Der völkische General und die Novemberrevolution (2)

6. November 2018 | Von | Kategorie: Odins Auge Artikel

„Plan B“ – „Revolution von oben“

Eine mögliche Lösung, um die sich abzeichnenden Niederlage möglichst glimpflich für das Deutsche Reich ausgehen zu lassen, fand der Chef des Auswärtige Amtes, Staatssekretär Paul von Hintze. Der erfahrene und erfolgreiche Diplomat erkannte, dass nur eine Regierung auf breiter demokratischer Grundlage alle Kräfte zusammenfassen und eine glaubwürdige Friedensaktion einleiten könne. Auch er fürchtete eine Revolution nach „bolschewistischem Vorbild“, eine Gefahr, die er durch umfassende Reformen bannen wollte.
Im September 1918 schätzte Ludendorff die militärische Lage als aussichtslos ein, fürchtete einen völligen Zusammenbruch der Front und hielt einen extrem harten Waffenstillstand, der auf eine Kapitulation herauslief, für unausweichlich.
Die gängigste Erklärung für seinen plötzliche Pessimismus ist, dass er mit den Nerven fertig gewesen wäre. Ludendorff wirkte mutlos und verzweifelt. Nach heutigen Begriffen hatte er wohl eine Erschöpfungsdepression, die gern als „Burn Out“ umschrieben wird.
Andererseits wäre Ludendorf nicht Ludendorff gewesen, wenn er nicht einen „Plan B“ für die von ihm befürchtete totale Niederlage gehabt hätte. Am 18. September formulierte er Pläne für eine „Revolution von oben“, die Hintzes Ideen ähnelten. Der OHL-Stabschef behauptete, der Krieg wäre nicht mehr zu gewinnen, da die Armee „schon schwer durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen verseucht“ sei. Damit das geschlagene Heer den „revolutionären Bazillus nicht nach Deutschland trage“, müsse man Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten aufzunehmen. Dabei sollte alles vermieden werden, was dem Waffenstillstandsersuchen auch nur den Anschein einer Kapitulation verliehe. Wie Hintze riet er, die Regierung auf eine parlamentarische Basis zu stellen. Allerdings ging es dem skrupellosen Machtpolitiker, anders als dem Diplomaten Hintze, nicht darum, mit Hilfe von Reformen die Alliierten an den Verhandlungstisch zu bekommen. Der Mann, der schon keine Skrupel gehabt hatte, den extrem linken Bolschewiki den Weg zur Macht in Russland zu erleichtern, verfolgte andere Pläne: Es würden die von ihm verhassten demokratischen Politiker sein, die kapitulierten. Die „Ehre des Militärs“ bliebe unangetastet. Zivile, insbesondere sozialdemokratische Politiker würden einen unvorteilhaften Frieden schließen, weil sie nach Lage der Dinge gar nicht anders konnten. Denn es gab nach einem Waffenstillstandsgesuchen kein Zurück mehr: Der Gegner wusste dann mit Sicherheit, was sie vorher nur vermuten konnte: die deutsche Armee war am Ende.
Dass es in Wirklichkeit die Oberste Heeresleitung gewesen war, die den Krieg verloren gegeben hatte, war nicht allgemein bekannt. Das war der Keim für die später von Ludendorff und Hindenburg verbreitete „Dolchstoßlegende“ – der Lüge, dass die deutsche Armee „im Felde unbesiegt“ sei, und dass verräterische Zivilisten die hart kämpfenden Truppen von hinten erdolcht hätten.

Erich Ludendorf in seinem Arbeitszimmer

Generalquartiermeister Ludendorff in seinem Arbeitszimmer im Großen Hauptquartier

Von Baden und Ebert schlucken den vergifteten Köder

Am 29. September 1918 forderte Ludendorff schließlich den Reichskanzler auf, innerhalb von 48 Stunden ein Waffenstillstandsgesuch an die Westmächte zu richten. Die amtierende Regierung war dazu nicht bereit. Auf Ludendorffs Rat ernannte der Kaiser dann den liberalen Prinzen Maximilian von Baden zum Reichskanzler. Das ging einher mit den vollen Parlamentarisierung der Regierung, die Reichstagsmehrheit hatte die ganze Macht. Davon hatten demokratisch gesonnene Politiker kurz zuvor nicht einmal zu träumen gewagt. Allerdings blieben sie nicht ohne Grund misstrauisch.
Die überraschte Öffentlichkeit erfuhr am 1. Oktober von der OHL, dass der Krieg verloren wäre, und dass die neue Regierung sofort ein Waffenstillstandsgesuch an die Alliierten richten müsse. Die Regierung sträubte sich, aber letzten Endes hatte sie kaum eine andere Wahl als den vergifteten Köder zu schlucken. Sie wären beim der kriegsmüden Bevölkerung unten durch gewesen, wenn die Chance auf Demokratie und Frieden lapidar zurückgewiesen hätten. Die immerhin mögliche Alternative zu „Revolution von oben“, eine echte Revolution, kam für die meisten Politiker der „Mitte“ und der „gemäßigten Linken“ nicht in Frage. Die Angst, es könnte so kommen wie in Russland ein Jahr zuvor, die Angst vor Chaos und Bürgerkrieg, aber auch die Angst vor einem Einmarsch der Alliierten ins gelähmte Reich hinderten sie daran. Bis weit in die „linke Mitte“ und das Kleinbürgertum hinein kam die Angst vor dem Verlust von Eigentum und Privilegien hinzu. Außerdem herrschte allgemein, auch und gerade in der Massenpartei SPD, ein autoritäres Politikverständnis vor. Vor der „Macht der Straße“ hatte sogar der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert Angst, obwohl diese Macht auf seiner Seite gewesen wäre. Philipp Scheidemann, außenpolitischer Sprecher der SPD und ihr zweiter Mann, warnte ihn vergeblich davor, in das „bankrotte Unternehmen“ einzutreten.

Der „Interfraktionelle Ausschuss“ aus SPD, Zentrum (katholisch, gemäßigt konservativ) und Fortschrittspartei (liberal) wurde in die neu gebildete Regierung eingebunden. Zur Regierung gehörten die SPD-Politiker Gustav Bauer (Arbeitsressort) und der widerstrebende Philipp Scheidemann als Staatssekretär ohne Geschäftsbereich. Der von alliierter Seite als Friedensbedingung geforderte Übergang zur parlamentarischen Demokratie wäre nach außen hin perfekt gewesen. Nach innen hin wäre die Machtstellung des Militärs und der das Militär unterstützenden Industriellen weitgehend intakt geblieben, ebenso die meisten Privilegien des Adels.

Prinz Max von Baden soll aus allen Wolken gefallen sein, als er erfuhr, was man ihm zumutete. Es zeigte sich, dass der überhebliche Ludendorff ihn unterschätzt hatte. Einige Tage kämpfte der Kanzler gegen das von ihm verlangte Waffenstillstandsgesuch an und beharrte darauf, dass es gefälligst vom militärischen Oberbefehlshaber gestellt werden müsse. Er schaffte es immerhin, das es erst am 4. November, und nicht, wie die OHL verlangt hatte, am 1. November hinausging. In allen Differenzen mit dem Reichskanzler unterlag Ludendorff. Auch von andere Seite bekam er ungewohnten Gegenwind: General von der Schulenburg setzte Ludendorff mit der Tatsache unter Druck, dass es ja der Quasi-Diktator selbst gewesen war, der de facto das deutsche Waffenstillstandsgesuch eingeleitet hatte.
Für die an sich sensationelle Tatsache, dass das deutsche Kaiserreich nun endlich eine parlamentarische Demokratie geworden war, hatte die Bevölkerung wenig Sinn. Die Kampfhandlungen gingen auch nach dem Waffenstillstandsersuchen weiter.

Die Marine torpediert die Waffenstillstandsverhandlungen – buchstäblich!

Für die anstehenden Verhandlungen verheerend wirkte die Versenkung des Fährschiffs RMS Leinster durch das deutsche U-Boot UB-123 am 10. Oktober 1918 in der Irischen See. Nach dem Tod von über 500 Passagieren, darunter vielen Zivilisten, fühlte sich der bis dahin mäßigend wirkenden US-Präsident Wilson von den Deutschen getäuscht und verschärfte seine Bedingungen. Eine Notiz des Außenministers im Kabinett Baden, Wilhelm Solf, legt nahe, dass es sich um eine von der Marineführung beabsichtigte Provokation gehandelt haben könnte, um den Waffenstillstand buchstäblich zu torpedieren. (Solf notierte am 17. Oktober 1918: „Ich habe aus guter Quelle gehört, dass ungefähr vor 14 Tagen ein Befehl zur Verschärfung des U-Boot-Krieges an die Marine ergangen sei!“) Vor den Hintergrund der Erfahrung, dass man den „Krauts“ nicht trauen könne, ist auch verständlich, wieso die britische Seeblockade auch nach dem Ende des U-Boot-Krieges unvermindert bestehen blieb.
Es wurden den ganzen Oktober hindurch 17-jährige zum Kriegsdienst eingezogen, die Lebensmittelrationen wurden weiter gekürzt. Max von Baden galt den Monarchisten als „Verräter“, während für die Linken ein Prinz als Kanzler nicht gerade nach Demokratie aussah.

Ludendorffs Kehrtwende

Am 23. Oktober verlangte der auf alliierter Seite federführende US-Präsident Wilson in seiner dritten Note über den bisher vereinbarten Rückzug der deutschen Heere aus den besetzten Gebieten sowie die Einstellung des U-Boot-Krieges hinaus die Abdankung des Kaisers und Maßnahmen, die eine deutsche Wiederaufnahme der Kampfhandlungen unmöglich machen sollten, wie die Auslieferung eines großen Teils der schweren Waffen und der kampfstärksten Kriegsschiffe.
Ludendorff war zu einer weitgehende Entwaffnung, die die Machtstellung des Militärs nachhaltig geschwächt hätte, nicht bereit. Als er einen Waffenstillstand gefordert hatte, schien der „geniale Feldherr“ die politischen und militärischen Konsequenzen seiner Entscheidung auch nicht im Ansatz mitbedacht zu haben. Außerdem sah er, anders als Ende September, die Lage an der Westfront als nicht mehr ganz so hoffnungslos an. In Frankreich tobte schon seit Wochen die zweite Welle der „Spanischen Grippe“, vor allem unter den eng zusammengedrängt lebenden Soldaten. Die deutschen Soldaten waren vorerst noch weitgehend gesund. (Fast so schnell wie die Grippeviren verbreitet sich auf westlicher Seite das Verschwörungsgerücht, die verheerende Grippe sei eine biologische Waffe der Deutschen. Es gibt „Verschwörungstheretiker“, die das bis heute glauben und verbreiten.)
Ludendorf forderte in eklatantem Widerspruch zu seiner bisherigen Forderung den „Widerstand mit äußersten Kräften“ und plante sogar neue Offensiven an den Westfront.

Es ist allerdings dem Machiavellisten und leidenschaftlichen Intriganten Ludendorff ohne weiteres zuzutrauen, dass er sehr wohl die politischen und militärischen Konsequenzen eines Waffenstillstandsgesuches eingeplant hatte. Dann wäre eine neue Offensive an der Westfront der zweite Teil eines Planes gewesen, die Demokratie zu diskreditieren: Hier die harten, für einen „ehrenvollen Frieden“ kämpfenden Militärs, dort die „wachsweichen Schwätzer“, die, kaum an der Macht, bereit waren, das Vaterland aus Feigheit zu verraten.

Die Regierung reagierte alles andere als „wachsweich“ und lies das nicht mit sich machen. Am 26. Oktober 1918 stellte Max von Baden dem Kaiser ein Ultimatum: Entweder Ludendorff würde sofort entlassen, oder er, der Reichskanzler, würde zurücktreten. Wilhelm II., der Ludendorff ohnehin nicht gerade sympathisch fand, ging darauf ein. Pro forma „auf eigenen Wunsch“ ersuchte der bis dahin mächtigste Mann Deutschlands um seine Entlassung.
Sein Nachfolger als Stabschef der OHL, General Wilhelm Groener, erkannte den Vorrang der Regierung über das Militär an.

Nach der Entmachtung zerbrach auch das Bündnis mit Hindenburg („Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu tun!“, Ludendorff nach seiner Entlassung zu Hindenburg.) Allerdings hatten Ludendorffs Offensivpläne Folgen, die der hinterlistige völkische General bestimmt nicht beabsichtigt hatte.

Teil 3: Die Revolution kommt von der See

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