Demnächst Gesetz: Aus den Augen, aus dem Sinn

26. März 2009 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Wie leider nicht anders zu erwarten war, handeln unsere Politiker tatsächlich so, wie hier im Gjallarhorn vorhergesagt: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Was die Bundesregierung, allen voran die erschreckend naiv wirkende Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, jetzt beschlossen hat, und was demnächst wahrscheinlich Gesetz sein wird, nämlich Sperrlisten für Kinderporno-Internetseiten, ist bestenfalls (!) Symbolpolitik in Wahlkampfzeiten.

Die Kinderschutzorganisation CareChild e.V. machte einen kleinen Versuch mit der bekannt gewordenen dänischen Sperrliste. Die Provider haben die Inhalte größtenteils innerhalb von Stunden vom Server genommen. Es musste ihnen nur einmal jemand Bescheid sagen. Seltsam nur, dass die Dänen (eines von Frau von der Leyens leuchtenden Vorbildern) mit großen Aufwand Sperrlisten anlegten, anstatt, was im Sinne der Prävention und der Strafverfolgung effektiver wäre, direkt die Provider anzusprechen. Internetzensur: CareChild-Versuch blamiert Deutsche Politiker.

Die Dokumentation zu dem Versuch, mit ausführlichen Ergebnissen, kann hier heruntergeladen werden (pdf): CareChild-Versuch: Bekämpfung kinderpornographischer Internetseiten.

Zu den sinnvollen Maßnahmen zählt CareChild unter anderem eine bessere personelle Ausstattung der anlassunabhängig ermittelnden Strafverfolger und die Befugnis für die Ermittler, in geringem Umfang Straftaten begehen zu dürfen.

Derzeit sehen sich viele Strafverfolgungsbehörden einer Flut von Bagatellverfahren wegen Kinderpornografie ausgesetzt, in denen es teilweise um einzelne Bilder in den temporär gespeicherten Internetdateien geht. Dies kann am Problem nichts ändern und belastet Ressourcen, die effektiver eingesetzt werden müssen.

Für eine Hausdurchsuchung beim Domaininhaber von wikileaks.de sind aber Ressourcen da – auf wikilieak waren die „geheimen“ skandinavischen Zensurlisten veröffentlicht worden.

Bemerkenswert übrigens, dass der Regierungsbeschluss zum Web-Sperrgesetz auch „dank“ einiger kühner Behauptungen (ich möchte noch nicht von Lügen sprechen, denn wahrscheinlich glaubt Frau von der Leyen tatsächlich das, was sie sagt): angeblich verdienen die Betreiber kinderpornografischer Seiten „monatlich Millionenbeträge“. Die überzeugende Widerlegung dieser Behauptung: Die Legende von der Kinderpornoindustrie (law blog).

Auch die Behauptung der Ministerin, allein im Jahr 2007 habe sich die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet laut polizeilicher Kriminalstatistik mit einem Zuwachs um 111 Prozent „mehr als verdoppelt“ ist falsch, wenn man sich einmal diese Statistik (einsehbar auf der Website der BKA) ansieht: Polizeiliche Kriminalstatistik 2007

Im Jahr 2006 wurden 124 „Kinderpornografische Schriften“ (fast immer Fotos oder Videos) nach § 184b Abs. 3 StGB (gewerbsmäßig) und und 2.773 nach Abs. 1 (nicht gewerbsmäßig) erfasst, zusammen 2897.
2007 waren es 347 bzw. 2.525, zusammen 2872. Damit ist die Gesamtzahl beinahe konstant.
Eine erfreuliche Nachricht: Die Aufklärungsquote ist von 62,1 % auf 82,7 % für Kinderpornographie nach Abs. 3 und von 73,0 % auf 75,3 % für Abs. 1 gestiegen.
Laut netzpolitik.org könnte eine Pressemitteilung des BKA die Grundlage der Behauptung sein. Nur spricht das BKA von Besitzverschaffung (also Konsumenten – wohl einschließlich der von CareChild genannten Bagatellfälle), während von der Leyens Ministerium von Verbreitung spricht.

Wie wäre es zur Abwechslung mal damit, die Kinderpornographie wirklich zu bekämpfen? Wie das ginge, weiß man nicht nur bei Hilfsvereinen wie CareChild, sondern auch bei der Polizei.

Wie wäre es auch damit, sich mal mit den wirklichen Problemen der Kinder zu befassen: mit Kinderarmut, mit schlechten Schulen, mit fehlenden und mangelhaften Kitas, mit überforderten Eltern und Lehrern?

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2 Kommentare
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  1. Mal wieder reiner Aktionismus. Und vor allem durchschaubar. Da werden Freiheitsrechte weiter eingeschränkt, die Vertreter der Junta verkaufen das Umgestalten des „Rechtsstaates“ in einen rechten Überwachungs-Staat als Schutz vor KiPo, Killerspielen, „Extremismus“ (was für die CDU ja eh nur linke und alternative Weltvorstellungen sind) etc. Und schaffen chinesische Verhältnisse. Das klingt nach Satire. Leider ist es keine.

    Wenn Frau von der Leyen(haft) in ihrer christlich-konservativen Art und Weise „Denkt doch einer an die Kinder!“ (im übrigen der Lieblingssatz der Frau von Reverend Lovejoy, dem Pastor der Simpsons…) prokalmiert kann man aufgrund der schon technischen Unkenntnisse der Junta-Entscheider wie Schäuble-Stasi2.0, Frau von der Leyen(haft) und Junta-Justiziarin Zypries sich schon denken daß es um das Problem und Verbrechen KiPo gar nicht geht. Ist dieselbe Schiene wie bei „Killerspielen“. Warum das wahre Problem von organisierter Kriminalität und/oder Armut beseitigen wie bei der KiPo? Warum das Problem schließender Jugendzentren, verarmenden Sportvereinen und anderen Elementen der Jugendarbeit angehen statt Killerspiele zu verbieten?

    Ist doch alles viel zu teuer und Arbeit. Also schaffen wir uns einen Sündenbock und treiben ihn in die Wüste. Damit ist man dann erstmal entlastet von wegen „Aber wir haben doch alles getan“. Das dabei chinesische Verhältnisse entstehen, das Meinungsfreiheit, Bürgerrechte und weiteres noch weiter eingeschränkt sind ist dabei zweitrangig.

    Und vor allem: Die wahren Täter kann sowas nicht abhalten. TOR und andere Proxies als Beispiel zB für die Sperrliste. Für Vorratsdatenspeicherung etc ebenso. Und wenns sogar um das alberne Argument des Terrorismus geht: Ein guter Terrorist wird in der Lage sein seine Kommunikation und seine Daten so zu verschlüsseln daß kein Cop dahinter kommen wird. Ein auf einem USB-Stick bootbares BSD oder Solaris, 1024bit verschlüsselt zB, da kommt der durchschnittliche Cop nicht mit klar…

  2. Danke für den Kommentar!

    In einige Punkten bin ich allerdings anderer Ansicht:
    “Extremismus” (was für die CDU ja eh nur linke und alternative Weltvorstellungen sind)“

    Nun, die CDU / CSU hat schon vor langer Zeit den Rechtsextremismus entdeckt – und zwar nicht nur, wie man vielleicht meinen könnte, als Bedrohung des Wählerpotientials am „rechten Rand“. Aktionen gegen Neonazis sind, vor allem, wenn sie sich auf Lichterketten und ähnliche symbolische Handlungen beschränken, konsensfähig. Wenn Politiker vor „Extremismus von rechts und links“ warnen, dann ist die Gleichsetzung schon wegen der breiten Blutspur des Rechtsextremismus (im Vergleich selbst zum „linken“ Terror der 1970er Jahre) bedenklich – aber meistens wohl subjektiv ehrlich gemeint. Übersehen werden dabei leider demokratiefeindliche Bestrebungen aus der „Mitte der Gesellschaft“, einschließlich der etablierten politischen Parteien.

    „… denken daß es um das Problem und Verbrechen KiPo gar nicht geht.“
    Es geht wohl schon um das Verbrechen – und darüber, wie es sich möglich schnell & billig in Popularität umsetzen lässt. Es mag den einen oder anderen Politiker mit Hintergedanken geben, aber ich vermute, so weit denkt Frau von der Leyen gar nicht. Sie ist m. E. blind vor Empörung und Paranoia, so wie es die Frau von Reverend Lovejoy in den Simpson auch ist. Ich sehe nicht überall Demokratiefeinde am Werk.

    „Die wahren Täter kann sowas nicht abhalten.“ Richtig. Und sogar Frau von der Leyen weiß das. Sie setzt darauf, „irgendetwas“ zu tun, und zwar etwas, das der surfende Bürger auch mitbekommt – Stoppseiten z. B.. Eine personelle Aufstockung der zuständigen Polizeidienststellen würde 1. in die Kompetenz der Länder fallen, 2. Geld kosten und 3. vom wählenden Bürger und den Medien kaum wahrgenommen werden.

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