Die Grenzen der Abgrenzung

11. Juni 2013 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Klar: Von Rassisten, Schwulenhassern, Antisemiten, Frauenfeinden, Moslemfressern, und anderen „gruppenbezogenen Menschenfeinden“ muss man sich abgrenzen.
Damit ist auch klar: auch gegen jene, die ich in Ermangelung eines besseren Begriffs „Rechtsextremisten“ nenne – „Faschisten“ passt nicht ganz auf alle „extrem Rechte“ (wenn auch für die meisten), „Nazis“ erst recht nicht – ist Abgrenzung angesagt. Denn „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ ist für diese Leute typisch!

Schon die Unschärfe der Begriffe „Rechtsextremist“ bzw. „Faschist“ zeigt aber, dass es nicht so einfach ist, eine klare Grenze zwecks Abgrenzung zu ziehen. Weshalb gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit selbst – und nicht die Frage nach „rechts“, „links“, „mittig“ – Abgrenzungs-Kriterium sein sollte. Quasi als humanistische Variante der Gretchenfrage: „Wie hältst du es mit den Menschenrechten?“
In der Praxis ist allerdings auch das nicht ganz einfach.

Ein Abgrenzungsproblem, das mir eingetümlich bekannt vorkommt, fand ich auf dem skeptizistischen Blog Evidenz-basierte Ansichten in Harald Stückers Artikel: Politisch korrekt und moralisch orientierungslos. Es geht dabei um die säkuläre Szene, zu der die Nornirs Ætt – trotz einiger gemeinsamen Haltungen und Ziele – als „irgendwie religiöse“ und „irgendwie esoterische“ Gruppe bestimmt nicht gehört. Trotzdem sind mir Denkstrukturen wie sie Stücker beschreib sattsam bekannt:

Seit einiger Zeit wird in der MIZ und auf anderen Kanälen über die rechten Tendenzen in der säkularen Szene debattiert. Dabei geht es jedoch nicht darum, inwiefern die Etiketten „rechts“ und „links“ relevante Kategorien bezeichnen, wenn es um die Trennung von Staat und Religion geht, sondern wie man sich am besten von den rechten, den „falschen Freunden“ distanzieren kann. Prämisse des Artikels von Malte Jessl ist also, dass jemand, dem Rechte zustimmen können, etwas falsch machen muss. Die Welt ist also weiß oder schwarz, links oder rechts.

Jessl kritisiert vor allem die Giordano Bruno Stiftung, weil sie zu wenig darauf achte, ob ihre Positionen auch Rechte gut finden können. Die gbs ist allerdings keine politische Partei, sondern nennt sich selbst „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“. Sie hat daher keine direkten und klar definierten politischen Gegner außer der organisierten Religion und Esoterik und denjenigen politischen Kräften, die sich für den starken Einfluss von Religion und Esoterik einsetzen. Das waren historisch vor allem rechte Kräfte, aber diese Zeiten des seligen, weil übersichtlichen Lagerkampfs sind schon lange Geschichte. Heute sitzen die Kirchenfunktionäre in allen Parteispitzen, auch in denen der SPD und der Grünen.

Die Prämisse, dass jemand, dem Rechte zustimmen können, etwas falsch machen muss, macht auch uns Anhängern eines „völlig durchgeknallten Germanenkults“ (wie ein gbs-Mitglied Ásatrú charakterisierte) zu schaffen.

Zum Beispiel wurde vor einigen Jahren in einem Blog, dessen Namen und Betreiber ich aus Gründen der Fairness nicht nenne, die „Nornirs Ætt“ in die Nähe der erz-rassistischen „Artgemeinschaft“ und des damals noch lebenden „Nazitrus“ und Neonazi-Multifunktionärs Jürgen Rieger gerückt:

[…]Der esoterische Bereich präsentiert sich ähnlich. Ein typischer Blog mit germanischem Gesabber (…den auch Herr Rieger mögen müsste) ist „Nornirs Aett – Asatru zum selber Denken“ (immerhin wird in diesem Blog also zum Selberdenken aufgerufen…ist auch wirklich nötig!). Auch hier geht es um „germanische“ Themen aus „Asatru-Sicht“.[…]

Ich nahm seinerzeit mit dem Autoren dieses Blogs Kontakt auf, und ich konnte ihn überzeugen, dass Herr Rieger die Nornirs Ætt keineswegs gemocht haben dürfte.

Denkt man die Prämisse „wer Zustimmung von rechts bekommen könnte, macht etwas falsch“ in Richtung „Abgrenzung gegen Rechts“ ein wenig weiter, dann sind Ratschläge wie „Coole Kids tragen keinen Thorshammer“ nur folgerichtig: „Alles meiden, was die kackbraunen Kameraden knorke finden könnten“ wird dann als einzig korrekte Möglichkeit wahrgenommen, sich klar gegen „rechts“ abgrenzen zu können.

Ein anderes Beispiel: Der “Julfest”-Begriff im Sinne skandinavischer Lebensart ist weit verbreitet und positiv besetzt. Das führe zur „Erosion der Abgrenzung“. So etwas würde eine saubere Abgrenzung und Stellungnahme gegen das “Julfest” im nationalsozialistischen Sinne erschweren. Mehr noch, die stark angestiegene, aber vielfach unkritische Verwendung des Begriffes “Julfest” im alltäglichen Sprachgebrauch wäre ein Beispiel für die Besetzung und Umwertung von Schlüsselbegriffen (”kulturelle Hegemonie”).
Zugespitzt gesagt wären Julbock und Julkerzen von IKEA Risse im Anti-Nazi-Deich, durch die die braune Flut in deutsche Wohnzimmer einsickert.

Ansatzweise erkenne ich diese Form der „Abgrenzung gegen Rechts“ auch bei der an sich wichtigen und guten Ausstellung „Graben für Germanien“ (hierzu: Gefährliche Playmobil-Wikinger?).

Stücker ist der Ansicht, dass „PC-Tabuisierungen und -Sprachcodes“ (darauf reduziert sich „Political Correctness“ im allgemeinen Sprachgebrauch) eine Form der Meinungspflege innerhalb einer Gruppe sei, sie diene zur Abgrenzung von der jeweiligen „Outgroup“. Sie wäre die moderne Variante eines uralten Reflexes, nämlich dem, sich der Solidarität der eigenen Gruppe zu vergewissern.

Die Empörung über politisch nicht korrektes Verhalten ist ein Ritus der Selbstreinigung. Ein Sündenbock wird in die Wüste geschickt. Es ist ein geradezu paradigmatisch religiöses Stratagem. Eine „Szene“, die sich selbst „säkular“ nennt, sollte darüber einmal nachdenken.

Übertragen auf Thorshammer-Schmuck, Spielzeugwikinger und Jul im IKEA-Stil: Wer so etwas vehement verdammt, der vergewissert sich zu den „Guten“ zu gehören.
Außerdem ist „Null-Toleranz“ gegen alles, was auch nur entfernt nach „völkischem Germanenmythos“ aussehen könnte, herrlich bequem: wenn nur alle „Anständigen“ alles „Germanen“ Zugeschriebene sorgsam meiden würden, dann würden sich Anhänger völkischer Ideologie unweigerlich verraten, sobald sie nur den Mund aufmachen.

Das „Schnittmengenproblem“, das Jesl anspricht, ist real – Sozialdarwinisten finden evolutionäre Begründungen menschlichen Verhaltens toll, so wie völkische Rassisten von den vorchristlichen Religionen Europas fasziniert sind – es passt eben zu ihrem Weltbild. Trotzdem gehört eine stark dualistische, geradezu binäre Schwarz/Weiß-Ja/Nein-Logik dazu, daraus abzuleiten, die Biologie müsse gefälligst als für die Beantwortung menschlicher Sinnfragen als nicht relevant betrachtet werden, weil alles andere ja Biologismus sei, und Biologismus sei nunmal „rechts“, sprich „böse“.

Wir leben nun mal nicht in einem Märchenland, in dem nur die Guten schön sind, und auch in keiner Welt, in der sich anhand weniger, klarer Kriterien erkennen ließe, wie es jemand mit den Menschenrechten hält.

„Falsche Freunde“ zu erkennen ist daher ein mühsames Geschäft. Es kommt nämlich auf Interessen, Haltungen, Ziele und letzten Endes Taten an. An einzelnen Worten lassen sie nicht erkennen, genausowenig wie an Schmuck, Frisur, Kleidungsstil usw..

Abgrenzung kann wichtig sein. Sie markiert das soziale Hausrecht einer Gemeinschaft: „Bis hierhin und nicht weiter!“, „Rassenquassler unerwünscht!“ „Noch so ein Spruch über Lesben, und du fliegst raus!“ usw. ect. pp..
Sie hat aber ihre Grenzen, und zwar da, wo sie nur noch der „sozialen Fellpflege unter felllosen Affen“ dient. Eine andere Grenze ist dann überschritten, wenn Abgrenzung nach dem Schema „Schublade auf und rein mit dir“ funktioniert.
Schlimmstenfalls dient die Abgrenzung der Feindbildpflege.

Um nicht mit Nazis, völkischen Germanentümlern, Ariosophen usw. verwechselt zu werden, und um „klare Kante“ gegen Rassisten, Schwulenhassern, Antisemiten, Frauenfeinde, Moslemfresser, und anderen „gruppenbezogenen Menschenfeinde“ zu zeigen, reicht es nach meiner Ansicht und Erfahrung nach meistens aus, die eigene, menschenrechtsorienierte und demokratische Position klar herauszuarbeiten. Das ist allemal wirksamer und nebenwirkungsärmer als Sprachregelungen, Symbolverbote oder wortreiche Distanzierungen!

Martin Marheinecke, Juni 2013

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2 Kommentare
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  1. Danke für diesen Artikel. Wohne weit oben im Norden wo man gern Fellpflege unter felllosen Affen betreibt, wer nicht ist wie wir, der kann einfach kein „vollwertiger Mensch“ sein. Wir sind eine Insel und die akzeptiert nur eine Sprache. Diese Einstellung ist leider weit verbreitet. Grüsse aus Island.

  2. Das ist generell keine gute Methode gegen „Rechtsextremismus“ vorzugehen …

    Gerade bürgerliche Kreise neigen dazu, den Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vor allem als Abgrenzungsproblem zu sehen. Und das führt auch dazu, dass sie mit mehrheitsgesellschaftlichen Rassismus nicht umgehen können. Weil Rechtsextremismen eben vor allem Ideologien und Ansichten sind, die auch von Leuten vertreten werden können, die ganz klar zur „In-Group“ gehören.

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