Artamanen – die „netten“ Ökofaschisten vom Dorf

12. Dezember 2011 | Von | Kategorie: Odins Auge Artikel

Berichte, Leitartikel und Reportagen über Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern gibt es viele. Nur wenige von ihnen gehen auf die „deutschvölkischen“ Strukturen, die nicht nur von frustrierter Jungmännern ohne Perspektive und NPD-„Protestwählern“ geprägt werden, ein. Auch wenn die NPD Stimmen bei der Landtagswahl verlor, stabilisiert sich der rechte „Protest“ abseits des Parteienspektrums: Kümmern, hetzen, Erfolg haben (Zeit.de)

Auch Nazis haben Kinder. Meistens gar nicht so wenige. Damit haben sie, vor allem im ländlichen Raum, auch Einfluss auf Krippen, Kindergärten, Schulen und Jugendklubs, und nicht nur ihre eigenen Kinder werden „völkisch“ indoktriniert. Bullerbü in braun (Zeit.de).

Warum gibt es diese „braunen“ Strukturen ausgerechnet Mecklenburg-Vorpommern? Der „Zeit“-Artikel gibt eine interessante Antwort, die auf die (historischen) Strukturen hinter den modernen „völkischen“ Strukturen verweist:

Wegen der letzten 700 Jahre. Wegen der letzten 70 Jahre. Und wegen der letzten 20 Jahre.

Freie Bauern gibt es in Ostelbien seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr. Der Boden ist von jeher in der Hand von Großgrundbesitzern, die Landbewohner waren jahrhundertelang Leibeigene. Karl-Georg Ohse, Einheimischer, Vater und bis vor Kurzem Chef des Regionalzentrums für demokratische Kultur in Ludwigslust, sagt: »Es gibt hier immer noch eine hohe Affinität zu autoritären Strukturen. Ketten von Befehl und Gehorsam haben sich hier über Jahrhunderte gehalten.« Die DDR-Zeit verhieß Aufbruch. Man siedelte Industrieunternehmen und Armeestützpunkte an, Mecklenburg-Vorpommern hatte 1989 die jüngste Bevölkerung aller Bundesländer. Heute ist es die älteste. Die Demokratie hat den Menschen babypoglatten Straßenasphalt gebracht, McDonald’s und Nutella. Und dennoch fehlt etwas.

Ein Land, das sich über jeden selbst gebackenen Kuchen, über jeden von Eltern gestrichenen Kitazaun freuen muss – selbst wenn die manchmal merkwürdige Ansichten haben. Einen solch fruchtbaren Boden für ihre braune Saat müssten die NPD und ihre Kader eigentlich erfinden – wenn es ihn nicht schon gäbe. So freut sich der NPD-Kreisverband Westmecklenburg auf seiner Internetseite über das »wachsende nationale Wurzelgeflecht«. Der Landeschef sagt: »Es wohnen sehr viele Nationale in Mecklenburg und in Pommern. Wir arbeiten daran, dass es mehr werden.«

Ein nicht zu unterschätzender Teil der Problems sind die im „Zeit“-Artikel erwähnten „Artamanen“. Wikipedia: ArtamanenReport München über “braune Ökos”.
Die „alten“ Artamanen verbanden den völkischen Okkultismus der Ariosophie mit der Naturschwärmerei der Lebensreform, Ideen der Naturschutzbewegung und dem Kulturpessimismus Oswald Sprenglers (“Der Untergang des Abendlandes”). Die Artamanen verfolgten dabei eine stramm agroromantische Zielsetzung, verherrlichten die Bauern als die einzigen “organischen Menschen” und predigten die Abkehr von der “internationalen Asphaltkultur der Großstädte”. Sie verabscheuten die westliche “Zuvielisation” und träumten von einem naturverbundenen Leben ohne Industrie. Das Mittel zu diesem “sanften” Zweck war brutale Gewalt bis zum Völkermord: “Lebensraum” sollte im Osten erobert werden, damit das deutsche Volk wieder zur Scholle zurückkehren könne.
Der ehemalige bayrische Gauleiter der Artamanen, “Reichsführer SS” Heinrich Himmler, betrachtete “seine” SS als legitime Erbin der Artamanen. Er übernahm nicht nur die Uniform, das “Artamanenschwarz”, sondern auch die Weltanschauung.
Seit Anfang der 1990er Jahre haben sich mehrere Familien als sogenannte Neo-Artamanen zwischen Teterow und Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt. Damit knüpfen sie an eine regionale Tradition an: Dem 1931 gegründeten „Bund der Artamanen in Mecklenburg“ durften nur Mitglieder von NS-Organisationen angehören. 1934 bildete dieser Bund in Güstrow die Keimzelle für den Landdienst der Hitlerjugend, der stark von der SS gefördert und als Rekrutierungsfeld für zukünftige Wehrbauern gesehen wurde. Erstaunlicherweise scheinen einige dieser Siedler später keine Schwierigkeiten damit gehabt zu haben, sich in die landwirtschaftlichen Produktionsgenonossenschaften (LPG) der DDR einzufügen.
Mit dem Tod der letzten Alt-Siedler schien aber das Thema „Artamanen“ abgeschlossen zu sein.
Zu Unrecht, wie sich in den 1990er Jahren zeigte.
Ökologische Rechtsgesinnte (Endstation Rechts)
Siedlungsprojekt in Mecklenburg-Vorpommern: Wohnen und Leben in Nazi-Tradition

Vor einem Eindruck sollte man sich hüten: Die modernen Artamanen mögen „völkische Sektierer“ sein, und äußerlich altmodisch bis altväterlich wirken, sie sind aber nicht „von gestern“. Sie sind ökologisch, sozial und durchaus bürgerlich. Nach außen hin gibt man sich harmlos. Nach innen vertreten sie eine Blut-und-Boden-Ideologie und praktizieren die Idealisierung des „deutschen Volkstums. Zu ihnen gehören in der Gegend um Güstrow etwa Helmut Ernst, Gründer der „Gentechnikfreien Region Nebel/Krakow am See“; Huwald Fröhlich aus Koppelow, der „ökologische Baustoffe für gesundes Wohnen“ anbietet, und der Kunstschmied Jan Krauter aus Klaber, der die Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-IV-Reformen organisierte, und Marc und Petra Müller, die der rassistischen „Artgemeinschaft“ angehören. Marc Müller ist auch Vorsitzender der von Jürgen Rieger gegründeten „Gesellschaft für biologische Anthropologie“. (Die netten Ökofaschisten – Besuch bei Familie Müller in Lalendorf.)
Wahrscheinlich hatte der verstorbene Multi-Funktionär und „Nazitru“ Jürgen Rieger als Initiator, Finanzier und „Ideengeber“ eine weitaus wichtigere Rolle innerhalb der „Völkischen“, als normalerweise angenommen wird. Ein klassischer Denkfehler bei der Analyse der Nazi-Szene ist, dass sie von außen organisierter aussieht, als sie es wahrscheinlich ist. Dass unter den „braunen Kameraden“ jeder jeden irgendwie kennt, heißt nicht unbedingt, dass man „organisiert“ zusammenarbeitet oder dass gar übergeordnete Steuerungsstrukturen vorhanden wären. In solchen lockeren Strukturen werden „völkische Gurus“, vor allem solche mit Geld, leicht zu „Vordenkern“.
Die (pseudo-)germanische, rassistische und elitäre Ideologie mit „heidnischen“ Versatzstücken ist unter Umständen der Kitt, der Ökofaschisten wie die Artamanen, die gewaltfreudigen „Kameradschaften“ und die „Schlipsnazis“ der NPD zusammenhält.

(Neo-)artamanische Siedler sind kein rein mecklenburg-vorpommersches Phänomen. Nach Erkenntnissen der Antifa gibt es z. B. auch in Schleswig-Holstein (Nordfriesland) und in Brandenburg Artamanen. Der wichtigste Faktor scheint banal zu sein: die „völkischen“ Siedler kaufen günstig leer stehende Bauernhöfe auf. „Landflucht“ und der wirtschaftliche Niedergang ländlicher Regionen spielen ihnen in genau so in die Hände wie überlieferte „völkische“ Ideologiebruchstücke. Es ist auch relativ einfach, Zivilcourage „gegen Rechts“ in einer Großstadt, etwa auf einer Demo, zu zeigen. Sich auf dem Dorf gegen Nachbarn zu wenden, die „komisches“ Gedankengut vertreten, ist dagegen schwierig. Vor allem, wenn diese Nachbarn wegen ihres Engagements z. B. in der Feuerwehr, in der Jugendarbeit, oder im Natur- und Umweltschutz angesehen sind. Und erst recht, wenn diese „komischen“ Nachbarn Freunde haben, die groß, stark und gewaltbereit sind.

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4 Kommentare
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  1. […] und oft ariosophischen Weltanschauung immer wieder Thema für “Odins Auge”: Artamanen – die “netten” Ökofaschisten vom Dorf (2011) Braune Flecken im Biogarten (2009) Diktatur in Grün […]

  2. […] Artikel zu diesem Thema: Neues über braune Ökos Artamanen – die “netten” Ökofaschisten vom Dorf Wie sehen völkische Rassisten aus? Braune Flecken im Biogarten Tags: antifa, Artamanen, […]

  3. […] Anteriore, di sviluppare simili progetti. Tali eco-fascisti si danno all’esterno un aspetto di persone innocue, combattono la tecnologia genetica e vendono materiali di costruzione ecologici. Ma pure loro […]

  4. […] sind Teil des Problems der “völkischen Siedler”, z. B. der “Neo-Artamanen”. Wobei man diesen “netten” neuen Dorfnachbarn nicht unbedingt ansieht, dass sie […]

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