Auf der Spur einer völkischen Fiktion

16. Juni 2009 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

In dem Buch Angriff von Rechts wird aus einem Interview mit dem Migrationsforscher Klaus J. Bade zitiert, das vollständig auf dem NPD-Blog nachgelesen werden kann: „Tausendjährige deutsche Kultur ist eine völkische Fiktion“.

Bade stellt in dem unbedingt lesenswerten Interview heraus, dass die Verfasser völkischer Parolen wie „Rückführung der Ausländer“ auf ahnungslose Deutsche zielen – denn sachlich sind Behauptungen wie die, durch die Ausweisung von „Ausländern“ würde die Arbeitslosigkeit beseitig und das Sozialsystem saniert, längst widerlegt. Diesen Ahnungslosen, die aus verschiedenen Gründen wütend sind, wird eine Projektionsfläche für ihre Wut angeboten. Die behauptete“kulturelle Homogenität des deutschen Volkes“ sei oft eine Fluchtphrase, hinter der das Fremdeln gegenüber der in der Tat ständig zunehmender interkultureller Vielfalt steckt. Bade warnt, dass Integration „keine fröhliche Rutschbahn in ein buntes Paradies“ sei, sondern ein mitunter anstrengender Lernprozess für beide Seiten. Er kann in den Lebensformen mit Gewinnerfahrungen, aber eben auch Verlusterfahrungen verbunden sein. Wer diesen Lernprozess verweigert und mit einem unhistorischen, statischen Gesellschaftsbild lebt, kann leicht zum Feind von Einwanderung und Einwanderern werden.
Sehr viele Deutsche würden noch in völkischen Kategorien wie „Deutscher kann man nur sein, aber nicht werden“ denken, was auch schon vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts falsch war.

Bade bestätigt damit im Grunde, dass Neo-Nazis ein Symptom für das sind, was auch jenseits der extremen Rechten das politische Denken und Handeln bestimmt. (Auch die Idee der CDU, Deutschland besitze ein kulturell definierbares Volk, beruht auf „völkischen“ Ideen und hält selbst einer oberflächlichen Überprüfung nicht statt, wie die im Sande verlaufene „Leitkultur“-Debatte zeigte.)

Leider hat die Argumentation Bades, soweit es um rechtsextreme völkische Ideologie geht, eine Schwachstelle: Rechtsextremisten definieren „Volk“ und „völkische Identität“ etwas anders, als es z. B. die Nationalkonservativen etwa in der CDU/CSU tun, nämlich deutlich rassistischer. Gegen das Beispiel: „Die Nachkommen der im 19. Jahrhundert ins Ruhrgebiet eingewanderten Polen wären schließlich auch Deutsche geworden, warum solle das bei den Nachkommen der im 20. Jahrhundert eingewanderten Türken anders sein?“ kontert die NPD: die Polen seien schließlich Mitteleuropäer gewesen und damit den Deutschen verwandt – kulturell, religiös und (deutet die NPD nur an) – rassisch. Das sei bei den Türken nicht der Fall. (In der Sprache der NS-Zeit: die eingewanderten Polen wären „eindeutschungsfähig“ gewesen, Türken seien es hingegen nicht.)

Weil das rechtsextreme Denken rassistisch ist, dürfte es die kackbraunen Kameraden auch wenig stören, dass ein Zeitreisender in das Jahr 1009 (was übrigens deutlich vor dem Zeitalter der Kreuzzüge liegt) nur wenige Spuren von dem finden würde, was man heute unter „deutscher Kultur“ versteht. Entscheidend für alte und neue Nazis sind „Blut“ (Abstammung) und „Boden“ (bei neuen Nazis gern in bioregionalistischer Tarnung) die letztlich auch die „arteigene Kultur“ bestimmen. Die Geschichtsfiktion der „Nationalkonservativen“ kreist um Begriffe wie „christliches Abendland“ und einen bis ins Mittelalter zurückdatierten neuzeitlichen Nationalitätsbegriff, während die Geschichtsfiktion der Nazis in der Zeit vor 1000 Jahren auf dem Gebiet „Deutschlands“ einen „germanischen Kernstaat“ westlich und „Slawisch sprechende Menschen germanischer Abstammung“ östlich der Elbe-Saale-Linie sieht.
Ungeachtet dieser Unterschiede gilt aber, dass das völkische Denken in der „Mitte“ ein Scharnier zum rassistischen Denken „Rechtsaußen“ bildet, die „Mitte“ gegenüber den „Rechten“ kompromissbereit macht, und dass „Fremdenfeidlichkeit“ die wichtigste „Einstiegsdroge“ in den Rechtsextremismus ist.

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