaner bei den Thermopylen wirklich? Mir erscheint es plausibel, dass sie in aussichtsloser Situation lieber starben, als lebenslang versklavt zu werden – damals das übliche Schicksal von Kriegsgefangenen – und „dabei noch ein paar Perser mitnahmen“.)
Die Kriege des Römische Reiches wurden erst im Nachhinein, von neuzeitlichen Historikern, in „heilige“ und säkulare Kriege unterteilt, und obwohl die Römer zahlreiche auf den Krieg beziehender religiöser Riten, Vorbereitungen und Vorkehrungen kannte, kannten sie offensichtlich in heidnischer Zeit keine religiös begründeten Kriege. (Allerdings sehr wohl weltanschaulich begründete Kriege.)

Um den Bogen zum Ásatrú zu schlagen: es gibt keine Belege dafür, dass z. B. Wikinger mit der Aussicht auf ein Festmahl in Walhalla laut „ODIN!“ brüllend freudig in den Tod gegangen wären. Tatsächlich deuten die Quellen darauf hin, dass gerade Wikinger sehr großen Wert darauf legten, den Kampf zu überleben – als Toter hat man nichts von der Beute, was unverhohlen im Havamal (enthalten in der „Lieder-Edda“) steht. Allerdings kämpften nur wenige so offen für ihre persönliche Bereicherung wie Wikinger. In „politischen“ Kriegen im gleichen Kulturkreis sah das durchaus anders aus.
Jedenfalls kann ziemlich sicher davon ausgegangen werden, dass die Aussicht als Einherjer nach Walhall einzuziehen, nicht das „nordisch-germanische“ Gegenstück zum unmittelbaren Eingang der Gefallenen in das Paradies (islamischer oder christlicher Bauart) war. Noch in der Völkerwanderungszeit gab es keine Hinweise auf ein besonderes Jenseits für ausgewählte Krieger, und dass die toten Helden nach Walhall kommen, ist erst im 9. Jahrhundert anzunehmen. (Gern übersehenes Detail: Odins Walküren haben nur die zweite Wahl unter den Einherjern, die besten kommen zu Freyja nach Folkwang …)

Offensichtlich ist es unwahrscheinlich, dass es Religionskriege im engeren Sinne außerhalb von monotheistischen Glaubenssystemen „funktionieren“. Was wohlgemerkt nicht daran liegt, dass Polytheisten toleranter, unfanatischer oder vernünftiger wären, als Eingottgläubige oder Atheisten .

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Assmann mit seiner Vermutung recht hat, obwohl ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass es auch nur einen Krieg in der Weltgeschichte gab, der ausschließlich oder auch nur hauptsächlich religiös motiviert war. Aus religiösem Wahn morden vielleicht Einzeltäter, nicht aber Armeen.

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