Antiziganistische Angriffe gegen Zirkus

8. Oktober 2010 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Ende September wurde in Milmersdorf in der Uckermark der kleine Familienzirkus „Happy“ angegriffen. Vier Kinder der Zirkusfamilie sollen als „Zigeunerpack“ beschimpft und mit Steinen beworfen worden sein.

Hintergrund für den Angriff soll ein Tiergehege des Zirkus gewesen sein. Nach Ansicht der Anwohner sei es zu dicht an ihren Wohnblock postiert worden. Der Standort ist nach Angaben von Bürgermeister Klaus-Christian Arndt (SPD) ausgewählt worden, weil es dort genügend Platz und einen Stromanschluss gebe.

Dorfbewohner vertreiben Zirkus

Milmersdorf: Ermittlungen nach Übergriff auf Zirkusfamilie dauern an.

Bericht des RBB in der ARD-Mediathek.

Vor gut zwei Jahren wies ich im Beitrag Antiziganismus – eine unterschätzte Form des Alltagsrassismus dass der offensichtlich immer noch vorhandene Hass gegen „Zigeuner“ bei vielen Menschen so ausgeprägt ist, dass antiziganistischer Gewalt auch Menschen trifft, deren Lebensstil und Beruf auf sie „zigeunerhaft“ wirkt. Die Gewalt gegen den Zirkus Martinelly damals in Norderstedt (bei Hamburg) weist viele Parallelen zu dem Vorfall in Brandenburg auf.

Ein Indiz, wie weit verbreitet Antiziganismus ist, sind die Abschiebungen von Roma. Schlagzeilen machten die Roma-Abschiebungen auf Anordnung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy: Dutzende von Roma-Siedlungen ließ die Regierung in Paris räumen. Seit Anfang 2010 wurden mehr als 8000 Rumänen und Bulgaren in deren Heimatländer zurückgeflogen, die meisten von ihnen sind Roma. Und das wohl nicht zufällig, denn in einem Rundschreiben zur Auflösung illegaler Lager hatte die Regierung die zuständigen Behörden aufgefordert, „in erster Linie die der Roma“ zu räumen.
Gäbe es keinen über bloße Vorurteile hinausgehenden Hass auf „Zigeuner“, hätte Sarkozy schwerlich auf die Idee kommen können, mit dem „harten Durchgreifen“ seine angeschlagenen Popularität aufpolieren zu können.
Die Ausgestoßenen leben unter uns – Am Schicksal der Roma entscheidet sich, was Europa sein will. (Zeit online).

Auch in Deutschland werden Roma abgeschoben, und zwar in den Kosovo, wenn auch „nur“ in verglichen mit Frankreich weniger Fällen.
Allerdings verteidigt Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) die Abschiebung von Roma in den Kosovo auf eine Weise, die stark an „Monsieur Kärcher“ Sarkozy erinnert: Minister verteidigt Roma-Abschiebung (ddp via nwz)

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2 Kommentare
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  1. Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, daß die Abneigung gegen „Zigeuner“ bei den meisten Menschen rassistisch motiviert ist, sondern eher eine Sache des Lebensstils.
    Ich bin in einem Dorf in Hessen ausgewachsen, und dort wurde jeder als Zigeuner bezeichnet, der dauerhaft in einem Wohnwagen/Zelt und gleichzeitig nicht als Dauercamper auf einem „ordentlichen Campingplatz“ gelebt hat. 😉
    Im Prinzip ist das Schimpfwort „Zigeuner“ sehr häufig die ländliche Variante für „Penner“. So jedenfalls meine Erfahrung.

    Nicht jede Art der Intoleranz gegen Randgruppen ist auch immer gleich Rassismus! Ich finde, da muß man auch ein bißchen differenzieren lernen.
    Häufiger geht es bei Intoleranz um ein Mißtrauen, das daraus erwächst wie jemand lebt, anstatt welche Hautfarbe er oder sie hat.

  2. Hallo Swantje,
    ich gebe Dir generell Recht: nicht jede Art der Intoleranz gegen Randgruppen ist Rassismus. Allerdings halte ich den Antiziganismus schon für eine Form des Rassismus – auch wenn er sich vor allem am Lebensstil und erst in zweiter Linie (wenn überhaupt) am „Blut“ oder an der Hautfarbe festmacht.

    Ich weiß, dass „Zigeuner“ vor allem auf dem Land als Schimpfwort mit der Bedeutung „Landstreicher“ oder „umherziehender Obdachloser“ verwendet wird. Aber die Gleichsetzung, die dem Schimpfwort zugrunde liegt, ist verräterisch. Darin enthalten ist auch der Umkehrschluss: wer umherzieht, ist „asozial“.
    Und wenn „Asoziale“ nicht (wie ein Landstreicher) in offensichtlicher Armut leben, sind sie eben kriminell.
    Hinter den Angriffen auf kleine Zirkusse steht die tief verwurzelte Vorstellung, dass „fahrendes Volk“ sozusagen die Wäsche von der Leine klaut. Das ist der „harte Kern“ der Antiziganismus, so wie die Vorstellung vom „Wucherer“ der „harte Kern“ des Antisemitismus ist.

    Ich habe es ( wie übrigens auch die Vereinten Nationen) schon lange aufgegeben, zwischen rassischer, kultureller und ethnischer Diskriminierung zu unterscheiden – weil es in der Praxis gar nicht möglich ist. (Im „völkischen“ Denken, etwa alter und neuer Nazis, sind Rasse, Kultur und Volk ohnehin austauschbar.) Es gibt meiner Ansicht nach auch keine scharfen Grenzen zwischen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit – Xenophobie und Rassismus gehen ineinander über.

    Eine meiner Ansicht nach sehr brauchbare Definition, was Rassismus ist, stammt von Christoph Butterwege:

    „Denken, das nach körperlichen bzw. nach kulturellen Merkmalen gebildeten Großgruppen unterschiedliche Fähigkeiten, Fertigkeiten, und/oder Charaktereigenschaften zuschreibt, wodurch selbst dann, wenn keine gesellschaftliche Rangordnung (Hierarchie) zwischen ihnen entsteht, die Ungleichverteilung sozialer Ressourcen und politischer Rechte erklärt, also die Existenz von Privilegien bzw. der Anspruch darauf legitimiert, die Gültigkeit universeller Menschenrechte hingegen negiert wird.“

    Das trifft, für die Übergriffe auf „Landfahrer“ (unabhängig von Ethnie und „Rasse“) durchaus zu:
    Es gibt einen scharfen und Gegensatz zwischen „uns Sesshaften“ und „den Fahrenden“, und „dem fahrenden Volk“ werden unabänderliche, meist negative, Eigenschaften zugesprochen („Die sind eben so!“) Daher werden ihnen auch Rechte abgesprochen, die jedem „Normalbürger“ zustehen.
    Im konkreten Fall: jeder hat das Recht mit Genehmigung durch zuständige Behörde die Gemeindewiese zu nutzen. Aber das gilt offensichtlich für manche Mitmenschen, trotz Genehmigung durch den Bürgermeister, nicht für einen Zirkus. (Erst recht hätte es nicht für eine Roma-Sippe gegolten.)

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