Bücherverbrennungen haben Parallelen in der Gegenwart

10. Mai 2013 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Der Historiker Wolfgang Benz sieht durchaus Parallelen zur Gegenwart, wenn er über die Bücherverbrennungen der Nazis vor 80 Jahren spricht.

Benz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, sagte im Deutschlandradio Kultur, auch heute noch würden Gedanken und Geist unterdrückt und vernichtet. So komme ein iranischer Filmemacher mit der Justiz in Konflikt, weil er einen Preis bei der Berlinale erhalten habe, oder einem türkischen Pianisten werde wegen kritischer Bemerkungen der Prozess gemacht. – Der Historiker verwies zudem darauf, dass die Bücherverbrennungen 1933 nicht vom Propagandaministerium befohlen wurden, sondern eine studentische Initiative gewesen seien. Universitätsrektoren konnten die Aktionen also verbieten – mindestens in Tübingen und Freiburg sei das auch geschehen.
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Zum „Tag des Buches“

Der 10. Mai ist der „Tag des Buches“. Anlaß dieser Tages waren die öffentlichen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933: Wikipedia: Bücherverbrennung 1933.
Am Abend des 10. Mai 1933 hatten nicht nur überzeugte Nazis, sondern auch nach eigener Einschätzung „konservative“ Studenten, die „nur das Beste zum Schutze der deutscher Kultur“ wollten, in mehr als 20 Universitätsstädten die Bücher von rund 130 Autoren verbrannt. Darunter waren die Werke von Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Erich Maria Remarque, Erich Kästner und Kurt Tucholsky. Auch Fachbücher, die nicht ins Weltbild passten, wie die Werke Karl Marx‘ und Siegmund Freuds, landeten auf dem Scheiterhaufen.

Die Bücherverbrennungen waren ein erster Höhepunkt der organisierten Verfolgung „unbequemer“ Dichter, Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler. In erster Linie richtete sich das gegen marxististische, pazifististische und jüdische Autoren, aber nicht nur: Es konnte jeden Schreiber treffen, der Rückgrad zeigte, der darauf beharrte, selber zu denken, der seine Gedanken nicht vorzensierte. Jeden „Nicht-Opportunisten“.

Wie es Wolfgang Benz im Interview sagte, war es keine Kampagne des Propagandaministeriums, keine Inszenierung des diabolischen Dr. Goebbels, auch wenn er begeistert mitmachte. Die Aktion wurde von der Deutschen Studentenschaft geplant und durchgeführt. Und sie war kein historischer Einzelfall. Bei Weitem nicht! Ich empfehle den ausführlichen Artikel Bücherverbrennung in der Wikipedia.

Auch heute werden Bücher verbrannt. In den letzten Jahren mit steigender Tendenz. Und es bewahrheitet sich immer wieder auf’s Neue, was Heinrich Heine schrieb:

„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

(Almansor. Eine Tragödie, 1821)
Seine Worte beziehen sich auf eine Verbrennung des Koran während der Eroberung des spanischen Granada durch christliche Ritter.

Damit legte Heine, dessen Schriften in der Nazizeit verboten und verbrannt wurden, einen Grund für Bücherverbrennungen bloß: Religiöses Sendungsbewußtsein. Für jemanden, der sich im Besitz der alleinigen Wahrheit wähnt, die sogar „exclusiv“ von Gott gesand wurde, kann jede abweichende Schrift nur „geführliche Lüge“ sein.
Heine erkannte richtig: die Konsequenz aus dem Versuche, „unerwünschtes“ und „unbequemes“ Denken durch Vernichtung der Schriften der „unerwünschten“ und „unbequemen“ Denker zu eliminieren, führt zum Wunsch, auch die Denker selbst zu vernichten – und mit ihnen all jene, denen man auch nur „unbequemes“ und „unerwünschtes“ Denken zutraut.
Am Ende steht, in letzte Konsequenz, die Ermordung all jener, die „von Gott abgefallen“ sind.

An Stelle einer Religion kann auch eine „weltliche“ Ideologie stehen. Auch dazu hatte Heine einiges zu sagen, im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817:

Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! (…) Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte als Bücher zu verbrennen! Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen „die Altdeutschen“ kennen, noch großartiger als die neuere Opposition, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen!

(Heinrich Heine: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Viertes Buch, 1840)

Heine deckt die Tradition auf, in der auch die bücherverbrennenden Studenten des Jahres 1933 standen. Es zeigt deutlich: der Nationalsozialismus war kein historischer Betriebsunfall. Auf der Wartburg wurde gewissermaßen die Krematorien von Auschwitz angeheizt.
Damit man mich nicht falsch versteht: es gibt keine geschlosse Kausalkette, keine „historische Zwangsläufigkeit“, keine „historische Schuld“ (und schon gar keine „karmische Bestimmung“) zwischen den übereifrigen Nationalromantikern des 19. und den Völkermördern des 20. Jahrhunderts. Der verderbliche „deutsche Sonderweg“, wenn es ihn überhaupt gab, begann nicht beim Wartburgfest.
Aber damals wurde die geistigen Struktur mitgeschaffen, die „Denke“ geprägt, die „Auschwitz“ möglich machte!
Mit dieser Struktur meine ich die aus der Nationalromantik erwachsene Idee vom „organisch gewachsenen Staat“, die vom „deutschen Blut“ und auch die Idee der „Kulturnation“. Die Bücherverbrennungen auf der Wartburg ensprangen nicht zuletzt der Idee des einigende Bandes deutscher Kultur – und wer nicht dazugehören will, dessen Bücher werden verbrannt.

Typisch für die deutsche Nationalromantik ist, wie schon Heine wußte, ihr Hang, nationale Utopien in die ferne Vergangenheit zu projezieren. Zum Beispiel die „Varusschlacht“ – im Jahre 9, als die Cherusker unter Arminius gegen drei römische Legionen siegten.
Für patriotische Deutsche war, entgegen der historischen Realität, völlig klar, dass die “alten Germanen” Deutsche, und zwar national gesinnte Deutsche, waren. Die Schlacht geriet geradezu zum Gründungsmythos Deutschlands – immerhin fast 900 Jahre, bevor zumindest einen Vorgängerstaat dessen, was man später „Deutschland“ nennen sollte, gab.

Aber entscheidend für Bücherverbrennungen, in Deutschland und anderswo, war und blieb das Argument der „kulturellen Selbstverteigung“ gegen heimtückisches, zersetzendes „Gift“, das in diesem bösen Schriften enthalten sei. Mal wird das Vaterland per Verbot, Zensur, Verbrennung verteidigt, mal das Christentum, mal der Islam, besonders oft die „öffentliche Moral“ bzw. „Sitte und Anstand“.

Auch nach dem Ende des Hitlerfaschismus bleib dieses Denken virulent. Sowohl die DDR wie die BRD stablisierten sich mittels Feindbilder, angsteinflößender äußerer Gegner, gegen die “wir” zusammenhalten müssen. Öffentliches Moralisieren und moralische Empörung als Mittel der poltischen Auseinandersetzung war für das Deutschland der 1950er ungemein typisch (beide Teile übrigens). Selbsternannte und offizielle „Moralhüter“ wachten über Sitte und Anstand in Film und „Volksliteratur“, wie man das damals nannte. Die „Schund und Schmutz“-Kampagne, im Namen der Verteidigung von Anstand und Sitte, führte auch dazu, dass keine 10 Jahren nach dem Ende des Nazi-Regimes in Deutschland Bücher, Heftromane und Comics als die Jugend verderbende „Schundliteratur“ öffentlich verbrannt wurden!

Seit 1989 sind die Feindbilder aus dem „Kalten Krieg“ Vergangenheit, und die klaren Vorgaben, was „kulturell wertvoll“ und was „gefährlicher Schund“ sei, sind auch fast alle passé. Ich habe den Eindruck, dass sie vielen Deutschen fehlen, die sich deshalb auf die Suche nach neuen Feinden machen.

Feindbildsuche gibt es auch in anderen Ländern, auch in solchen, die sich auf ihre liberale Tradition zu Recht viel zugute halten, namentlich den USA und Großbritannien.
Besonders fällt das bei der “Sicherheitspolitik” auf – der “Krieg gegen den Terror” wird zum Vorwand genommen, Bürgerrechte ab- und einen Überwachungsstaat aufzubauen.

Zwar werden bei uns, anders als anderswo, keine Bücher verbrannt. Aber es gibt Eingriffe in die Meinung- und Pressefreiheit, auch unter dem Vorwand des „Schutzes des geistigen Eigentums“ oder der „Kriminalitätsbekämpfung“. (Hier verweise ich auch die Rolle der „Kinderpornographie“ beim Versuch, Netzsperren und Deep-Packet-Inspection einzzuführen – siehe auf „Netzpolitik.Org“ Deep Packet Inspection – der Unterschied zwischen Internet in Diktaturen und Deutschland ist nur eine Konfigurationsdatei.)

Nachtrag: Zu den Hintergründen der Bücherverbrennungen 1933 auf „Publikative“ Bücherverbrennung 1933: Konkrete Vernichtungsdrohung

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