„Allah“-Schriftzug auf wikingerzeitlichen Totenkleidern? Wahrscheinlich nicht!

18. Oktober 2017 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Dass es in der Wikingerzeit intensive Kontakte zwischen Nordeuropa und der „islamischen Welt“ gegeben hatte, ist für einigermaßen historisch gebildeten Menschen nichts Neues und ist sogar Teil der Populärkultur (man denke nur an „Der 13. Krieger“).
Daher wäre ein Fund wikingerzeitlicher Textilien mit arabischer bzw. kufischer Inschrift an sich keine Sensation und hätte normalerweise nur in Fachkreisen Beachtung gefunden. Da aber die schwedische Archäologin Annika Larsson ausgerechnet den arabischen Schriftzug „Allah“ ausgerechnet in der Borte eines Totenkleides gefunden haben will, war das mediale Echo auf ihre Vermutung enorm.

Weltweit wurde über die vermeindliche Sensation berichtet, von der „New Vork Times“ dem „Guardian“, der BBC (Why did Vikings have ‚Allah‘ embroidered into funeral clothes?) , der „National Geographic“, aber auch dem „Focus“.

Als deutschsprachige Beispiele für die Berichterstattung mögen diese Artikel auf „Mena Watch“ (Wie kommt das Wort „Allah“ auf Wikinger-Bestattungswäsche?), auf „Watson“ («Allah»-Schriftzug auf Totenkleidern der Wikinger entdeckt) und „Vorarlberg online“ (“Allah” und “Ali” – Wikinger-Kleidung weist Verbindung zum Islam auf) ausreichen.

Eins fällt sofort auf: Larsson belässt es nicht bei der schlichten Feststellung, dass die besagte Borte den Schriftzug „Allah“ enthalten könnte, sondern spekuliert über die mögliche Bedeutung. Laut Larsson kann noch nicht ausgeschlossen werden, dass einige der Gräber von Moslems persischer Herkunftstammen. (In der Tat deuten DNA-Analysen der Überreste der Toten in wikingerzeitlichen Gräbern in Birka darauf hin, dass einige der Bestatteten aus Persien stammen.) Sie hälte es jedoch für wahrscheinlicher, dass die Bestattungs-Kleidung von muslimischen Vorbildern inspiriert wurde. Vielleicht, so Larsson, wurden die Wikinger auch von der Idee des Islams von einem ewigen Leben im Paradies nach dem Tod beeinflusst. Im Koran tragen die Bewohner des Paradieses seidene Kleidungsstücke. Dies könnte die Erklärung für die Seide in den Wikinger-Gräbern sein.

Es dürften diese Spekulationen Larssons gewesen sein, die den medialen Hype auslösten. Verkürzt auf „islamische Wikinger“ ist das die perfekte Gegenthese zur derzeit in „völkischen“ und „identitären“ Kreisen wieder gern verbreitete Legende von den erbittert gegen „moslemische Invasoren“ kämpfende „nordischen Recken“. Die Schadenfreude über „Nazis“, dass „ausgerechnete ihre geliebten Wikinger“ zum Islam konvertiert seien, ist in etlichen Kommentaren unübersehbar.

Die sensationelle Geschichte hat nur einen Haken: Larssons Deutung steht auf sehr wackeligen Beinen. Dass sie so Furore macht, ist vor allem auf die Praxis auch seriöser Medien zurückzuführen, der schnellen Sensation gegenüber gründlicher Recherche den Vorzug zu geben: Die neue Fundinterpretation ist die Meinung einer einzigen Expertin. Wobei Annika Larsson zwar am Institut für Archäologie und Alte Geschichte der Universität Uppsala arbeitet, aber laut ihres Lebenslaufs ansscheinend keine akademisch ausgebildete Archäologin, sondern Textilexpertin ist. Dass schließt selbstverständlich nicht aus, dass sie in Mittelalterarchäologie „fit“ ist, wirft aber die Frage auf, ob sie sich nicht vielleicht zu weit aus dem Fenster ihres Fachgebietes lehnt. (Annika Larsson trat vor einigen Jahren mit der Behauptung in die Öffentlichkeit, dass die wikingerzeitlichen ovalen Broschen auf den Brustwarzen getragen wurden – entgegen der Ansicht der gesamten übrigen Fachwelt. Hätte sie dafür schlüssige Beweise erbracht, wäre es eine kleine Sensation gewesen. Eine sehr kleine.)

Andere Fachleute wurden nicht gefragt. Die meldeten sich aber bald zu Wort. Zum Beispiel die Textilexpertin Carolyn Priest-Dorman: Viking Age Tablet Weaving: Kufic or Not?.
Der entscheidende Punkt ist, dass Larsson ohne Beweise annimmt, dass die von ihr untersuchten Textilfragmente Teil eines größeren Musters gewesen wären, das das bestehende Muster in besonderer Weise erweitert hätte. Carolyn Priest-Dorman zeigt, dass Larssons Schlussfolgerungen auf unbegründeten Erweiterungen von Mustern basieren würden und nicht auf bestehenden Mustern. Larsson legte ihrer Pressemeldung ein Foto bei, dass die graphische Darstellung des fragliches gewebten Bandes mit einem Spiegel zeigt. Im Spiegelbild erkennt sie das Wort „Allah“ in kufischer Schrift. (Zu sehen in diesem Artikel auf „Heritage Daily“) (Im Spiegelbild, da die Graphik die Borte von hinten zeigt.)
Auf dem Foto erkennt man zusätzlichen Mustereinheiten neben den Original-Mustereinheiten, die in Geijers Standardwerk über die Textilfunde von Birka abgedruckt wurden. Das lässt sich unterscheiden, da die zusätzlichen Einheiten, die den Brokat-Schuss auf den beiden Seiten der Graphik anzeigen, etwas heller sind als diejenigen im zentralen Teil der Graphik. Sie sind auch um 90 Grad von der Richtung der ursprünglichen Einheitsgrafik entfernt. Diese Erweiterung verdoppelt die Breite des Bandes praktisch.
Da die broschierte Borte kein Muster auf der Rückseite hat, aber einen Rand, ist die Vermutung einer Musterverbreitung eine reine Wunschvorstellung. Daher ist die Interpretation als kufische Schrift an den Haaren herbeigezogen.

Auf Twitter legt Stephennie Mulder, außerordentliche Professorin für Mittelalter-Archäologie und islamische Kunst des Mittelalters an der Universität Austin, dar, wie willkürlich Larssons Intepretation ist: Dear Entire World: #Viking ‘Allah’ textile actually doesn’t have Allah on it. Vikings had rich contacts w/Arab world. This textile? No. Mulder stellt klar, dass der Stil der Epigraphik, den Larsson bei der Interpretation des wikingerzeitlichen Textils verwendete, erst 500 Jahre nach der Herstellung des Kleides tatsächlich weit verbreitet war.

Alles in Allem sieht es nach einer Sensationsmeldung auf der Grundlage einer allzu kühnen Interpretion aus. Die Erklärung, dass rein zufällig einige Teile der Schmuckborte wie kufische Buchstaben aussehen, ist die bei weitem Plausibelste.

Dass ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass wikingerzeitliche Kaufleute aus dem Norden mit der islamischen Welt lebhaften Handel trieben (und nicht etwa „nordische“ Wikingerkrieger die „Musels“ bekriegten). Überall im wikigerzeitlichen Norden wurden arabische und persische Münzen und andere Artefakte aus dem „islamischen Raum“ (zu dem damals auch Andalusien gehörte) gefunden. Menschen persischer, nordafrikanischer und arabischer Herkunft wurden in nordeuropäischen Gräbern bestattet. Vielleicht trat auch der eine oder andere Kaufmann tatsächlich zum Islam über. Keine Sensation, denn es gibt ja sogar Hinweise darauf, dass es in Birka Menschen gab, den den Buddhismus praktizierten. Wir können uns wikingerzeitliche Handelplätze als Orte vorstellen, in denen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen einigermaßen friedlich zusammenlebten. Was ja für Handelsplätze nichts Ungewöhnliches sein dürfte.

Martin Marheinecke

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