1000 (in Worten: Eintausend)

18. Januar 2018 | Von | Kategorie: Ætt Feature, Ætt-News

Dieses ist der 1000. Beitrag auf nornirsaett.de!

Cartoon Band Singvøgel

Nein, tausend Artikel und Aufsätze auf unserer Webpräsenz sind das leider noch nicht. Es sind 1000 Beiträge, zu denen ja auch kurze Meldungen über längst nicht mehr relevantes Geschehen gehören. Außerdem sind bei uns längere Texte oft in mehrere Teile aufgegliedert, was die Gesamtzahl der Beiträge nach oben treibt. Dennoch ist das eine stolze Zahl für eine so kleine Gemeinschaft wie uns.
Wie wichtig die Website ist und welche Außenwirkung sie hat, wurde uns klar, als auf sie aus technischen und organisatorische Gründen längere Zeit nicht zugegriffen werden konnte. Es gab treue Leser_innen, die sogar fürchteten, es gäbe die Nornirs Ætt nicht mehr. Wir sind keine „Internetheiden“, uns gibt es vor allem im „Meatspace“ – der bei uns mitunter ein „Meadspace“ ist. Das Internet samt Blog, Forum und „Social Media“ ist ein wichtiges Kommunikationsmittel, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Anstatt Euch mit Statistiken zu langweilen oder Eigenlob zu nerven: Ein herzliches „Danke“ und Tyrs Segen an alle Leser und an alle engagierten Heiden außerhalb unseres Haufens! Und auch an alle demokratisch gesonnenen Menschenfreunde, an alle, für die „Toleranz“, „Respekt“ und „Werte“ nicht nur Worthülsen sind. Ihr seid unsere Bündnisgenossen.

Danke, dass sich das „germanisch orientierte Heidentum“, alias Ásatrú, alias Forn Siðr, in Deutschland in den letzten Jahren gewandelt hat. Und zwar deutlich zum besseren, verglichen mit der schlechten alten Zeit der 1980er und 1990er.

Die „Heidenfürsten“, die „heidnische“ Versionen des bekannten Typus Sektenguru, die damals die Szene bestimmten, kommen heutzutage nur noch in gruseligen Einzelexemplaren vor. Wobei die schlimm genug sind.
Auch ist der Einfluß von Nazis, „Völkischen“, sonstigen Faschisten inklusive „neuen Rechten“ und diversen Rassisten auf das Heidentum deutlich zurückgegangen. Es ist auch nicht mehr so, dass Thorshämmer und Runenschmuck von staatlichen und kirchlichen Stellen, wie auch von diversen Antifa-Aktivisten, automatisch als Kennzeichen einer exkrementbraunen Gesinnung wahrgenommen werden.
Ich gebe zu, dass noch viel zu tun ist. Der rassistische und aggressiv nationalistische „Germanenmythos“ von anno Braunschlamm ist für „Identitäre“ und andere Finstergestalten immer noch attraktiv. Nach wie vor missbrauchen Neo-Nazi, die sich von den alten Nazis nur durch das Geburtsdatum unterscheiden, germanische Symbolik. Aber es ist eindeutig besser geworden.

Karl Banghard, Leiter des „Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen“, stellte in einem Twitterchat zum Thema „Germanenkult und Rechtextremismus“ fest:

„… Der Rabenclan, der Eldaring und die VfGH werden beispielsweise momentan immer reflektierter.“

Was grundsätzlich stimmt, aber der Entwicklung nicht ganz gerecht wird, denn Rabenclan und Eldaring waren von Anfang an quellenkritisch und anti-rassistisch. Der einst als deutsche Sektion des völkischen „Odinic Rite“ gegründete „Verein für Germanisches Heidentum“ ist es mittlerweile auch. (Und ein klein wenig ärgert es mich, dass Banghard uns nicht erwähnte.)

Was wir von „Odins Auge“ (früher, als die Nornirs Ætt noch eng mit dem Rabenclan verbunden war, als „Ariosophieprojekt“ bekannt) im Laufe der Jahre zu dieser Entwicklung beigetragen haben, dürfte, bei aller Bescheidenheit, nicht ganz unwichtig gewesen sein.
Das, obwohl rein zahlenmäßig nicht nur wir kleines Häuflein Ættlinge eher unbedeutend sind. Der Eldaring ist mit zur Zeit rund 350 Mitgliedern schon der größte „germanisch-heidnische“ Verein im deutschen Sprachraum.
Wie viele aktive und bekennende Heiden es hierzulande gibt, wie viele davon den germanischen Göttern opfern, wie viele davon der Forn Siðr bzw. dem Ásatrú zugeordnet werden können, und wiederum wie viele von ihnen ausdrücklich antirassistisch, pro-demokratisch und emanzipatorisch sind, weiß Frigg allein – und die verrät es nicht. Vielleicht sind wir nur einige Tausend unter Millionen Atheisten, Christen, Moslems, Buddhisten usw.. Sicher ist nur: Wir sind wenige (aber stark).

Wir sind eine winzige Minderheit. Winzige Minderheiten neigen dazu, paranoide Symptome zu zeigen, bis zum offenen Verfolgungswahn. Auch Karl Banghard stellte fest:

„Manchmal fühlen sich aber die Heiden dabei viel zu schnell als verfolgt.“

Sich als armes, unschuldiges, von bösen modernen Inquisitoren verfolgtes Opfer zu sehen, spielt vor allem bei extrem rechten und eher „esoterischen“ Heiden eine wichtige identitätsstiftenden Rolle. Lautstarkes selbstmitleidiges Jammern und die Praxis, sich schon bei leichter Gegenwehr empört als „verfolgte Unschuld“ hinzustellen, ist bekanntlich die Masche alter und neuer extremer Rechter. Darüber brauchen wir nicht viele Worte verlieren. Und wenn auf „germanische Heiden“ machende Nazis im Verfassungsschutzbericht oder in der Kriminalstatisk „politisch motivierte Straftaten, rechts“ auftauchen, dann liegt das schwerlich an ihrer Vorliebe für alles, was sie für „germanisch“ halten.

Etwas anders sieht es mit dem breiten Übergangsfeld zwischen Heiden, „Neuen Hexen“ einschließlich Wicca und Esoteriker_innen aus. Sie spüren den ja vorhandenen gesellschaftlichen Gegenwind und der gibt ihnen Auftrieb. Das Gefühl, Aussenseiter zu sein, stärkt das meistens eher schwach ausgeprägte Zusammengehörigkeitsgefühl. Dass das manchmal in geistige Käseglocken aus Panzerglas oder ins Sektierertum führt, ist die Kehrseite des „heidnischen Opfermythos“.

Wenn sich an der Situation der „germanisch orientierten Heiden“ im deutschen Sprachraum viel verbessert hat, dann ist das meiner Ansicht vor allem auf den Einfluß von Schriftsteller_innen, Wissenschaftler_innen, Künstler_innen und manchmal sogar Politiker_innen zurückzuführen, die in aller Regel selbst keine Heiden sind, aber ärgerliche Klischees über alte Germanen und neue Heiden gerade rücken. Professor Rudolf Simek, der führende Experte für germanische bzw. altnordische Religion im deutschen Sprachraum, ist praktizierender Katholik. Dennoch – oder gerade deshalb? – ist sein Verhältnis zu uns deutlich entspannter als das anderer Fachwissenschaftler im deutschen Sprachraum. Die Skandinavistin Stefanie von Schnurbein, die als scharfe und sachkundige Beobachterin der Heidenszene völkische, rassistische und anderweitig menschenfeindliche Strukturen aufdeckte, steht den in den letzten 30 Jahren entstandenen nicht-völkischen, nicht-rassistischen, pro-demokratischen Heidenvereinigungen wohlwollend gegenüber.
Neuere Fernsehdokumentationen und populäre Sachbücher über „Germanen“ oer „Wikinger“ zeichnen ein durchweg differenzierteres und meistens positiveres Bild dieser Völkerscharen als noch in den 1990er Jahren. Dass es trotztdem gerade in viel gesehenen „Histotainment“-Sendungen ärgerliche Klischees und unnötige Fehler gibt, schadet der im Großen und Ganzen erfreulichen Gesamtwirkung nicht. Helfen wir dabei, dass sie besser werden – aber um Friggs Willen nicht arrogant-besserwisserisch.

Noch wichtiger für das verbesserte Image der alten Göttinnen und ihrer neuen Freundinnen (Männer sind mitgemeint) ist die Unterhaltungsindustrie. Mag ja sein, dass die Serie „Vikings“ voller unhistorischem Unsinn steckt und entgegen dem eigenen Anspruch eher Fantasy als History ist, und dass das Trinkspiel: „Auf jeden gefundenen Fehler bei Vikings einen Schluck Met“ bei vorhandener Sachkunde zuverlässig zur Volltrunkenheit führt.
Mag auch sein, dass die Darstellung des mächtigen Thor und anderer Göttinnen und Götter in Comic und Comicverfilmungen grottenmäßig albern ist.
Aber he: Wie cool sind Wikinger, die noch andere Gefühle außer Beutegier und Rachsucht zeigen und bei denen sogar starke Frauen mitkämpfen? Wikinger, die so gar nichts von „nordischen Edelmenschen“ oder von Vollzeitbarbaren voller finsterem Aberglauben haben? Und dass im Comic und Kino Thor an der Seite von Captain America kämpft, der bei seinem Comic-Debut Hitler die „Herrenmenschen“-Visage mittels kraftvollem Schwinger richtete, das ist schon deshalb cool, weil es Adolf H.s heimliche und unheimliche Fans ärgert.

Dann gibt außerdem wirklich gute Romane, Unterhaltungsfilme und Fernsehserien, die völlig in unserem Sinne sind. Zum Beispiel Niel Gaimans Roman „American Gods“ und die auf ihm beruhende großartige Fernsehserie. Sie zeigt unter anderem erstaunlich genau, wie Polytheismus funktioniert, und dass auch Göttinnen / Götter den gesellschaftlichen Entwicklungen ausgesetzt sind.
Ein anderes Beispiel ist Tommy Krapweis‘ Jugendbuch-Trilogie „Mara und der Feuerbringer“ und dessen kongeniale Verfilmung des ersten Bandes. (Die leider unnötigerweise im Kino floppte.)

Es gibt ja auch etliche bekennende Heiden, die kulturschaffend tätig sind. Das Spektrum reicht von der erfolgreichen amerikanischen Fantasy-Autorin Diana L. Paxson bis zur immerhin nicht ganz unbekannten deutschen Multi-Künstlerin (Sängerin, Dichterin, Graphikerin, Schriftstellerin) Luci van Org.
Die Liste bekennender heidnischer Autoren, vor allem im Bereich der phantastischen Literatur, ist lang, ebenso die der heidnischen Musiker, weit über den Mittelalter- und Neofolk-Bereich hinaus. Sie wäre sicher noch länger, wenn nicht noch existierende Vorurteile viele vom „Outing“ abhielte. Sicher sind darunter auch „völkische“ Heiden, gerade in der Musik, aber im Großen und Ganzen ist unsere Seite produktiver und kreativer.
Überhaupt: Erfreulich viele jener, die den alten Göttinnen und Göttern opfern, sind Kulturschaffende. Der Begriff wirkt zugegeben staubig und sicherlich auch ddr-deutsch, trifft aber den Nagel auf den Kopf: Was machen Musiker, Schriftstellerinnen, Poeten, Malerinnen, Bildhauer und Dramaturginnen und viele andere Künstler denn letzten Endes? Sie schaffen nicht nur Kulturgüter, die sich verkaufen lassen (oder auch nicht), sondern etwas viel wichtigeres: Kultur.
Wobei die Alltagskultur, manchmal leicht abfällig „Populärkultur“ genannt, minderstens ebenso wichtig ist wie die „Hochkultur“. (Pssst, die „Leitkultur“ ist gar keine Kultur, sie ist lediglich ein ziemlich willkürlicher und deutlich ausgrenzender Kanon von Kulturgütern, die eher zufälligerweise als „deutsch“ bzw. „abendländisch“ gelten.)

Was können wir Heiden über tun, um unseren Ruf zu verbessern? Denn nach wie vor werden wir gern in die „rechte“ oder bzw. und die „esoterische“ Ecke gedrängt. Politisches Engagement und Aufklärung sind wichtig – darum gibt es „Odins Auge“ schließlich – aber längst nicht alles.

Mit nörgelnder Besserwisserei, missionarischem Gehabe, selbstüberschätzemdem Überlegenheitsgetue, beleidigtem Mimimi oder selbstzuerkanntem Opferstatus verbessern wir unser Image garantiert nicht. Aber, siehe oben, mit Liedern, Büchern, Geschichten, Aufsätzen, Artikeln, Sachbüchern und vielem mehr. Ohne erhobenen Zeigefinger, und vor allem ohne das, was mit dem aktuellen Unwort „alternative Fakten“ benannt wird, also Zwecklügen, verdrehte Begriffe, Fälschungen, Glaubenssätze anstelle von Tatsachen. Dafür mit Sachkenntnis, Können und Herzblut.

Ein Beispiel, wie bekennende und als soche bekannte Heiden auf kommunaler Ebene wirken können, gibt der „Lollfußer Mythenpfad“ in Schleswig. Bei diesem Kunstprojekt, das unter anderem der Wiederbelegung einer deutlich heruntergekommmen Einkaufsstraße dient, sind unterschiedliche und machmal scheinbar gegensätzliche Akteure mit an Bord: verschiedene politische Parteien, Geschäftsleute, die Stadt Schleswig, die anliegende Kirchengemeinde, Vereine – und vor allem Künstler.

Wikingerschiff (Denkmal) Skidbladnir in Schleswig
Einweihung des „Götterschiff Skidbladnir“ am 18. November 2017

Das Projekt „Lollfußer Mythenpfad“ wurde erstellt von Ralf Matthies und Martje Haselbach, Betreiber des Ladengeschäfts (nebst Online-Versand) Beowulf und engagierte Mitglieder im Eldaring. Das ist allgemein bekannt, Berührungsängste gibt es dennoch kaum.

Nun ist die Situation in Schleswig, einer Stadt, die näher an Dänemark als an Hamburg liegt, und die sich in ihrer Selbstdarstellung als „Wikingerstadt“ präsentiert, sicher nicht direkt auf andere Orte im deutschen Sprachraum übertragbar. Die Verhältnisse dort sind schon fast „skandinavisch“, sowohl, was den gelassenen Umgang mit alter Geschichte und alten Mythen wie den gelassenen Umgang miteinander angeht. Anderswo sind die Bedingungen sicherlich schlechter. Was nicht gegen weitere Projekte dieser Art anderswo spricht. (Und schon gar nicht für mehr „dänische Gelassenheit“ und Pragmatismus auch fernab des Nordens.)

Ich danke Bragi, Heimdall, Thor, Odin, Tyr, Frigg, Freyja, Njörd, Skadi und auch Loki, ohne den sowieso nichts geht, und vielen anderen Großen, die ich hier nicht namentlich nenne, danke auch den vielen kreativen Köpfen unter den Heiden, und hebe mein Horn:

Auf die nächsten 100000! Mindestens.

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Ein Kommentar
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  1. Dank euch für euren Einsatz, euer wachsames Auge und euer scharfes Schwert mit dem Ihr das „braune“ vom Heidentum trennt und für alle sichtbar macht.

    Bleibt stabil Ihr lieben.

    Grüße aus dem Norden

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