Die Sonnenwendfeierfrage

21. Juni 2018 | Von | Kategorie: Kultur & Weltbild, Ætt Feature

Einiges an der Sommersonnenwende ist sonnenklar:

Auf der Nordhalbkugel der Erde – also unter anderem in Deutschland und im restlichen Europa – ist Sommersonnenwende, und damit der kalendarische Sommeranfang, dieses Jahr am 21. Juni 2018 um 12:07 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ).
Hellig Kvinde, Bonholm, Mitsommer

Sonnenklar ist auch, dass „Midsommar“ vor allem im europäischen Norden groß gefeiert wird. Zum Beispiel in Schweden: Midsommar in Schweden. In diesem Artikel heißt es:

Die Sommersonnenwende, der längste Tag des Jahres, ist neben dem Julfest auch der Höhepunkt des germanischen Jahres.

Und das ist alles andere als „sonnenklar“. Denn: Feierten „die alten Germanen“ überhaupt ein Sonnenwendfest? Und wann war für sie eigentllich „Mittsommer“?

Die Berichte über ein „Mittsommerblót“ sind spärlich. Es gibt meines Wissen keine schriftlichen Belege für ein vorchristliches „offizielles“ Mittsommerfest, da aber laut dem Frostathingslov am Johannistag (24. Juni) private Festgelage üblich waren, ist anzunehmen, dass es vor der Christanisierung ein Fest gegeben hatte. Im „kontinentalgermanischen“ Raum ist die Quellenlage ähnlich trübe, allerdings gibt es Hinweise auf volkstümliche Feiern zu „Johannis“ (die bekannten „Johannisfeuer“ sind allerdings erst ab dem Spätmittelalter belegt) und zum „Schnitterfest“ (Beginn der Ernte des wichtigsten Getreides, je nach Region Weizen, Roggen oder Gerste).

Wie auch immer: Da es in praktisch allen bäuerliche Kulturen Sommerfeste vor der Erntezeit gibt, wäre es erstaunlich, wenn eine mit Opfern für eine gute Ernte verbundene Feier bei „den Germanen“ gefehlt hätte.
Aus praktischen Gründen ist anzunehmen, dass im Zwischenraum zwischen dem Ende der Frühjahrsarbeit und der Heumahd, der ersten Heuernte gefeiert wurde – sonst hätte es einfach nicht genügend Zeit zum Feiern gegeben. Damit fällt der Termin in den Frühsommer und ist stark vom örtlichen Klima abhängig.
Prozessionen mit grünen Zweigen und Opfer an den Quellen für eine gute Ernte sind plausibel, Mittsommerfeuer auch. Hingegen ist die schwedische „Majstång“ zum Midsommar kein „uralter Brauch“, sondern stammt, wie schon der Name verrät, vom deutschen Maibaum ab. (Ob der auf heidnische Vorbilder zurückgeht, ist umstritten.)

Der naheliegende Termin für ein „Sonnenwendfest“ zum astronomischen Datum ist für eine Kultur, deren Feste sich nicht nach einem Sonnenkalender richten, weniger naheliegend als für uns. Der heutige (gregorianische) Sonnenkalender geht auf den römische Sonnenkalender zurück, und zwar in seiner von Gaius Julius Caesar reformierten Form („julianischer Kalender“). Der besagte Herr Ceasar ist auch unmittelbar dafür verantwortlich, dass dieser Kalender nördlich der Alpen gebräuchlich wurde („Gallischer Krieg“). Sowohl die Kelten („Gallier“) wie die ihnen benachbarten nicht-keltischen Völker beiderseits des Rheins, heute als „Germanen“ bekannt, benutzten hingegen Lunisolarkalender. (Nebenbei: die Idee, der Rhein sei eine „Völkerscheide“ gewesen, säuberlich getrennt linkes Rheinufer Gallier, rechtes Rheinufer Germanen, geht auch auf Caesar zurück. Es gab „germanisch“ sprechende Stämme links des Rheins, und weite Teile des heutigen rechtsrheinischen Deutschlands wurden zu Caesars Tagen von kulturell eindeutig „keltischen“ Völkerschaften bewohnt. Wobei die Kombination „keltische Sachkultur, germanische Sprache“ oder auch hin und wieder umgekehrt, keineswegs eine exotische Ausnahme war. Buntes Kuddelmuddel statt „natürlicher Grenzen“. Wie eigentlich überall.)

Das Problem ist wieder einmal, dass es „die Germanen“ nie gegeben hat. Unter den Völkern und Stämmen, die wir heute pauschal „gemanisch“ nennen, gab es erhebliche kulturelle Unterschiede. Es wurden, bevor nach der Christanisierung der julianische Kalender allgemein üblich wurde, zahlreiche im Detail unterschiedliche Lunisolarkalender gebraucht.

In einem rekonstruierten „altgermanischen“ Kalender wird z. B. im Sommer, zwischen dem siebten und achten Monat, ein Schaltmonat eingefügt, wenn in den zwölf Rauhnächten nach der Wintersonnenwende ein Neumond zu beobachten ist. Die wichtigsten Feiertage sind hier in der Regel Vollmondfeste, die Monate werden von Neumond zu Neumond berechnet.
Der bei Beda Venerabilis überlieferte angelsächsische Kalender entspricht noch diesem System, während die von Are Thorgilsson überlieferten isländischen Monate von Vollmond zu Vollmond rechneten.
Allerdings hatten die rheinwesergermanischen Franken und einige elbgermanischen Stämme schon vor der Christianisierung den römischen Kalender übernommen.

Für Mittsommer, z. B. für das altisländische Sumarblót oder Miðsumarsblót, ergeben sich zwei mögliche Termine, die sich beide auf Überlieferungen stützen. Der eine ist der astronomische Sonnenwendetermin um den 21. Juni, der andere liegt in der Mitte des lunaren Sommerzeitraumes, zum Vollmond des siebten Monats. Manchmal wird dieser Termin auch „altes Mittsommer“ genannt, weil nach dem „alten Kalender“ berechnet. Die Bezeichnung „alt“ bedeutet aber nicht, dass „die alten Germanen“ allesamt zu diesem Termin ein „Mittsommerfest“ hatten.

2018 ist der „alte Mittsommer“ übrigens am 27. Juli. Damit findet der Allthing der „Nornirs Ætt“ dieser Jahr pünktlich zum diesem Termin statt.

Am 1. August, also schon dem Sonnenkalender angepasst, findet das angelsächsisches Fest der Weizenernte statt, bekannt als „Hlāfmæsse“ oder Lammas („Laib-Fest“), anderswo „Schnitterfest“ genannt.

Es spricht im Grunde nichts gegen die Annahme, es hätte zwei Opferfeste gegeben, eines Ende Juni, zum Sonnenwendtermin, und eines zur Beginn der Getreideernte. Allerdings rücken in hohen Norden, vor allem im rauen Klima Islands, die beiden Termine so nahe zusammen, dass ein Miðsumarsblót zum Julimond plausibel ist.

Martin Marheinecke, 21. Juni 2018

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2 Kommentare
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  1. Was das Mittsommerfest nicht ein Fruchtbarkeitsfest, an dem dich die Menschen bevorzugt gepaart haben, um die Geburten auf den Frühling zu bringen? Wir hatten das Mal in der Schule, aber ich habe das meiste schon wieder vergessen.

  2. Diese Deutung ist mir vor allem im Zusammenhang mit dem Maifest / Beltane bekannt. Sie ist meines Wissens unter Volkskundlern und Historikern umstritten. Ich persönlich halte sie für reine Spekulation. „Sex nach Kalender“ kenne ich eher aus „Menschenzucht“-Phantasien als aus dem realen Leben; schon Verhütung nach Knaus-Ogino („Kalendermethode“) erfordert enorme Disziplin und Selbstbeherrschung. Außerdem dürfte sich ein auf einen Tag bzw. eine Nacht beschränktes „Vögelfest“ kaum auf die Geburtenrate auswirken (es sei denn, die Menschen üben ansonsten sexuelle Enthaltsamkeit).

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