„Bestattungstheater“ auf wikigerzeitlichen Beerdigungen

29. Oktober 2008 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Dass die Grabbeigaben aus heidnischen Wikingergräbern Aufschluss über das Weltbild und die Haltung zum Tode der alten Nordleute geben, ist nicht neu. Dennoch sind die Forschungsergebnisse, die Niel Price, Professor für Archäologie an der Universität von Aberdeen, vorstellte, überraschend. Er ließ für eine Studie tausende von Wikingergräbern untersuchen – u. A. mit dem Ergebnis, dass keines der Gräber dem anderen glich.
(Dass die Wikinger einen Hang zum Individuellen hatten, ist bekannt. Dass er so weit ging, ist dann doch überraschend.)
Die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Grabbeigaben ist überwältigend – meistens waren es Alltagsgegenstände, Waffen, Schmuck, aber manchen (wahrscheinlich zu Lebzeiten reichen und mächtigen) Toten wurden komplette Langschiffe, Wagen, Lastschiffe, getötete Haustieren und sogar geopferte Menschen auf den letzten Weg mitgegeben.

Die vom Professor Price geleiteten Forschungen untersuchten die Funde im Zusammenhang mit altnordischen Texten und zeitgenössischen Augenzeugenberichten von wikingerzeitlichen Beerdigungen. (Das bekannteste Beispiel sind die Berichte des arabischen Reisenden Ibn Fadlān.)

Es zeigte sich, dass zu den Bestattungsriten der Wikinger nicht nur Geschichten zum Ruhme des Verstorbenen rezitiert wurden, sondern das es komplexe rituelle Inszenierungen gab, die bei der Beerdigung buchstäblich aufgeführt wurden. Bei diesen dramatisch inszenierten Bestattungsritualen spielten das Gäste mit; die Grabbeigaben waren sowohl Anlass wie auch „Requisite“ der rituellen Aufführung. Dem Verstorbenen sollte ein poetischen Übergang ins nächste Leben bereitet werden.
Professor Price vermutet, dass diese Begräbnisrituale der Ursprung der altnordischen Mythologie waren. (Gemeint ist wahrscheinlich die mythologische Dichtung.)
Excavated burials reveal the Viking world-view

Ergänzung: Times online: The Vikings‘ burning question: some decent graveside theatre

Ohne jetzt Näheres über die Studie des Aberdeener Professors zu wissen, erstaunt es mich doch, dass die z. B. von Ibn Fadlān geschilderten effektvoll inszenierten Begräbnisfeiern allgemeine Praxis gewesen sein soll – auch bei Begräbnissen einfacherer Leute (dann mit entsprechend weniger Aufwand inszeniert). Meiner Ansicht nach legt die Verschiedenheit der Grabbeigaben und Grabgestaltung nahe, dass die Menschen der heidnischen Wikingerzeit nicht nur auf ein möglichst festliches, sondern auch ein möglichst unverwechselbares Begräbnis Wert legten. Damit sind verallgemeinerte Aussagen, wie „die“ typische Wikingerbestattung ablief, hinfällig – einfach, weil es keine typische Wikingerbestattung gab. (Also ist die „Feuerbestattung im brennenden Schiff auf See“ wahrscheinlich genau so authentisch wie die „Erdbestattung im Grabhügel“ oder die „Feuerbestattung auf dem offenen Scheiterhaufen“ – es wird all das gegeben haben. Auch die Frage, ob zu Bestattungen Tiere und Menschen geopfert wurden, oder ob Menschen etwa freiwillig „mitgingen“, ist demnach nur im Einzelfall, nicht allgemein, zu beantworten. Es gab sicherlich „Bestattungstheater“, sicher auch einfachere Begräbnisrituale, etwa mit Lobpreisungen des Toten im engsten Freundes- und Verwandtenkreis. Wobei nicht nur das Wikingerklischee, sondern auch die erwähnten altnordischen Dichtungen und Augenzeugenberichte nahe legen, dass im Kreis der Trauernden das Trinkhorn kreiste – bis zum kultisch bedeutsamen Vollrausch.)

Ob dichterische Totenlobpreisungen unter Einbeziehung der Taten der Ahnen des Verstorbenen tatsächlich der Ursprung der „nordischen Mythologie“ waren, und nicht doch nur ein Anlass von vielen, Ahnen, Götter und Helden zu besingen, ist meines Erachtens Spekulation.

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2 Kommentare
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  1. Der Schmuck wäre meiner Meinung nach bei den Vorfahren besser aufgehoben gewesen, als im dunklen Grab.

  2. […] target=”_blank”>Wikinger waren reinliche Rüpel. (Z. B. wurde über das Bestattungstheater auf wikingerzeitlichen Beerdigungen anderswo schon früher berichtet – und über die “Reinlichkeit der Wikinger” kann man […]

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